Gipfel ohne Sturm: Warum die Politik so gern „Gipfel-Treffen“ inszeniert – ohne, dass diese etwas verändern

vor etwa 12 Stunden

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Wenn Macht und Kanzler wechseln, sind die Unterschiede in der Amtsführung genauso aufschlussreich wie die Kontinuitäten. Kanzler Friedrich Merz (CDU) zum Beispiel lädt an diesem Montag zum Investoren-Gipfel ins Kanzleramt und knüpft damit an eine lange Tradition von Auto-, Energie-, Sozial- und anderen Gipfeln an, die Vorgänger Olaf Scholz (SPD) genauso zelebrierte wie dessen Vorgängerin Angela Merkel (CDU). Auch Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) ist vor Ort und lässt sich den Auftritt natürlich nicht nehmen.

Die (etwas schlichte) Botschaft: die wichtigen Leute beim Kanzler. Die packen an. Es geht vorwärts. Deutschland als Chefsache. In der Folge entstehen passende Bilder und wohlwollende Statements. In der Realität bleiben solche Inszenierungen in der Regel folgenlos.

Ex-Bundeskanzlerin Merkel hält eine Pressekonferenz nach einem China-Gipfel.

Nun sollte man die psychologische Wirkung solcher demonstrativen Bemühenszusagen und den dokumentierten Willen der Politik nicht gänzlich verächtlich machen. Merz will einen Politikwechsel und einen neuen Schub für die Wirtschaft, da schaden solche Auftritte gewiss nicht. Sie nützen allerdings auch nur etwas, wenn die realen politischen Rahmenbedingungen stimmen. Und hier sieht es bislang mau aus. Die Bundesregierung hat sich Milliarden-Kredite genehmigt und Sonderabschreibungen auf den Weg gebracht. Kein Unternehmer investiert aber in Anlagen, wenn er zweifelt, ob Energiepreise und vom Sozialsystem getriebene Lohnkosten in Zukunft die Gewinne drücken oder auffressen.

„In einer Strukturkrise, in der wir uns ja befinden, kommt es darauf an, dass substanzielle Veränderungen für die Investoren zustande kommen und nicht einfach der moralische Aufruf, dass Deutschland so toll ist“, sagt Top-Ökonom Lars Feld im Gespräch mit The Pioneer. Und der Düsseldorfer Wettbewerbsökonom Justus Haucap ergänzt: „Jetzt stürzt man sich auf die Psychologie statt auf die Rahmenbedingungen, weil das so schwer und die Umsetzung der Psychologie vermeintlich einfach ist. Das muss genau anders sein.“

Der Spitzenökonom Justus Haucap ist Herausgeber von „Perspektiven der Wirtschaftspolitik“.

Außerdem wollen Siemens-Chef Roland Busch, Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing und Alexander Geiser, Chef der Kommunikationsberatung FGS Global, laut Handelsblatt mit der Investitionsoffensive „Made in Germany“ rund 300 Milliarden Euro demonstrativ in Deutschland investieren und damit im Schulterschluss mit der Politik eine Art psychologisch-ökonomische Anschubfinanzierung für den Standort auf den Weg bringen. Mit dabei offenbar außerdem Mercedes und BMW, der Springer-Verlag, der Technologiekonzern SAP, die Deutsche Börse, Finanzinvestoren KKR und Advent sowie die Commerzbank.

Spätestens hier wird es klebrig. 300 Milliarden klingen in den Ohren des Kleinsparers nach einer ordentlichen Summe, sind angesichts eines Bruttoinlandsprodukts von gut vier Billionen Euro aber eher eine symbolische Summe, die die beteiligten Unternehmen vermutlich ohnehin für Unterhaltung von Standorten oder Modernisierung in den Büchern hatten.

Kein Unternehmer stellt seine Firma als Polit-PR ins Risiko-Feuer. Wer bei solchen Gipfeln dabei ist, verbessert mit solcherart dokumentiertem guten Willen seine Gesprächsgrundlage für Wünsche an die Politik, es mit Regulierungen nicht zu übertreiben oder etwa bei der Unternehmensbesteuerung nicht so hinzulangen.

Am Montag lädt der Kanzler zu einem Investorengipfel; die Nachricht, die damit gesendet werden soll: Die wichtigen Menschen packen an.

Selbstverständlich kann es nicht schaden, wenn wichtige Arbeitgeber einen guten Draht zur Bundesregierung haben, um auf kleinem Dienstweg zu intervenieren, wenn Dinge völlig falsch zu laufen drohen. Die Grenzen zur Anbiederung sind allerdings mehr als fließend. Vor gut einem Jahr etwa sprangen führende deutsche Konzerne und Verbände vor den Europawahlen unter dem Motto „We stand for values“ (Wir stehen für Werte) der damaligen Ampel-Regierung bei. Zu den Mitgliedern gehörten ebenfalls die Deutsche Bank, Siemens, Mercedes und BMW. Die Botschaft war auch damals nicht misszuverstehen. Im Grunde wusste jeder, gegen wen oder welche Partei hier Stellung bezogen wurde und mit wem sich die Wirtschaft nicht ganz uneigennützig arrangierte.

Wie windig solches polit-ökonomisches Possenspiel mitunter daherkommt, konnte man vor wenigen Wochen beobachten. So diagnostizierte die staatliche Förderbank KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) im dritten Quartal 2024 die Unternehmensinvestitionen in Deutschland preisbereinigt um 6,5 Prozent und die Gesamtinvestitionen des Privatsektors um 8,3 Prozent unter dem Niveau von Ende 2019. Im gleichen Atemzug erklärte KfW-Chef Stefan Wintels, dass internationale Investoren wieder Interesse an Deutschland zeigten. In seinen mehr als dreißig Berufsjahren habe er noch nie so einen rasanten Stimmungswechsel bei Investoren erlebt, so Wintels.

Stimmung ist immer gut. Besonders im Karneval. Kaufen kann man sich für Stimmung allerdings nichts. Für positive Stimmungsmache allerdings auch nicht. Oder wie es Arbeitgeber-Chef Rainer Dulger zu sagen pflegt: „In meiner Welt zählt, was auf dem Lieferschein steht.“

Man kann nur hoffen, dass beim heutigen Wirtschaftsgipfel im Kanzleramt wenigstens hinter verschlossenen Türen Klartext geredet und nicht gebuckelt wird.

Auch bei NIUS: Schulden, Wirtschaftsturbo und AfD-Verbot: Der Koalitionsausschuss will für gute Stimmung in Deutschland sorgen

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