Eklat in Paderborn: Tote Hühnchen im Altarraum

vor 2 Monaten

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Bildquelle: Tichys Einblick

Als die Sängerin Sabrina Carpenter im Herbst 2023 den Altarraum einer Kirche in Brooklyn nutzte, um ein Musikvideo mit „sexuell provokanten“ Inhalten zu produzieren, war nicht nur der Aufruhr unter Gläubigen groß. Der Bischof schritt zur Tat und feierte eine Sühnemesse – „Sühne“ wird im Englischen als „reparation“ wiedergegeben und ist in dieser Form auch für Deutsche das leichter verständliche Wort: Man will einen Schaden „reparieren“, Wiedergutmachung leisten.

Eine Verlautbarung der Diözese war nicht weniger deutlich: Mit der Messe habe der Bischof die Heiligkeit der Kirche wiederhergestellt, „nachdem die Kirche (…) entweiht worden war“. Der Bischof sei „entsetzt“ und verurteilte die Dreharbeiten „aufs Schärfste“.

Und mehr noch: Die Episode blieb nicht ohne personelle Konsequenzen: „Eine Überprüfung der Dokumente, die der Gemeinde vor den Dreharbeiten vorgelegt wurden, zeigt (…) eindeutig unangemessenes Verhalten, das für einen Kirchenraum nicht geeignet ist. (…) Eine administrative Überprüfung wird unverzüglich eingeleitet“.

Die Gemeinde hätte laut Einschätzung des Bischofs wissen können, dass hier eine dem heiligen Ort nicht angemessene Nutzung vorgesehen war, und hätte der Videoproduktion nicht zustimmen dürfen. Ein Weihbischof wurde als Administrator ein-, der Gemeindepfarrer abgesetzt, während sein Versagen einer Untersuchung unterzogen wurde.

So reagiert ein Bischof, der sich seiner Verantwortung bewusst ist: Als Christ und als Seelsorger vor Gott und für die Menschen.

Was in einer Pfarre in Brooklyn ernstliche Konsequenzen nach sich zog, stört in einem der ältesten und wichtigsten (Erz)Bistümer Deutschlands niemanden; jedenfalls niemanden, der dafür verantwortlich zeichnet.

Hier tanzten Mitte Mai halbbekleidete „Künstler“ im Altarraum des Hohen Domes zu Paderborn, jonglierten derweil mit toten Hühnchen und sangen dazu „Fleisch ist Fleisch“ als Persiflage auf den Song „Life is Life“.

Völlig abseits jeder Religion wird jedem Kind beigebracht, dass man mit Essen nicht spielt. In einer Kirche, die dem Dienst an Armen und Hungernden Priorität einräumt, ist solche wohlstandsverwahrloste Dekadenz vollkommen fehl am Platze. Aber es geht um mehr.

Ob den Künstlern klar war, was sie da tun, darf bezweifelt werden. In diesem Altarraum wird jeden Tag durch die Worte „das ist mein Leib“, gesprochen durch einen Priester, das Brot, das er in Händen hält, in den Leib Christi gewandelt. Hier wird feierlich bekannt, dass „das Wort Fleisch geworden“ sei, und „Fleisch angenommen“ habe; das heißt, dass Gott Mensch geworden sei, um die Menschen und die Schöpfung zu erlösen; ja, sogar die „Auferstehung des Fleisches“ – in der deutschen Übersetzung ist dies stark abgemildert – wird bezeugt.

Das Wort „Fleisch“ ist im katholischen Christentum also von großer Bedeutung. Es zeigt unter anderem an, dass der christliche Glaube keine sentimentale, „spirituelle“ Regung ist, sondern sich auf Zeit, Raum und Materie bezieht.

Dieser Glaube ist handfest. Das hat auch für Nichtgläubige Konsequenzen: Wenn sich nämlich das Christentum historisch stets auch für die Verbesserung der innerweltlichen Zustände eingesetzt hat, etwa durch den Bau von Krankenhäusern und die Einrichtung von Schulen und Universitäten, dann liegt das nicht zuletzt an einer großen, wegweisenden und bahnbrechenden Wertschätzung des „Fleisches“ – man könnte ja auch im Elend verharren und fatalistisch auf das ewige Leben warten.

Darum ist ein solcher Vorgang mehr als nur eine alberne Performance, die die Abneigung westfälischer Bauern gegenüber Vegetarismus beklagt. Es ist eine Verhöhnung des katholischen Glaubens. Dass sich ein Europäer als Künstler bezeichnet, dies aber nicht weiß, ist bereits eine umfassende Aussage über den Zustand von Kunst und Kultur in diesem Land.

Einer aber müsste es wissen: Der Erzbischof von Paderborn. Nun gibt es im derzeitigen deutschen Episkopat keinen „Löwen von Münster“, aber selbst moderate Gegenwehr ist nicht zu erwarten: Die Mehrzahl der deutschen Bischöfe hat sich offensichtlich bereits zu Bettvorlegern verarbeiten lassen. Man kann auf ihnen herumtrampeln, ohne dass ein Mucks zu hören wäre.

Erzbischof Udo Bentz war bei der Aufführung des Ensembles „bodytalk“ zugegen. Er empfand die Darbietung offenbar nicht als schlimm genug, um das blasphemische Gebaren zu unterbinden. Aber wenigstens danach äußerte er sich doch sicherlich von Trauer erfüllt, befremdet, entsetzt? Keineswegs.

Auch in Sachen Empörung ist man in der Kirche etwas behäbiger als der Rest der Welt: Einige Tage brauchte es, bis Gläubige eine Petition einreichten, die eine Entschuldigung forderte. Nachdem diese nach einer weiteren knappen Woche ca. 17.000 Unterschriften versammelt hatte, sah sich denn auch das Erzbistum zu einer Stellungnahme genötigt.

Die ist ein noch größerer Schlag ins Gesicht der Paderborner Gläubigen. Verantwortung für das Geschehen wird zurückgewiesen. Man habe mit den Veranstaltern bereits erfolgreich zusammengearbeitet, die genaue Form der Darbietung sei im Vorhinein nicht bekannt gewesen.

Sodann sucht man vergeblich auch nur ein einziges Wort der Entschuldigung. „Entstandene Irritationen“ tun den Verantwortlichen leid. Unpersönlich und lapidar heißt es: „Sowohl der LWL [Landschaftsverband Westfalen-Lippe] als auch das Metropolitankapitel Paderborn bringen ihr ausdrückliches Bedauern darüber zum Ausdruck, dass die Performance religiöse Gefühle verletzt hat. Eine solche Wirkung war zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt und entspricht auch nicht unserem Anspruch an diesen Ort mit seiner besonderen religiösen, historischen und kulturellen Bedeutung.“

Das Metropolitankapitel, d.h. das Gremium der Priester, die für den Paderborner Dom zuständig sind, stört sich also nicht daran, dass hier die Heiligkeit des Ortes verletzt, der christliche Glaube verspottet und Gott beleidigt wurde. Lediglich dass „Gefühle verletzt“ wurden, ist eine Erwähnung wert.

Tatsächlich bedauerlich ist der Mangel an Glauben, der hier deutlich wird: Die betreffenden Priester scheinen nicht die Überzeugungen der laut Selbstbeschreibung „heiligen katholischen und apostolischen Kirche“ zu teilen, deren Mitglieder und Würdenträger sie sind. Denn täten sie das, wäre ihnen klar, dass die Verletzung von Gefühlen an dieser Stelle zweitrangig ist.

Wer wirklich glaubt, dass die Kirche Ort der Gottesbegegnung ist, konkret der Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers, kann nicht akzeptieren, dass mit dem Kirchraum so umgegangen wird.

Stellen wir uns einen Menschen vor, der behauptet, seine Mutter zu lieben. Nun wird diese vor seinen Augen von einem Fremden geschlagen. Darauf reagiert die Person  erst, als Zeugen des Vorfalls darauf hinweisen, und auch dann wird nur bedauert, dass Menschen zusehen mussten, wie die Mutter geschlagen wurde – der Gewaltakt an sich wird nicht als problematisch betrachtet. Ist solche „Liebe“ glaubwürdig? Natürlich nicht.

Damit ist die Glaubensmisere in Deutschland zu einem Gutteil erklärt, ohne dass man dafür teure Studien in Auftrag geben müsste: Menschen glauben ganz maßgeblich durch Vorbilder. Sie haben diesbezüglich recht sensible Antennen für Heuchelei und Unwahrhaftigkeit. Nur Meistern der Täuschung gelingt es, erfolgreich etwas zu propagieren, woran man selbst gar nicht wirklich glaubt.

Die Vertreter der Amtskirchen in Deutschland, ob geweiht, ordiniert oder angestellt, sind zum ganz überwiegenden Teil keine Meister der Täuschung. Sie nehmen nicht ernst, was ihnen heilig sein müsste – warum sollten es andere tun?

Diese fehlende Kohärenz ist eindrücklich. Viele Menschen sind keine geistlichen Analphabeten, sondern leiden bloß unter religiöser Legasthenie. Ob eine Haltung in sich stimmig ist, können sie oft sehr wohl feststellen, auch, wenn ihnen die Haltung an sich fremd ist.

Die Gefühlskälte und die unbekümmerte Respektlosigkeit, die aus der Paderborner Stellungnahme sprechen, lassen darauf schließen, dass die Verfasser den christlichen Glauben für eine Fiktion halten.

Das kann kein noch so elaboriertes Reformprogramm ausgleichen.

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