Barmherzigkeit und Machtbewusstsein: Zum Tod von Papst Franziskus

vor 7 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

Der Osterjubel ist noch nicht verklungen, als Kardinal Kevin Ferrell am Vormittag des Ostermontags im Vatikan vor die Kameras tritt: Um 7.35 Uhr, so der Camerlengo, der Kämmerer des Papstes, sei „der Bischof von Rom, Franziskus, in das Haus des Vaters zurückgekehrt“. „Sein ganzes Leben war dem Dienst an Gott und seiner Kirche gewidmet. Er hat uns gelehrt, die Werte des Evangeliums mit Treue, Mut und universeller Liebe zu leben, besonders zugunsten der Ärmsten und Ausgegrenzten“, so Ferell über den ersten Argentinier auf dem Stuhl Petri, der das höchste Amt der katholischen Kirche seit 2013 innehatte.

Der Tod des 88-jährigen Kirchenoberhaupts so kurz nach den Osterfeierlichkeiten kommt überraschend: Zwar war er Mitte Februar aufgrund einer beidseitigen Lungenentzündung ins Krankenhaus eingeliefert worden, was Spekulationen über seinen baldigen Tod beförderte.

Allerdings erholte sich der Papst noch einmal, und konnte die Gemelli-Klinik am 23. März nach fünf Wochen stationärer Behandlung wieder verlassen. Am Ostersonntag noch empfing er den US-Vizepräsidenten JD Vance zu einer kurzen Audienz, und spendete den Gläubigen auf dem Petersplatz und weltweit den besonderen päpstlichen Segen Urbi et Orbi, „der Stadt und dem Erdkreis“. Seine Osterbotschaft, in der er Frieden anmahnte, und an die politischen Verantwortungsträger appellierte, „nicht der Logik der Angst nachzugeben“, sondern an der Zukunft zu bauen, musste er indes verlesen lassen.

Fast genau 12 Jahre stand der Jesuit der katholischen Kirche vor. Ein komplexes und kontroverses Pontifikat, das von Widersprüchen gekennzeichnet war. Ausgerechnet er, der „Pontifex“, wörtlich „Brückenbauer“, hinterlässt der katholischen Kirche Gräben, deren Überwindung nun seinem Nachfolger obliegt.

So zeichnete er sich unter anderem durch die Diskrepanz zwischen pastoralen Forderungen und konkretem Handeln aus: Die Rede von Barmherzigkeit, eines der zentralen Themen seines Pontifikats, stand zuweilen in starkem Kontrast zu maßregelnden Predigten oder Demütigungen, mit denen er Würdenträger bedachte, die er als Gegner ansah.

Sein Anliegen der „Synodalität“, den Versuch, innerhalb der Kirche gemeinschaftliche Beratung und Entscheidung zu kultivieren, konterkarierte er selbst, wenn er Eingaben von Kardinälen, sogenannte „Dubia“, ignorierte, oder unversöhnlich gegen Anhänger der vorkonziliaren Liturgie vorging – ausgerechnet nachdem sein Vorgänger Benedikt XVI. Maßnahmen ergriffen hatte, um Ghettobildung in traditionellen Milieus zu verhindern, und im Sinne einer „Hermeneutik der Kontinuität“ für Ausgleich zu sorgen. Die vatikanische Diplomatie gegenüber China zog ebenso Kritik auf sich wie der Umgang mit Missbrauchstätern, insbesondere im Fall seines Ordensbruders Marko Rupnik: Themen, die außerhalb der Kirche oft unter der Wahrnehmungsschwelle blieben, unter Gläubige aber für Diskussionsstoff sorgten.

Es liegt eine gewisse Tragik darin, dass in diesen Konflikten das Verhalten des Papstes und die öffentliche Rezeption oft eine ungünstige Dynamik entwickelten: Was hat der Papst gesagt, und was hat er gemeint? Welche seiner Aussagen werden aufgegriffen, und welche werden übersehen? Angesichts seiner oft spontanen und gern saloppen Äußerungen ließ sich häufig nicht feststellen, ob Unklarheiten und Missverständnisse auf seinen Aussagen oder auf selektiver Wahrnehmung derselben beruhten.

Schnell etwa war in der deutschen Presse ausgemacht, dass dieser Südamerikaner so ganz anders sein müsse als sein als „Panzerkardinal“ verschriener bayerischer Vorgänger. Er hatte sein Pontifikat schließlich mit einer ganzen Reihe an Brüchen mit Traditionen und Protokoll begonnen. Das fing bei der Namenswahl Jorge Bergoglios an, der sich zum ersten Papst seines Namens machte, statt dem Brauch gemäß den Namen eines Vorgängers auszuwählen, und hörte bei der Weigerung, rote Schuhe zu tragen oder im Apostolischen Palast zu wohnen, noch lange nicht auf. Was man entweder als eigenmächtig-ignorant oder als sympathisch-unkonventionell hätte interpretieren können, wurde kurzerhand als Reformwille ausgelegt; in der Folge wurde Franziskus insbesondere in der notorisch gegen das Lehramt opponierenden Kirche in Deutschland zur Projektionsfläche für allerlei Reformpläne.

Selbst klare Worte des Papstes gegen solche Vorhaben konnten am nun etablierten Narrativ kaum rütteln. Es brauchte viele Jahre, einen am Ende steckengebliebenen deutschen „synodalen“ Sonderweg, und eine Weltkirche, die ungläubig registrierte, wie weit sich deutsche Katholiken von der Weltkirche entfernt hatten, um die Hoffnungen zu dämpfen; und irgendwann dämmerte selbst der säkularen Presse, dass Franziskus nicht der war, zu dem sie ihn hatte stilisieren wollen.

Dabei hätten aufmerksame Beobachter bereits erkennen können, dass hier eine Priorität zum Zuge kommen würde, die er von Beginn an deutlich gemacht hatte: Die „Peripherie“ der Kirche. Nicht die selbstbewussten und einflussreichen Katholiken des Westens sollten in der Kirche den Ton angeben! Bewusst legten Franziskus‘ Kardinalsernennungen den Fokus auf teils unbekannte Bischöfe von Diözesen, die weit vom Zentrum der Kirche entfernt liegen. Auch hier war der Argentinier dazu bereit, vor den Kopf zu stoßen, manche zu enttäuschen, andere zu überraschen.

Die Weltkirche praktisch erfahrbar zu machen und zusammenzubringen, den Fokus weg von den europäischen Katholiken hin auf die Bedürfnisse der Kirche „an den Rändern“ zu richten; der Einsatz für die Armen, das Festhalten am Ruf nach Frieden, ob opportun oder nicht: Es sind jene Themen, bei denen Papst Franziskus keine Ambivalenz duldete oder nährte.

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