
Die Welt ist in Unordnung. Kriege, Krisen und namenlose Ängste: Das ist in weiten Teilen der Erde 2025 der Normalzustand. Doch in Rom dringt weißer Rauch aus einem kleinen Schornstein auf einem schiefen Dach und verkündet wie seit Jahrhunderten: Habemus papam – wir haben einen Papst.
Die größte weltumspannende Organisation mit den meisten Mitgliedern, die römisch-katholische Kirche, hat ein neues Oberhaupt. Faktisch gewann damit die gesamte Christenheit einen zumindest symbolischen Vorsitzenden, eine Instanz, an der sie sich in Ablehnung oder Zustimmung ausrichtet. Der 267. Nachfolger des Apostels Petrus, der Nachfolger auch von Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus heißt Robert Francis Prevost. Als Papst wird er sich Leo XIV. nennen.
Franziskus hatte sein Pontifikat mit einem „Guten Abend“ von der Loggia des Petersdoms begonnen. Schon damit zeigte der Jesuit und Argentinier, der sich als Papst vom „Ende der Welt“ sah, seinen Hang zur persönlichen Note und zur Exzentrik. Ein „Buona sera“ ist im römischen Zeremoniell nicht vorgesehen. Prevost sagte nun schlicht „Der Friede sei mit euch“. Prevost ist mit seinen 69 Jahren deutlich jünger, als Bergoglio es bei Amtsantritt war.
Tausende Katholiken jubeln dem neuen Papst auf dem Petersplatz zu.
Franziskus starb am Ostermontag im zweithöchsten Alter, das je ein Papst erreichte, mit 89 Jahren. Nur Leo XIII. starb noch höher betagt, mit 93 Jahren. Sollte sich Leo XIV. daran orientieren, könnte er die Geschicke der römisch-katholischen Kirche für über 20 Jahre prägen. Der Wahl des Namens deutet im Gegensatz zum Vorgänger an: Da stellt sich einer in die Tradition, da will einer nicht von vornherein ausscheren. Anders als Franziskus trug Leo auch bei seinem ersten Auftritt die klassische Mozetta, den roten Schulterumhang, den auch Benedikt XVI. getragen hatte.
Bei seinem ersten Auftritt trug Papst Leo XIV die klassische Mozetta, den roten Schulterumhang, den auch Benedikt XVI. getragen hatte.
Und doch startet auch Prevost, betrachtet man die 2000-jährige Geschichte des Papsttums, als Außenseiter. Er gehört wie Bergoglio einem Orden an. Auf den Jesuiten folgt der Augustiner. Das ist sehr ungewöhnlich für Päpste. Wie der Argentinier Bergoglio hat Prevost eine starke Verbindung zu Lateinamerika. Geboren 1955 in Chicago, wirkte er von 1982 bis 1999 in Peru. Franziskus ernannte ihn 2015 zum Bischof im peruanischen Chiclayo und erhob ihn im September 2023 zum Kardinal. Da hatte Prevost schon wieder Peru verlassen und war an die römische Kurie gewechselt. Als Chef des Bischofsdikasteriums und der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika hatte er zwei wichtige, einflussreiche Posten inne. Wer als Bischof oder Kardinal nach Rom kam, dürfte ihn kennengelernt haben.
Es scheint diese Mischung zu sein aus Traditionsbewusstsein und Modernität, die Prevost zu einer Zweidrittelmehrheit im vierten Wahlgang verhalf. Auch Benedikt war nach derart wenigen Wahlgängen gewählt worden, Franziskus brauchte deren fünf. Dass Prevost aus den Vereinigten Staaten stammt, lange in Peru wirkte und schließlich in Rom Leitungsfunktionen innehat, macht ihn zum Papst der drei Welten.
Der verstorbene Papst Franziskus mit dem Augustiner Robert F. Prevost (r) während eines Treffens mit Vertretern des Augustiner Ordens in der Sankt Agostino KIrche in Rom2013
Leo verbindet die USA mit Lateinamerika und dem Vatikan. Er kennt die Peripherie ebenso wie das Zentrum, das Abendland und die Neue Welt. Mit ihm erhoffen sich die Kardinäle nach dem anstrengenden Pontifikat des sprunghaften Bergoglio eine Phase der Konsolidierung, die weder von einem überschießenden Progressismus noch von einem trotzigen Konservatismus geprägt sein soll.
In seiner ersten Ansprache als Papst spielte Leo geschickt auf der ganzen Klaviatur des Katholischen. Er appellierte an die Einigkeit: „Hand in Hand, untereinander und mit Gott, gehen wir voran.“ Das Voranschreiten solle im „Dialog“ erfolgen – zweimal erwähnte er den auf das Zweite Vatikanische Konzil verweisenden Begriff –, „offen für die Menschen“, aber „immer an der Seite der Leidenden.“ Keine Scheu zeigt er auch vor einem heiklen Begriff, der im Zentrum des späten Pontifikats von Franziskus stand.„Für euch alle“, sagte Leo, „wollen wir eine synodale Kirche sein, die sich bewegt.“ Da ist sie wieder: die Bewegung als Kennzeichen einer Kirche, die laut Leo aus den „Schülern Christi“ besteht. Die „synodale Kirche“ wurde von Franziskus als eine Kirche mit möglichst breiter Beteiligung des Glaubensvolkes verstanden. Deutsche Dinosaurier der Reformbewegung wie Bischof Bätzing oder die Protagonisten des Zentralkomitees nahmen das Leitbild als Carte Blanche für eine Ummodeln der katholischen Kirche nach protestantischem Vorbild. Sie sollten dabei nicht auf Leo zählen.
In seiner ersten Ansprache als Papst spielte Leo geschickt auf der ganzen Klaviatur des Katholischen.
Nicht zu erwarten ist nämlich, dass Leos Bewegung über die Dogmen der Kirche hinausgehen wird. Leo dürfte ein sanfter Reformer werden, ein aufgeschlossener Bewahrer. Die Weihe von Frauen zu Diakoninnen oder gar Priesterinnen steht nicht auf seiner Agenda. Gleich nach dem Friedensgruß griff er das „non praevalebunt“ des Matthäus-Evangeliums auf und sagte: „Das Böse wird nicht die Macht über uns gewinnen.“ Zum Abschluss betete er, klassisch und in Tradition zu seinen Vorgängern, das Ave Maria auf Latein.
Als Papst der drei Welten könnte Leo einer Kirche, die vor enormen Herausforderungen steht, guttun. Er könnte mit wachem Blick auf die Gegenwart schauen und diese weder verteufeln noch verherrlichen. Ihm könnte der Brückenschlag gelingen zwischen den Kontinenten, den Mentalitäten und den Traditionen. Von Johannes Paul II. blieb sein „Fürchtet euch nicht“, das zum ersten Donnerschlag wurde, mit dem sich das Ende des Kalten Krieges ankündigte. Leo sagte heute von der Loggia des Petersdoms: „Gott liebt euch alle.“ Es wird nun an ihm liegen, diese Botschaft auszubuchstabieren und einer zersplitterten Kirche und einer zersplitternden Welt zu zeigen: Die Rückzugsgefechte des Christentums haben ein Ende.