
Es ist noch eine Entwicklung, die das Potential hat, die Verhältnisse im Nahen Osten zu verändern. Die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hat auf ihrem zwölften Kongress ihre Auflösung bekannt gegeben und will den bewaffneten Kampf einstellen. Das berichtet die kurdische Nachrichtenagentur ANF. Im Abschlusskommuniqué des PKK-Kongresses heißt es, die PKK habe „ihre historische Mission erfüllt“, die kurdische Frage „ins Zentrum des politischen Diskurses gerückt und die jahrzehntelange Politik der Leugnung und Assimilation durchbrochen“. Nun hofft man auf einen Demokratisierungsprozess
Im Februar hatte der Mitgründer Abdullah Öcalan, der seit 1999 auf der Gefängnisinsel Imrali inhaftiert ist, zur Selbstauflösung der PKK aufgerufen. Damit wollte er angeblich den „Weg für Frieden und politische Lösungen öffnen“, wie eine Vertraute berichtet.
Seit mehr als 40 Jahren strebte die auf marxistisch-leninistischer Basis gegründete Organisation danach, durch einen Guerillakrieg eine Revolution im Südosten der Türkei auszulösen, die in der Befreiung des kurdischen Volks gipfeln sollte. Von Anfang an setzte die PKK dabei auf kriegerische Gewalt, später auch auf Terroranschläge. Die türkische Regierung antwortete mit Militärschlägen gegen kurdische Gebiete.
Seit 2005 vertrat die PKK das Ideenkonstrukt ihres langjährigen Anführers Abdullah Öcalan, den demokratischen Konföderalismus, in dem es angeblich um eine „demokratisch-ökologische und auf Geschlechterbefreiung ausgerichtete Gesellschaft“ gehen soll. Das steht weitgehend im Gegensatz zum islamischen Gesellschaftsmodell der AKP Erdogans, dürfte aber auch unter konservativen Kurden nicht durchgängig beliebt sein. Die PKK war eine Bewegung, die nicht das gesamte kurdische Volk ausdrücken konnte, weil sie gegen Teile davon kämpfte – einzelne Agas und Stammesführer und die angeschlossenen Familienverbände etwa. Nun begrüßt die links-grüne, kurdenfreundliche DEM-Partei die Niederlegung der Waffen und sieht einen „stabilen Frieden nach 50 Jahren Krieg und 50.000 Toten“ heraufziehen. Aber vor allem für Erdogan ist der Schritt ein Erfolg, er hat die PKK nicht weniger bekämpft als seine Vorgänger und zuletzt stets eine „terrorfreie Türkei“ gefordert.
Die Selbstauflösung gilt dabei auch als das Ergebnis von Verhandlungen mit der AKP und dem türkischen Staat. Der Sprecher der AKP erklärte zum PKK-Beschluss: „Unsere Namen mögen unterschiedlich sein, aber unser gemeinsamer Nachname ist: Republik Türkei.“ Angeblich soll es nun zu „umfassenden Reformen im Bereich Demokratie und Rechtsstaat“ kommen, so heißt es aus dem Erdogan-Umfeld. Feste Zusagen wurden freilich keine gemacht.
Vor allem die nationalistische MHP, Erdogans Koalitionspartner, hatte seit Ende letzten Jahres eine Einigung in der Kurdenfrage gefordert. Angesichts ungemütlicher Zustände schien die Zeit zum Zusammenrücken gekommen. Die Türkei hat allerdings auch in den letzten Jahren immer wieder Militärschläge gegen kurdische Stellungen, vor allem in Syrien und dem Irak, ausgeführt. Es handelt sich also einerseits um ein Weichgeklopftsein der kurdischen PKK, zum anderen um den Willen der regierenden AKP-MHP-Koalition, sich besser mit den Kurden ins Benehmen zu setzen.
Zweifellos hat auch der Sturz Assads im Dezember den jetzt beschrittenen Weg geebnet. Vor zwei Monaten stimmte der Anführer der kurdischen Milizen in Syrien der Eingliederung ihrer Streitkräfte in die syrische Armee zu. Bald darauf gelang US-Gesandten die Vermittlung eines Waffenstillstands im vor allem kurdischen Kobane im äußersten Norden Syriens. Seitdem soll es dort nicht mehr zu türkischen Angriffen gekommen sein.
Gewonnen hat damit einerseits – in Syrien wie der Türkei – der konservative, letztlich dschihadistisch ausgerichtete Islam, etwa in der Gestalt des neuen syrischen Präsidenten Ahmed al-Scharaa. Der scheint auch nach dem Geschmack Erdogans zu sein, erlaubt ihm jedenfalls, seine Beten-in-Damaskus-Strategie zum Erfolg zu erklären. Erdogan hatte während des Syrien-Kriegs immer wieder davon gesprochen, dass er eines Tages in der Umayyaden-Moschee in Damaskus beten würde – so wie einst die osmanischen Kalifen.
Zum anderen geht es aber nach dem langen Bürgerkrieg in Syrien auch um Pragmatismus. Die Kräfte, die gestern gegen Assad waren, eint noch so einiges. So werden Kompromisse möglich. Die wirtschaftlich schwierige Lage in der Türkei unterstützt dieses Klima. Zugleich hat sie einen weiteren, auch kurdischen Exodus aus der Türkei gefördert, der sich auch in den deutschen Asylzahlen der letzten Monate niedergeschlagen hat.
Man kann es wohl auch so sehen: Die über mehrere Länder verstreut lebenden Kurden sind im sich neu ordnenden Nahen Osten ein Machtfaktor, den auch die türkische Regierung nutzen will, etwa als zusätzlichen Übertragungsriemen für den eigenen Einfluss in Syrien. Unklar bleibt dennoch, wie sich Kurden in Syrien und dem Nordirak nun verhalten. 4000 Kurden aus der Türkei sind angeblich noch im Nordirak. Die kurdische YPG-Miliz in Syrien hatte immer auf ihrer Eigenständigkeit beharrt, auch wenn Ankara sie als PKK-Ableger sah.