Atommacht unter Druck: Pakistan zwischen inneren und äußeren Taliban

vor 2 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

Es ist der nächste Konflikt zwischen dem Islam und anderen Kulturen, der weltweit Sorgen bereitet, zugleich einer der ältesten. In der zwischen Pakistan und Indien umkämpften Region Kaschmir haben Terroristen einen Anschlag auf Touristen im von Indien kontrollierten Teil der Region verübt und so den alten Grenzkonflikt der beiden Atommächte aufflammen lassen. Zumindest zwei der flüchtigen Täter sollen Pakistanis gewesen sein, so die indischen Behörden. Die BBC sprach von „Kämpfern“, anstatt sie den Tatsachen gemäß als Terroristen zu bezeichnen. Auch die Verharmlosung des islamisch motivierten Terrors in westlichen Medien geht also weiter.

Danach gab es über mehrere Nächte hinweg Schusswechsel zwischen indischen und pakistanischen Soldaten. Noch werden dazu nur Kleinwaffen verwendet. Aber beide Länder verfügen über Atombomben. Auch zu einer militärischen Zuspitzung könnte es kommen. Sie ist aber keineswegs ausgemacht, sogar eher unwahrscheinlich.

Der indische Hardliner Vishnu Gupta sagte laut dem Guardian: „Es handelt sich nicht nur um einen terroristischen Akt, sondern um einen islamischen Terroranschlag.“ Es sei „ein Angriff auf Hindus“ gewesen, den man in Indien „mit gleicher Münze zurückzahlen“ müsse – „nicht nur gegen Kaschmiris, sondern gegen alle Muslime in Indien, wenn die Regierung nichts unternimmt“. So martialisch das klingt, beleuchtet es doch, wie ernst man in Indien den Konflikt mit dem radikalen, fundamentalistisch ausgelebten Islam nimmt. Auch weniger klar zuweisbare Stimmen, der berühmte „Mann auf der Straße“, meinen, dass Pakistan die Wurzel des Problems sei. Und so weit es um islamisch motivierten Terror in der Grenzregion geht, gibt es daran wenig Zweifel. Pakistan ist mit 96 Prozent Muslimen in dieser einen Hinsicht homogen, während es – ähnlich wie Indien – eine Vielzahl an Ethnien und Sprachen vereint.

Kaschmir sollte „von Touristen komplett boykottiert werden, um ihnen eine Lektion zu erteilen“, meint Gupta, der Chef der außerparlamentarischen Hindu-Sena-Bewegung, die auch für die Wahl Donald Trumps gebetet hat. So weit zu Indien.

Aber wie sieht es eigentlich nördlich von Pakistan aus? Ist das Land selbst auf absehbare Zeit sicher vor einer zunehmenden Einflussnahme der Taliban? Tatsächlich ist die Bewegung der radikalen „Wissensuchenden“ – so die Übersetzung von Taliban – ursprünglich auf pakistanischem Boden entstanden, als sich schon einmal viele Afghanen dort aufhielten. Und Pakistan war der sichere Hafen, von dem aus die Taliban seit 2003 gegen die von den Alliierten ermöglichte Islamische Republik Afghanistan Front machten.

So wie die realen Grenzen sind auch die ideologischen Grenzen zwischen beiden Ländern durchlässig. Der pakistanische Geheimdienst gilt als besonders anfällig für die Unterwanderung durch Taliban. So wie andersherum womöglich ein pakistanischer Geheimdienstler versuchte, als falscher „Afghane“ in einen Baerbock-Flieger nach Deutschland zu kommen. Soweit wir wissen, zog die Botschaft in diesem Fall die Notbremse. In anderen Fällen könnte ähnliches gelungen sein. Deutschland hat unter Rot und Grün beständig Menschen aus dieser Region eingeflogen, zumeist ohne eingehende Sicherheitsprüfung – ein fahrlässiger, in vielem widerrechtlicher Akt.

Seit Sommer 2021 herrschen die Taliban wieder über Afghanistan. In einigen Jahren an der Macht haben sie die Korruption im Land erheblich gesenkt. Der Opiumanbau wurde als unislamisch unterbunden. Kurz gesagt, das Land macht gewisse Fortschritte auf dem Weg zu einer eigenen Staatlichkeit. Das bedeutet aber wiederum, dass dieser Staat allmählich auch wieder mit seiner näheren Umgebung in Kontakt tritt und auch dort seinen Einfluss geltend machen wird.

Dass ausgerechnet Pakistan mit seiner Viertelmilliarde Einwohner hier quasi zum Satelliten eines mit bis zu 50 Millionen Einwohnern viel kleineren Afghanistan werden könnte, scheint erst einmal ausgeschlossen. Aber tatsächlich geht es an dieser Stelle nicht um einen Konflikt der Staaten. Vielmehr findet sich die islamische Glaubensgemeinschaft, die Umma, in beiden Ländern und wird in diesem Fall auch durch ähnliche Tendenzen geeint. Zu nennen wären etwa die Sunna, aber auch spezifischere Einflüsse wie der Deobandismus und der islamische Fundamentalismus, der sich seit dem 19. Jahrhundert auch vor allem in Pakistan entwickelte. Auf diesem fruchtbaren Feld, so liest man, sollen nun schon die ersten Finger von Kabul Richtung Islamabad ausgestreckt werden.

2007 wurde Benazir Bhutto, die ehemalige Präsidentin Pakistans, ermordet, vermutlich von der pakistanischen Eiferergruppe Tehrik-i-Taliban. Die politische Macht liegt derzeit bei der Pakistanischen Muslimliga (PML), die auch schon die Atomtests des Landes vorangetrieben hat. Sie ist eher eine Art pakistanische CDU.

Die Tehrik-i-Taliban sind zwar nicht identisch mit den afghanischen Taliban, aber dennoch eine Gefahr für die innere Stabilität Pakistans. Seit Jahren scheinen sie gerade an der Grenze zu Afghanistan ihr Unwesen zu treiben, wo die pakistanische Regierung sie mit militärischen Gegenoffensiven überzieht. Die Paki-Taliban besetzen in diesem Zuge auch schon einmal Grenzposten nach Afghanistan, die angeblich vorher unbesetzt waren.

Dass die beiden Taliban-Gruppen eng zusammenarbeiten, ist ebenso offensichtlich wie naheliegend angesichts ihrer gemeinsamen Ursprünge. Die Gegnerschaft zu den Koalitionstruppen in Afghanistan hatte die Gruppen noch enger zusammengeschweißt. Was nun also, wenn die ohnehin geschwächte pakistanische Regierung irgendwann nicht mehr standhält und die Taliban beider Länder sich vereinen, um auch Pakistan zu regieren? Die Taliban beiderseits der Grenze wünschen sich eine Zurückdrängung des Einflusses von Islamabad in den Stammesgebieten und die Einführung einer strengen Auslegung der Scharia in ganz Pakistan.

Pakistans Gesellschaft ist dabei maximal stratifiziert. Die Ungleichheit ist groß, es herrscht eine Art moderner Feudalismus, in dem Großgrundbesitzer fast alles und ihre Klienten nur sehr wenig zu sagen haben. Wäre sogar eine islamische Revolution wie im benachbarten Iran denkbar? Vielleicht.

Aber auch eine nur geschwächte Regierung in Islamabad ist angesichts des nuklearen Drohpotentials eine schwärende Gefahr im Staatensystem. Auf der anderen Seite kooperiert Pakistan schon seit längerem mit der Erdogan-Türkei, etwa auch, wo es um den Ausbau des türkischen Einflusses gen Westen geht. Aus diesem Grund schaut das Indien Narendra Modis mit Sympathie auf die europäische Rechte, die dem muslimischen Eiferertum auf der westlichen Seite Einhalt gebieten will.

Es ist eine verworrene Situation in Pakistan, wo ein konservativer Islam an der Macht ist, der aber gegen die radikalen Tehrik-i-Taliban im Inneren kämpft, die eine Art Föderalisierung fordern – ein taktisches Ziel. Ein Medium wie die Hindustani Times kostet die Spannungen in der näheren islamischen Welt merklich aus. Man erfährt: Pakistan befindet sich im Kampf gegen die inneren Taliban und bleibt vorsichtig gegenüber ihren afghanischen Brüdern im Geiste.

Derweil bleibt der Iran der Mullahs argwöhnisch gegenüber beiden und führt eigene Militärmanöver an seinen östlichen Landesgrenzen durch, anscheinend auch um pakistanische Untergrundkräfte zurückzuschlagen – noch eine weitgehend unbeachtete Front im Glaubenskampf zwischen Schia und Sunna.

Man kann das noch weiterspinnen: Im Irak ist der schiitische Islam der Teheraner Mullahs erstarkt. Doch rund um Israel haben die radikalen Truppen der Hamas und der Hisbollah (ebenfalls dem Iran verpflichtet) Rückschläge erlitten, auch durch den Fall des säkularen Alawiten Assad zugunsten eines Al-Qaida-Abkömmlings, des dschihadistischen Sunniten Ahmed al-Scharaa. In Ägypten schaut die Situation ähnlich aus wie in Pakistan: Das gewichtigste Land der arabischen Welt ist gespalten zwischen dem radikalen, dabei oft volkstümlichen Islam der Muslimbrüder und der Machtausübung der Militärs, die heute das äußerlich-diplomatische Funktionieren des Staates sicherstellen.

Bis hin zum äußersten Maghreb, bis ins Königreich Marokko reicht dieser Zwiespalt zwischen breit aufgestelltem, „populären“ Islam – Aufklärer würden wohl von Priesterbetrug sprechen – und Eliten, die versuchen, international eine Rolle zu spielen. Einige der Golfstaaten (vor allem Katar) mischen mit im internationalen Dschihad, andere beherbergen vernünftige Stimmen, die die Ausbreitung radikaler Gruppen nach Europa und ihre bald feste Etablierung in den hiesigen Gesellschaften kritisieren.

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