
Die Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf ist abgesagt: Letztendlich war der Widerstand aus der Unions-Fraktion zu groß. Insbesondere mit dem Lebensschutz hatten Unions-Politiker argumentiert – die umstrittenen Positionen von Frauke Brosius-Gersdorf hatten viele christliche Abgeordnete in CDU und CSU nachhaltig irritiert.
Am Donnerstagabend, dem Abend vor den Richterwahlen, veröffentlichte der bekannte Plagiatsjäger Stefan Weber dann Vorwürfe gegen die umstrittene Kandidatin. Er entdeckte diverse „Textparallelen“ zwischen der Dissertation von Brosius-Gersdorf und einem Text ihres Mannes, Hubertus Gersdorf. „26 zum Teil längere Textübereinstimmungen“ stellt Weber in seiner Begutachtung fest.
Die Union nahm das zum Anlass, um jetzt „Plagiatsvorwürfe“ gegen die Kandidatin als Argument für eine Nicht-Wahl vorzuschieben. Die Plagiatsvorwürfe gibt es so jedoch gar nicht. Das stellte auch Stefan Weber selbst klar: „Die Sichtweise der CDU, dass Plagiatsvorwürfe gegen Frau Frauke Gersdorf erhoben wurden, ist falsch“, schrieb er auf X.
Diese waren medial so dargestellt und zunächst so vermarktet worden – strenggenommen waren es aber keine. Und ob man Brosius-Gersdorf nun auch tatsächlich ein akademisches Fehlverhalten vorwerfen kann? Das ist auch auf Basis des Weber-Gutachtens keinesfalls sicher oder klar. Viel spricht aktuell dafür, dass der Juristin in dieser Hinsicht am Ende keine soliden Vorwürfe zu machen sind.
Mit den eiligen, unüberlegt wirkenden Vorwürfen, die die Union und manche Medien kurzerhand aus Webers Begutachtung gedreht hatten, schießen sich CDU und CSU selbst an. Die Argumentation der Unionsabgeordneten mit Blick auf Menschenwürde, Lebensrecht und Lebensschutz von Ungeborenen war stichhaltig und aus konservativ-christdemokratischer Perspektive gut begründet. In ihrer Rechtfertigung flüchteten sich CDU und CSU jetzt jedoch primär in die Plagiatsvorwürfe. Ein strategischer Fehler.
Denn diese sind inzwischen schon wieder entkräftet – ausgerechnet von Stefan Weber selbst. Damit macht die Union sich ganz einfach angreifbar. Für die politische Linke und entsprechende Medien wird es darüber hinaus ein Leichtes sein, auch den Plagiatsjäger Weber persönlich anzugreifen und so von Brosius-Gersdorf abzulenken – ihn und seine Arbeit haben sie etwa in der Affäre Föderl-Schmid schon sturmreif geschossen. Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge attackierte Weber und seine Arbeit schon in der Pressekonferenz ihrer Fraktion. „Der Zeitpunkt, die sich Herr Weber aussucht, sind immer mit Bedacht gewählt.“ Seine Vorwürfe seien oft nicht sauber – „das ist die Art und Weise, wie dieser Mann arbeitet“, schimpfte Dröge.
Das wird der Spin sein, der sich im Zweifel im Nachgang auf linker, medialer Seite durchsetzt. Wenn dann noch die Universität Hamburg, wo Brosius-Gersdorf promovierte, in einer Begutachtung eventuell gar kein Fehlverhalten feststellt, hat sich die Union entscheidend vergaloppiert – und wird als Teilnehmer einer falschen, rechten Kampagne dargestellt werden. Sie hätte ihre eigene, eigentlich solide Argumentation damit in letzter Minute noch torpediert.
In einem erneuten Wahlgang mit Brosius-Gersdorf, an der die SPD festhalten will, könnte die Union dann in einer sehr schlechten Position sein. Wenn der Spin, die Union habe eine Verfassungsrichterin auf Basis von falschen Vorwürfen verhindert, sich am Ende durchsetzt, dürfte der Druck groß genug sein, um die Fraktion doch noch auf Linie zu treiben. Sie hätte ihren eigenen, soliden Widerstand dann am Ende mit falschen Argumenten untergraben. Der Sieg vom Freitag könnte am Ende ein Pyrrhussieg sein.