
Arabischunterricht an Schulen einführen, muslimische Beerdigungsriten erleichtern, Palästina als Staat anerkennen, um der Unzufriedenheit der einheimischen muslimischen Bevölkerung entgegenzuwirken – Frankreich könnte auf ganzer Linie vor dem Einfluss der Muslimbruderschaft einknicken. Das französische Innenministerium hat im Mai einen Bericht veröffentlicht, der sich mit dem Einfluss der Muslimbruderschaft auf Frankreich befasst. Um einer Radikalisierung der Muslime entgegenzuwirken, müsse man „starke Signale“ senden und „Wünsche berücksichtigen“.
Die Gefahr eines lokalen, militanten Islamismus „erscheint sehr real“, heißt es in der Einleitung des Berichts. Viele Muslime hätten das Gefühl, dass es eine „staatliche Islamophobie“ gebe. Bereits in 20 Départements in Frankreich gebe es einen vielfach ausgeprägten orthodoxen Islam, der sich nur schwer vom Islamismus abgrenzen ließe. Der Bericht warnt vor einer „langfristigen Transformation der französischen Gesellschaft im Sinne eines islamistischen Weltbilds“.
Die Muslimbruderschaft stelle in Frankreich eine „ideologische Gefahr für die Republik“ dar. Sie verwende die „Technik des doppelten Diskurses“: Man verheimliche die eigentlichen Ziele und gebe vor, „Regeln und Prinzipien der westlichen Gesellschaften zu teilen“. Innenminister Bruno Retailleau warnt: „Die Muslimbruderschaft will die Scharia auf dem gesamten französischen Territorium durchsetzen“.
Es wurden Interviews mit Vertretern von Muslimverbänden, Sicherheitsbehörden und Experten geführt. 139 Moscheen seien von der Muslimbruderschaft unterwandert, das entspricht sieben Prozent aller Moscheen. Rund 91.000 Muslime sollen die Moscheen besuchen. Den Kern sollen 400 bis 1.000 Mitglieder bilden. Vor allem auf lokaler Ebene wird eine Gefahr gesehen. Denn über den Einfluss auf Lokalpolitiker wolle die Muslimbruderschaft Einfluss gewinnen.
Eine befragte Expertin geht davon aus, dass bestimmte Gemeinden innerhalb von zehn Jahren in der Hand von Islamisten sein werden. Auch Koranschulen und islamische Jugendverbände stellen eine wichtige Art der Beeinflussung dar. In Frankreich gibt es 815 Koranschulen mit insgesamt 60.000 Schülern, von denen etwa ein Drittel fundamentalistischen Strömungen angehören. Auch 21 Privatschulen sollen der Muslimbruderschaft in Frankreich nahe stehen.
Um einer Radikalisierung der Muslime in Frankreich entgegenzuwirken, werden mehrere Maßnahmen vorgeschlagen. Denn unter ihnen herrsche „ein Gefühl des Unbehagens“. Weiter heißt es: „Um das Gefühl der Ablehnung, das Familien mit muslimischem Hintergrund durchdringt, zu bekämpfen, müssen wir starke Signale senden, ihnen gegenüber Rücksichtnahme zeigen und ihre Wünsche berücksichtigen“.
Darum sollen Bestattungen nach muslimischen Riten erleichtert werden. Muslime sollten „stärker in das nationale Narrativ“ integriert werden. Beispielsweise könnten muslimische Soldaten aus den ehemaligen Kolonien geehrt werden, die während des Zweiten Weltkriegs auf der Seite Frankreichs kämpften. Studien sollen die religiösen Bedürfnisse erforschen. Außerdem sollte Arabischunterricht an den Schulen eingeführt werden, um den Koranschulen das Monopol zu entziehen.
Die geführten Interviews zeigen, dass Muslime sich an der vermeintlich israelfreundlichen Haltung Frankreichs stören. Unabhängig von weiteren Maßnahmen zur Anerkennung der Muslime könnte „die Anerkennung eines palästinensischen Staates neben Israel innerhalb sicherer und anerkannter Grenzen durch Frankreich dazu beitragen, diese Frustrationen zu beschwichtigen“. Ob die vorgeschlagenen Maßnahmen eine Annäherung der französischen Muslime an ihr Heimatland bewirken oder ob sie einer weiteren Trennung und Hinwendung zur Muslimbruderschaft Vorschub leisten, ist fraglich.