
„Es lebe Polen“: Das waren die Worte von Karol Nawrocki am Sonntag beim Einwerfen seines Wahlzettels in die Wahlurne etwa gegen Mittag. Jetzt, etwa 16 Stunden später, ist er der Gewinner der Stichwahl um die Präsidentschaft in Polen.
Nach der Zählung von 99,94 Prozent der Stimmen führt der konservative Nawrocki derzeit mit 10.599.628 Stimmen (50,9 Prozent) gegenüber seinem liberalen, pro-europäischen Konkurrenten Rafal Trzaskowski, der mit 10.226.358 Stimmen (49,1 Prozent) zurückliegt. Es geht also am Ende gerade mal um etwas mehr als 300.000 Stimmen, die die polnische Stichwahl entscheiden.
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Am Anfang des Abends hatte das noch ganz anders ausgesehen: Das Umfrageinstitut Ipsos hatte am Wahlabend im Auftrag der polnischen Sender TVP, TVN und Polsat zunächst 50,3 Prozent für Trzaskowski und 49,7 Prozent für Nawrocki gemeldet. Auch eine zweite Erhebung der OGB für den Sender Republika wies mit 50,17 zu 49,83 Prozent einen knappen Vorsprung für Trzaskowski aus. Erst gegen Mitternacht, mit Beginn der Auszählung, konnte Nawrocki aufholen und das Präsidentschaftsamt nun in konservativen Händen behalten.
Bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl vor zwei Wochen hatte Rafał Trzaskowski, der für die regierende Partei PO von Ministerpräsident Donald Tusk antrat, die meisten Stimmen erhalten. Trzaskowski erhielt damals 31,1 Prozent der Wählerstimmen, damit lag er noch knapp vor dem parteilosen Kandidaten Karol Nawrocki, der 29,1 Prozent der Stimmen bekam. Dritter Platz war der stark nationalistische Sławomir Mentzen geworden, der vor allem auch bei den jungen Wählern punkten konnte.
Die Wahl von Nawrocki ist ein Votum der Polen für nationale Identität sowie gegen die Regierung Tusk und ihren EU-nahen Kurs. Nawrocki, ehemaliger Boxer und Sieger im polnischen Juniorenwettbewerb im Schwergewicht, war bei der Wahl mit deutlich konservativen Positionen angetreten. Der als PiS-nahe geltende Kandidat hatte vor allem mit den Themen Migration und EU-Kritik Stimmen für sich gewinnen können. Nawrocki will etwa den Grenzschutz an Polens Außengrenze weiter verschärfen, hatte öffentlich angekündigt, den EU-Migrationspakt aufzukündigen. „Das ganze Lager der Menschen, die ein normales Polen wollen, ein Polen ohne illegale Migranten, ein sicheres Polen“, hätte heute Nawrocki gewählt, hieß es so etwa nochmal am Wahlabend von ihm selbst. Auch die Europäische Union sieht er sehr skeptisch – gerade in diesem Thema hatte es zu seinem stark pro-europäischen Gegenkandidaten Trzaskowski den stärksten Unterschied gegeben. So will er die polnische Identität stärken und die nationale Souveränität beibehalten.
In dem wichtigen Thema Ukraine steht Nawrocki auch klar gegen den russischen Aggressor, wenn er sich auch skeptisch gegenüber einem NATO-Beitritt der Ukraine oder der Stationierung polnischer Soldaten in der Ukraine geäußert hatte. Über Jahre hatte sich Nawrocki für den Abriss sowjetischer Kriegsdenkmäler eingesetzt und landete im Februar 2024 deswegen auch auf der Fahndungsliste von Putins Behörden.
Weiter steht Nawrocki für eine Aufstockung der polnischen Armee auf 300.000 Soldaten und will dafür 5 Prozent des BIP in das Militär fließen lassen. Auch Steuersenkungen stehen auf dem Programm. Der Einkommensteuersatz für Familien mit zwei und mehr Kindern bis zu einer jährlichen Einkommensgrenze von 140.000 Złoty je Elternteil soll auf null Prozent gesetzt werden und ein generelles Veto gegen Steuererhöhungen und eine verfassungsmäßige Garantie für steuerfreies Erben sollen in seiner Amtszeit Realität werden. Es soll ein Vorrang für polnische Staatsbürger beim Zugang zu Sozialleistungen, Gesundheitsversorgung und Bildung geben. Den European Green Deal will Nawrocki aufkündigen und stattdessen mehr Atomkraft bauen. Klar stellt er sich auch in den Dienst der christlichen Tradition Polens: So will er die kulturelle und religiöse Identität des erzkatholischen Landes stärken. Weiter lehnt Nawrocki die einfache Geschlechtsänderung bei Kindern und setzt sich gegen eine ideologisierte Bildung in Schulen ein.
Mit knapp 72 Prozent war die Wahlbeteiligung am Sonntag sehr groß gewesen. Nawrocki wird im August 2025 das Amt von dem scheidenden PiS-Präsidenten Andrzej Duda übernehmen. Dieser durfte nicht mehr antreten, weil er bereits zwei Amtszeiten hinter sich hat. Der polnische Präsident ist zu vielen politischen Entscheidungen befähigt. Er hat das Recht, Gesetze einzubringen und kann entscheidend gegen jedes Gesetz der Regierung Tusk Veto einlegen. Dies kann zu Blockaden führen, die nur durch eine Drei-Fünftel-Mehrheit im polnischen Parlament, dem Sejm, überwunden werden können – eine Mehrheit, die Tusk derzeit nicht hat. Beobachter fürchten daher Blockaden an vielen Stellen – schon zwischen Tusk und Duda lief die Zusammenarbeit teilweise alles andere als reibungslos.