Parallelgeschichten: Wolfgang Herles und die Bundesrepublik

vor etwa 10 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Wolfgang Herles ist ein seltener Vogel im Völkchen der zwitschernden Journalisten. Er ist der, der zuhört. Er ist leise, wenn er spricht. Er spreizt seine Federn nicht. Er ist einer Eule nicht unähnlich, die bekanntlich über kluge Augen und feines Gehör verfügt und ansonsten ein Federkleid in Tarnfarbe trägt. Das macht ihn erfolgreich – und irgendwie angenehm altmodisch. Er reportiert und gackert nicht, wenn er ein Ei gelegt hat, sondern brütet es still aus bis der Gedankenvogel durch die Schale bricht. Er hat Haltung, aber die ist nicht aus dröhnendem Gusseisen, sondern durch Fakten veränderbar. Das macht er sich nicht leicht. Er gehört zur aussterbenden Sorte der Gedankenbrüter.

Genug des Lobs. Sein Buch zeichnet sich dadurch aus, dass es Distanz wahrt. Er erzählt über sich, und ich gestehe: Wir haben viele Ähnlichkeiten. Es gibt eben doch Generationenschicksale. Unser Schicksal ist, dass wir irgendwo auf dem Land aufwuchsen, fern der Metropolen. Das macht zum Außenseiter; man kennt ja den heißen Scheiß noch nicht und muss erst die Lage anschauen, genauestens, welche Tanzschritte bei der Balz gerade gefordert sind. Wir sind aufgewachsen in einer Zeit, in der die Menschen damit beschäftigt waren ihren gerade zusammengekratzten Wohlstand ein wenig zu mehren und deshalb nicht unbedingt zurückzuschauen. Rückschau ist der Luxus der Wohlhabenden nicht die Lebensweise der gerade-etwas-Habenden. Also mußte unsere Generation aus der gesicherten Basis heraus viele Fragen stellen, die leider keine guten Antworten fanden, wenn es solche überhaupt gegeben hat.

Lange fühlt er sich aufgehoben in dieser Republik. Bis zum Knacks. Sein persönlicher Knacks – als ihn der Kanzler als Chef des Hauptstadtstudios des ZDF entfernen lässt – korrespondiert nicht zufällig mit dem Knacks der Republik. In der Rolle des Gedankenbrüters geht er kritisch um mit der Wiedervereinigung. Nein, er ist nicht dagegen, aber mußte es so sein, wie es angeblich unbedingt sein mußte? Jubel-Krähen ist seine Sache nicht, aber Helmut Kohl stellte sich halt die Frage: Wozu hält man sich denn ein ZDF, wenn es dann nicht jubelkräht, wenn man es braucht? Kann man nicht einen Kräher statt einer Horch-Eule hinstellen der die Wünsche des Herrn entgegennimmt?

Man konnte. Herles sieht es nicht so, aber tatsächlich ging es für ihn dann erst los. Ungeheuerlich, wie viele bemerkenswerte Menschen er sprechen, vor die Kamera zerren, ausfragen durfte. Auch da kreuzten sich gelegentlich unsere Wege. Er wollte Jürgen Schempp, den damals wichtigsten Industriemanager, befragen. Ich übte mit Schrempp, wie man Herles auskontert. Das Archiv weiß, wer seinen Job bewältigt hat.

Nun schauen wir zurück. Und ja, Bonn war keine Idylle, sondern eine feuchte Schlangengrube unter einer trüben Dunstglocke. Und während Herles durch die Welt eilte, auf der Suche nach Gesprächspartnern mit einer Kragenweite, die es im heutigen Engstirnvogel-ZDF nicht mehr gibt, begann es mit der Berliner Republik bergab zu gehen. Es ist das Berlin Virus. Größenwahn, Isolation und Selbstbezogenheit in den flachen Weiten einer sandigen Ebene rundherum, Paris zu weit weg und Brüssel eine große, bösartige Glucke, die alle malträtiert. Weltabgewandtheit und ständiges Wühlen im Eigenen.

„Dieses Land braucht vielleicht gar keine Hauptstadt“, sagte er in unserem Interview „Konformismus ist die Staatsideologie Deutschlands“. „Es gibt auch keine Hauptstadt-Korrespondenten – damals. Heute nennt sich der Journalist Hauptstadt-Korrespondent. Darin steckt schon eine Lüge, nämlich dass er über den anderen steht.“

Tatsächlich. Wolfgang Herles weiter: „Studio-Leiter Bonn. … Es war das Studio Bonn, das stand nicht über dem Studio Düsseldorf und über dem Studio München, das war einfach das Studio Bonn. Dass wir Bundespolitik gemacht haben, das wusste man ja sowieso, da musste man nicht so ein Etikett draufkleben, so ein großmächtiges, angeberisches.“

Damit ist es die Erzählung eines Epochenbuchs. Die entfesselte Globalisierung geht einher mit der nächsten industriellen Revolution, die das Leben der Menschen verändert. Herles begleitet Giganten der Wirtschaft wie Bill Gates, Steve Jobs oder Jack Welch. Es folgen Begegnungen mit den größten Schriftstellern der Gegenwart. Herles reibt sich auch am eigenen Metier, durchlebt die Untiefen der Talkmeisterei und die Hörigkeit der Medien. Seine höchst lebendigen Erinnerungen sind kein bockiger Protest – aber sie sezieren, zudem höchst unterhaltsam, die Deformation unserer Gegenwart. Und er ist immer auf Distanz, läßt sich nicht vereinnahmen. Immer noch nicht. Hört das denn nie auf?

Wolfgang Herles, Gemütlich war es nie. Erinnerungen eines Skeptikers. LMV, Hardcover mit Schutzumschlag, 392 Seiten mit zahlreichen schwarz-weiß Abbildungen, 25,00 €.

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