Pentagon will Taiwan um jeden Preis sichern – plant Rückzug aus Europa und Nahost

vor 15 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

Von diesem Leak ist etwas weniger die Rede als von jenem Gespräch über Signal, in dem Pete Hegseth, JD Vance und andere etwas widerwillig über mögliche Militärschläge gegen die Huthis im Jemen diskutierten. Nun muss man bei jedem Leak auch die Möglichkeit konzedieren, dass es sich um Absicht handeln könnte. Etwa die Absicht, das breitere oder ein Spezialpublikum über gewisse Dinge zu informieren, die man aber nicht auf offener Bühne sagen will oder kann. Je mehr authentisch wirkende Details in einem Leak vorkommen, desto größer ist offenbar der Wille, eine Sache zu untermauern, sie als besonders glaubwürdig darzustellen und somit wiederum die Hürde jeder staatlichen Informationspolitik zu überschreiten – die Möglichkeit, dass Desinformation als solche erkannt wird.

Jetzt – eigentlich schon Ende März, aber es spricht bisher kaum jemand darüber – wurde eine Leitlinie aus dem Pentagon bekannt, die die Unterschrift von Verteidigungsminister Pete Hegseth trägt. Das neue Leak scheint eher jenen informierenden Charakter zu haben als das Huthi- Luftschlags-Leak, obwohl auch das letztgenannte wichtige Informationen zum neuen transatlantischen Verhältnis für die Europäer bereithielt.

Worum geht es also in dieser „vorläufigen strategischen Leitlinie für die nationale Verteidigung“ (Interim National Defense Strategic Guidance), über die die Washington Post zuerst schrieb? Die Leitlinie bestätigt einmal mehr zwei Charakteristika von Trumps Weltsicht. Es wird deutlich, dass die Regierung von Donald Trump ihren strategischen Hauptgegner in niemand anderem als China sieht. In anderen Weltteilen sollen regionale Spieler mehr Verantwortung übernehmen, in Sache Taiwan will das Pentagon engagiert bleiben.

Es ist, so sagt die Washington Post, die Vision Donald Trumps, dass man China im Falle eines Konflikts um Taiwan unbedingt Paroli bieten will. Peking solle diesen Krieg, wenn er kommt, nicht gewinnen können, umschreibt die Post den Inhalt. Kurz nach dem angeblichen Leak verkündete Verteidigungsminister Hegseth auch öffentlich bei einem Japan-Besuch, dass die USA zu einer „glaubwürdigen Abschreckung“ zugunsten Taiwans bereit seien. Der japanische Verteidigungsminister Gen Nakatani konnte nicht mehr zustimmen. Peking hat in letzter Zeit seine aggressiven und raumgreifenden Aktivitäten in den anliegenden Meeren intensiviert.

Nun könnte man auf der anderen Seite annehmen, dass dies die Übertragung der Einkreisungsstrategie à la Zbigniew Brzezinski von Russland auf China ist, und die Kritiker dieser Politik werden in Sachen China wohl irgendwann dieselben Einwände bringen wie schon länger in Fragen Russlands. Doch sind diese strategischen Gegensätze zugleich auch älter als die Großmachtpolitik der USA, man kann sie auf den Gegensatz der Land- und Seemacht zurückführen, so wie die Briten im 19. Jahrhundert eine Seemacht und Russland eine Landmacht war. Diesen Gegensatz wird man nicht leicht ausräumen: Die Seemacht versucht die Landmacht zu fixieren und zu begrenzen, weil sie sonst nicht mehr die Hoheit über die Meere hat. Aber China ist natürlich gerade selbst dabei, sich zur Seemacht zu entwickeln. Das könnte das Rezept noch einmal verändern.

Laut dem Papier wollen die USA daneben Bedrohungen der nationalen Sicherheit im „nahen Ausland“ abwehren, wozu das Pentagon etwa Grönland und der Panamakanal zählt. Das war dank Trumps öffentlichen Aussagen schon bekannt. Zudem soll die US-Armee gemäß dem Hegseth- Papier eine aktivere Rolle bei der Bekämpfung der illegalen Migration und des Drogenschmuggels übernehmen. Auch das ist durch Trumps Notstandsdekrete schon möglich. Das Papier ist als „geheim/nicht für ausländische Staatsbürger“ gekennzeichnet. Diese Geheimhaltung ist also schon einmal misslungen, aber vielleicht sollte sie das. Es ist am Ende durchaus denkbar, dass Trump auch mit der medialen Wirkung des Leaks spielen lässt – und Hegseth scheint einer der engsten Vertrauten des Präsidenten zu sein.

Außergewöhnlich an dieser Leitlinie ist, dass sie eine „mögliche Invasion Taiwans“ als einziges Szenario benennt, das die USA in den Aktionsmodus zwingen würde („exclusive animating scenario“), während andere Gefahrenherde sich eher selbst überlassen bleiben sollen. Wörtlich wird aus dem Hegseth-Papier zitiert: „China ist die einzige durchgreifende Bedrohung aus Sicht des Ministeriums, die Verhinderung einer chinesischen Fait-accompli-Einnahme von Taiwan ist – neben der Verteidigung der USA – das einzige durchgehende Szenario des Verteidigungsministeriums.“

Diese Botschaft ist kaum weniger eindrucksvoll für die Europäer als die des Signal-Chats über Huthis im Jemen. Aus beiden Leaks geht im Grunde dasselbe hervor: Wir holen euch nicht mehr die heißen Kastanien aus dem Feuer; sorgt selbst für eure Sicherheit, egal ob es um Handelswege am Suezkanal oder um die Nachbarschaft zu Russland geht.

Aber auch „militante“ Bewegungen im Nahen Osten und Afrika werden das Pentagon von sofort an weniger interessieren, heißt es im Bericht der Washington Post. Solange eine Gruppe nur regional destabilisiert, aber keinen Ehrgeiz hat, internationale Angriffe vorzutragen, dann soll sie nicht mehr Gegenstand der militärischen US-Außenpolitik sein, was ja nur vernünftig klingt. Das war in Afrika schon länger die Richtschnur, nun also auch im Nahen Osten und Europa. Das ist das Neue. Und auch Taiwan soll durchaus mehr zu seiner Verteidigung beitragen, auch das steht in der Pentagon-Leitlinie.

Es wäre das Ende auch des Mythos vom „Weltpolizisten USA“ – mit daran hängendem „militärisch-industriellem Komplex“ – und der Eintritt in eine realistischere Epoche der Außenpolitik. Demgegenüber hatte die Biden-Regierung noch die Allianz mit den Europäern gepflegt, weil das „der größte globale strategische Vorteil“ für die USA sein sollte. Die neue Regierung sieht das anders. Sie definiert die US-Interessen trennschärfer und empfiehlt damit implizit allen anderen dasselbe – vor allem den Nato-Freunden in Europa. Die werden sich nun lange fragen, ob sie noch „Nato-Freunde“ sind, aber Artikel 5 des Nato-Vertrags wurde noch nicht widerrufen.

Der Teil über Taiwan oder auch die ausgeführten Luftschläge gegen die Huthis zeigen dennoch: Ganz ohne amerikanische Stärke ist auch diese Strategie nicht zu verstehen. Und darin sehen einige inneres Konfliktpotential. An sich bleibt die neue Strategie eine klare Sache: In der Tendenz Hände weg von Russland, Afrika und dem Nahen Osten, dafür große Vorsicht im Hinblick auf China.

Gemunkelt wird nun wieder einmal, ob diese Strategie direkt aus dem Programm „Project 2025“ der konservativen, den Republikanern nahestehenden Heritage Foundation stammt. Dort ist derselbe Dreiklang aus Heimatschutz, Abschreckung einer Invasion Taiwans und mehr Lasten für die Partner zu finden. Eine Ähnlichkeit scheint durchaus gegeben. Ein chinesischer Experte machte hier freilich laut der Pekinger Global Times einen Widerspruch aus: zwischen der America-First-Einstellung Trumps und einem möglichen Abenteuer im Meer zwischen China und Taiwan. Aber mit Isolationismus ist offenbar auch Trumps strategische Wahl nicht gleichzusetzen.

Jedenfalls hat die Sache auch für uns Europäer durchaus Potential, wenn man sich dem angeblichen Leak denn zuwenden würde. Denn natürlich erfahren wir dadurch, dass wir in einer ungemütlicheren Welt leben, in der wir uns selbst verteidigen müssen, und zudem die Beziehungen zu benachbarten Großmächten in die eigenen Hände nehmen müssen. Bisher gab es da sehr viel Marschieren im Gefolge Washingtons, auch in Sachen Ukraine. Nun könnte die Botschaft durchaus lauten: Regelt euer Verhältnis zu Russland, China und anderen auf eure Art, aber tragt dann auch die Konsequenzen. Die Europäer haben derzeit anscheinend noch wenig Lust auf einen Dialog in dieser Richtung. Aber er wird eigentlich auch unmöglich durch die Vielfalt der Standpunkte allein innerhalb der Europäischen Union, die immer wieder unversöhnbar erscheinen. Amerika hat es da besser.

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