
Der konservative Kandidat Karol Nawrocki hat die Stichwahl um das Präsidentenamt in Polen für sich entschieden. Nach der Auszählung aller Stimmen kommt der promovierte Historiker auf knapp 51 Prozent, sein linker Gegenkandidat Rafał Trzaskowski auf 49 Prozent. Das offizielle Endergebnis wurde bereits verkündet, die polnischen Medien stützen sich jedoch schon am frühen Morgen auf die Auszählung von 100 Prozent der Stimmen durch die Wahlleitung. Demnach kam Nawrocki auf 10.606.807 und Trzaskowski auf 10.237.286 Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag mit knapp 72 Prozent höher als im ersten Wahlgang.
Dabei hat sich der Stellvertreter Donald Tusks schon eine Minute nach der Schließung der Wahllokale zum Sieger erklärt. Trzaskowskis Anhänger lagen sich in den Armen, Luftschlangen und Konfetti flogen durch den Raum, die mitgebrachten Kühlboxen waren schnell geleert und prominente PO-Politiker feierten seine Ehefrau bereits als künftige „First Lady“. Und dies, obwohl nüchternere Parteifreunde zur Vorsicht mahnten, denn der Vorsprung des linken Kandidaten betrug zu diesem Zeitpunkt lediglich 0,6 Prozent. Die verfrühte Euphorie dauerte dann auch nur zwei Stunden: In der nächsten Prognose um 23:00 Uhr ging Karol Nawrocki mit 51 Prozent der Stimmen in Führung.
In den rund zwei Wochen vor der Stichwahl wurde mit harten Bandagen und falschen Anschuldigungen gekämpft. Einige Tage vor dem Wahlsonntag hat das vom Ausland finanzierte Nachrichtenportal „Onet“ eine Hetzkampagne gegen Nawrocki losgetreten, die für zahlreiche Wähler nach einigen Tagen allzu durchschaubar wurde. Auch Polens Ministerpräsident Donald Tusk nahm an dieser zweifelhaften Kampagne teil, versuchte in einem langen Fernsehinterview den PiS-Kandidaten mit der Danziger Unterwelt in Verbindung zu bringen.
Doch diese Operation ging in die Binsen: Der Premier war schlecht vorbereitet, begann zu straucheln, trug willkürlich zusammengetragene Zitate von zwielichtigen „Zeugen“ vor, die er augenscheinlich besser kannte als der Präsidentschaftskandidat Nawrocki selbst. Zudem haben Tusks Behörden vorher den konservativen Kandidaten eingehend überprüft und nichts über ihn gefunden. „Diese Hetzkampagne auf der Zielgeraden beruhte ausschließlich auf üblen Verleumdungen. Man muss wirklich blind sein, um dies nicht zu erkennen. Wäre die Hetze nicht so dramatisch für unser politisches und gesellschaftliches Miteinander, hätten wir es mit einer grotesken Komödie zu tun. Ich begreife nicht, wie Tusk so tief fallen konnte“, sagte der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński, dem die große Erleichterung am späten Wahlabend förmlich anzusehen war.
Nicht nur Tusk, sondern auch Trzaskowski selbst hat die wichtigste Erkenntnis der Fehlerforschung erneut übersehen: Je mehr Fehler sichtbar werden, desto seltener wiederholen sie sich. Der Oberbürgermeister Warschaus, der bereits vor fünf Jahren gegen den amtierenden Staatspräsidenten Andrzej Duda verlor, ignorierte geflissentlich die konservative Wählerschaft, redete nicht mit Journalisten und Redaktionen, die eine andere Meinung vertreten. Stattdessen konzentrierte er sich auf Genderfragen, den Kampf um die Anerkennung der Sprache der Schlesier sowie rechtliche Regelungen zu Schwangerschaftsabbrüchen und Cannabis. Millionen Wähler erkannten ebenso die Gefahren des von Trzaskowski unterstützten European Green Deals, der mit seinem kühnen Ehrgeiz zwar rasche „Klimaneutralität“ verspricht, für die meisten polnischen Unternehmen aber mehr als nur hochgesteckte Ziele bedeutet.
Nawrocki wiederum profitiert von seinen Fähigkeiten als Historiker, legte im Präsidentschaftswahlkampf viel Wert auf eine Politik, die ihre Motive und Absichten systematisch von den geschichtlichen Erfahrungen des eigenen Landes herleitet. Erinnerungspolitisch besonders wichtig ist ihm zum Beispiel das Gedenken an hunderttausende polnische Familien, die im Zweiten Weltkrieg ihr Leben riskierten, indem sie die von den Deutschen verfolgten Juden bei sich zu Hause versteckt hatten. Zudem hat Nawrocki kein Thema so forciert wie die illegale Einwanderung. Bei keinem anderen Politikfeld, mit Ausnahme der linkslastigen Veränderungen des Bildungssystems und des nach wie vor miserablen Zustands des Gesundheitswesens, war sein Widersacher Trzaskowski bis zuletzt so sehr in der Defensive.
Polens zukünftiger Staatspräsident Karol Nawrocki war in den Jahren 2017-2021 Direktor des Museums des Zweiten Weltkriegs und ist seit 2021 Chef des für Erinnerungspolitik sehr bedeutenden Instituts für Nationales Gedenken. Der gebürtige Danziger promovierte 2013 mit einer Dissertation unter dem Titel „Gesellschaftlicher Widerstand gegen die kommunistische Macht in der Woiwodschaft Elbląg 1976-1989“. Außerdem war der 42-jährige Nawrocki in seiner Jugend ein leistungsstarker Sportler. Er spielte Vereinsfußball und belegte 2004 den ersten Platz beim Boxturnier um den polnischen Pokal für Junioren in der Gewichtsklasse bis 91 kg.
Im Februar 2024 wurde er vom Innenministerium der Russischen Föderation auf die Fahndungsliste gesetzt, weil er sich als einer der ersten dazu aufraffte, Symbole des sowjetischen Totalitarismus aus der polnischen Landschaft zu entfernen. Außenpolitisch huldigt Karol Nawrocki intakten Beziehungen zu Donald Trump und gibt bilateralen Beziehungen mit den Vereinigten Staaten Vorrang vor multinationalen Abkommen mit Brüssel, gerade in den Bereichen Sicherheits- und Migrationspolitik.
Nicht von ungefähr wurde in den Medien das Rennen um den Warschauer Namiestnikowski-Palast als ein „Stellvertreterkrieg“ zwischen Washington und Brüssel bzw. Berlin bezeichnet. In dem bereits erwähnten und aus Tusks Sicht misslungenen Interview vom Mittwoch fragte der Polsat-Journalist Bogdan Rymanowski: „Herr Premierminister, Karol Nawrocki wird vielleicht am Sonntag die Präsidentschaftswahl gewinnen. Wie wollen sie künftig mit ihm zusammenarbeiten, nach all dem, was Sie in den letzten Wochen und heute hier über ihn gesagt haben?“ Donald Tusk schwieg beredt. Wir dürfen auf die nächsten Wochen und Monate gespannt sein.