
Im Sprachlabor des Verfassungsschutzes haben sich Wortakrobaten ein besonderes Unwort einfallen lassen: „gesichert rechtsextrem“. „Rechtsextrem“ reicht nicht. „Gesichert rechtsextrem“ heißt es.
Der Verfassungsschutz hat zwar dieses Etikett für die Zeit des laufenden Verfahrens sogleich wieder zurückgenommen, zumindest erklärt, es vorerst nicht öffentlich zu benutzen. Aber schon meine Tochter musste im Alter von zwei Jahren feststellen: Ist die Zahnpastatube einmal ausgedrückt, kriegt man das Zeugs nicht mehr in die Tube zurück. Den Verfassungsschutz mag es freuen.
„Gesichert rechtsextrem“ – da schwingt eine ganze Menge mit: Bei „sicheren“ Dingen liegt alles klar und offensichtlich auf der Hand. Bei „sicheren“ Dingen braucht es keine Diskussion, keine Auseinandersetzung und keine Argumente mehr; kein Zweifel, kein Zögern, kein Zaudern.
Wer hingegen „sichere“ Dinge infragestellt, der stellt sich selber von vornherein ins Abseits, in die Ecke der Dummen und Schwurbler.
So wird ein Tabu errichtet, ein ungeschriebenes Gesetz, das jeden auf das Minenfeld des Tabubruchs hinauskatapultiert, der diese sichere Wahrheit in Zweifel zieht.
„Gesichert rechtsextrem“ ist die Sprache von Behörden und Politikern, die voller Selbstsicherheit den Bereich der Unfehlbarkeit betreten.
Im Juli 1870 hat das erste Vatikanische Konzil dem Papstamt Unfehlbarkeit dogmatisch zugesichert. Dies gilt nicht für alles, was der Papst sagt. Genau wie ja auch nicht alles von der Behörde des Innenministers, dem Verfassungsschutz, unfehlbar ist. Das Unfehlbarkeitsdogma gilt nur, wenn der Papst im gesicherten Modus spricht, das heißt, wenn der Papst „in höchster Lehrgewalt“ (ex cathedra) spricht.
Doch wenn das geschieht, dann gibt es nur noch eines: unbedingten Gehorsam. Oder in der Sprache des Dogmas: „Diese endgültigen Entscheidungen des Römischen Papstes sind aus sich heraus und nicht aufgrund der Zustimmung der Kirche unabänderlich. Wenn sich jemand – was Gott verhüte – herausnehmen sollte, dieser unserer endgültigen Entscheidung zu widersprechen, so sei er ausgeschlossen.“
Seit den 155 Jahren des Unfehlbarkeitsdogmas hat lediglich ein einziger Papst von diesem Dogma Gebrauch gemacht: Papst Pius XII, der die leibliche Aufnahme Marias in den Himmel unfehlbar verkündete. Dagegen haben viele andere Päpste gleich zu Beginn ihrer Amtszeit betont, niemals dieses Dogma für sich in Anspruch zu nehmen. Der Vatikan scheint in der Praxis äußerst feinfühlig mit diesem Dogma umzugehen.
Nancy Faeser hat kurz vor ihrem Abgang im gesicherten Modus „in höchster Lehrgewalt“ gesprochen: „gesichert rechtsextrem“. Diesem Votum zu widersprechen verlangt von Bürgern, Politikern und Richtern ab jetzt noch mehr Mut. Ich hoffe, dass es in unserer Gesellschaft genügend politische Protestanten gibt, die daran festhalten: „Sicher“ ist im Bereich der Politik nur eins: Wer seine Wahrheit mit Unfehlbarkeitsanspruch anderen aufoktroyiert und die Kritik daran in den Bereich des Tabus hineinzieht, der ist meist ziemlich weit weg von der Wahrheit. Wo aber täglich um die Wahrheit offen und ehrlich gerungen wird, da besteht die Hoffnung, der Wahrheit ein paar Millimeter näher zu kommen. Und da besteht die Hoffnung, dass eine Gesellschaft menschlich bleibt, denn irren ist menschlich.
„Gesichert rechtsextrem“ ist eine autoritäre Sprechweise, die sicher zu einer allzusicheren Innenministerin und ihrer gesichert weisungsgebundenen Behörde passt, die aber sicherlich keinen Platz in einer lebendigen und progressiven Demokratie hat.