
Da in dieser Kriminalkomödie eine Lebensbeichte nach der anderen abgelegt und ständig Herzen ausgeschüttet werden: Der Kern des Pudels (Chihuahua von Dragqueen Peekabou) scheint doch zu sein, dass der Polizeiruf München sich als ungeliebtes Besserwessi-Stiefkind nie wirklich in der alten DDR-Serie zu Haus gefühlt hat. Und weil man keine Hoffnung haben konnte, wenigstens mit dem alten weißen Ermittlergespann Wachtveitl und Nemec aus dem Münchner Tatort auf Augenhöhe zu kommen, muss man immer wieder tief in die Grabbelschublade greifen, um einigermaßen auf Quote zu kommen.
Die Augsburger Allgemeine ist wenig begeistert: „Einfach zu schrill … es ist so einiges drüber in dieser Folge. Was nicht nur nervt, sondern auch wirklich schade ist.“
Im bunten und diversen, aber trotzdem sündhaft teuren Münchner Bahnhofsviertel erschießen zwei minderjährige Killer der Albanischen Mafia (dass „Albanisch“ ungefähr 20-mal in diesem Polizeiruf im Zusammenhang mit Kriminalität erwähnt wird, ist ein Nackenschlag für das kleine Land, das gerade erst Partner der Internationalen Tourismusbörse Berlin war) den Eigentümer und Nutznießer (seine einzige Einkunftsquelle) eines großen Münchner Mietshauses auf offener Straße, drapieren ihn noch gemütlich mit dem Symbol ihres Clans „Peschkatar“ (Albanischer Name des Clans „Fischer der Frauen“), einem Fischernetz. Angeblich sind die bayerische Hauptstadt und ihre Immobilien so begehrt bei osteuropäischen Clans, dass deren Oberhaupt sogar der Polizei angeboten hätte, im Gegenzug für „Freie Bahn“ für Ordnung auf den Straßen zu sorgen.
Der Inhaber des Afghanischen Supermarkts (Ali Bulgan), offenbar Ur-Münchner, beschwert sich: „Deutschland ist eine Einladung an alle Verrückten der Welt: Kriminell sein und als Dankeschön kriegst Du Bürgergeld“. Eine einzige „Hölle aus Kriminalität und Verfall sei die Stadt“, in der sich Clans aus Osteuropa breit machten und schonmal die Geschäfte auskundschaften würden.
Menora Rothschild (bürgerl. Samy Dardo, gespielt von Bozidar Kocevski), Peekabou (bürgerl. André Tullack, gespielt von Meik van Severen) und Tulip (bürgerl. Marco Silberschneider, gespielt von Patrice Grießmeier) betreiben gleich neben Alis Laden ihren Varieté-Club „Rainbow“ und werden auf dem Nachhauseweg Zeugen der brutalen Hinrichtung des Großvermieters, ziehen aber aus Angst vor, sich nicht bei der Polizei zu melden.
Hauptkommissarin Cris Blohm (Johanna Wokalek) und ihr Kollege Dennis Eden (Stephan Zinner) untersuchen den Fall und finden schnell heraus, dass die drei Dragqueens etwas zu verbergen haben. Obwohl das Trio meint, eigentlich entrückt in einer queeren Parallelwelt zu leben, und dieses Verbrechen in „Eure“, in die Welt der Normalos, gehöre – die beiden Killer sind ihnen nun auf den abwechselnd in Highheels oder Plüschschlappen steckenden Fersen.
Es entspinnt sich ein eher albernes Katz- und Mausspielchen, das sich zur besseren Veranschaulichung einer angeblich existierenden tiefgreifenden gesellschaftlichen Kontroverse fort aus dem toleranten und bunten München aufs erzkatholische Land (Neufahrn) in ein ziemlich verlottertes „Safehouse“ der Polizei verlagert. Dort schreitet der Pfarrer mit gebieterischer Geste über die Straße und man kann Birnenmarmelade, wie „Peekabou“ begeistert feststellt, noch mit direkt vom Baum gepflückten Birnen einkochen.
In kaum erträglichem Minutentakt lassen Buch und Regie (Günter Schütter und Dror Zahavi) flachen queeren Humor und dröge Retourkutschen des als „alten Büffelhoden“ diffamierten Dennis Eden aufeinanderprallen. Kommissarin Blohm kann sich vornehm auf ihr Mauerblümchendasein zurückziehen, die noch auf „den richtigen Burschen“ warte. Spekulationen über die Selbstmordrate auf dem Land werden von Bekenntnissen „am binären Gendersystem patriarchalischer Strukturen rütteln zu wollen“ abgelöst. Bewachte und Beschützer kommen sich unter dem Druck der Verfolgung mühsam näher, man erkennt die schreienden Ungerechtigkeiten, denen man hüben wie drüben immer schon ausgesetzt war.
Es gibt auch Lichtblicke in einer als „homophob“ empfundenen Beleuchtung: Drei Mädels aus der Dorfjugend entscheiden sich dafür, einer völlig neuen Heiligen (Wilgefortis, bisher nicht offiziell heilig gesprochen, der Legende nach vom eigenen Vater wegen Bartwuchs ans Kreuz geschlagen) zu huldigen, die die „drei Grazien“ bereits aus dem Augenwinkel als „Conchita Wurst“ indentifiziert zu haben glauben. Die drei jungen Frauen verkleiden sich als Männer, kleben sich Bärte an und crashen erfolgreich die wilde Tanzparty, die sich in der Schutzunterkunft entwickelt hat.
Eden gibt zu, dass seine Mitschülerinnen früher immer besser benotet, seine Kolleginnen immer schneller befördert wurden. Er lernt den „Rumba“ von Peekabou, die gesteht, vom eigenen Basketballlehrer zusammengeschlagen worden zu sein. Tulip wurde von ihrer Mutter an einem Bahnhof ausgesetzt („ich bin gleich wieder da …“) und Samy alias Menora Rothschild hat seine aus dem Iran zugewanderte Familie verlassen, weil die ihn als „Schande“ empfanden.
Seine Mutter hatte stellvertretend für eine verständnislose und intolerante Gesellschaft einen Auftritt im „Rainbow“ vor ihrem Sohn, bei dem sie versuchte, ihn mit einer pelzbesetzten Jacke zu gewinnen. Verstehe er denn nicht, dass eine Mutter nicht tatenlos zusehen könne, wenn der „Lebensstil ihres Kindes in die Gosse führt …?“ Kellner und Schauspieler, das seien „die Assis der Gesellschaft“ in die sie seine beiden „Fummeltrinen“ mit einbezieht. Samy aber blieb unbeirrt, nahm sie zärtlich in die Arme, verabschiedete sich: Sein Platz in der Gesellschaft sei hier, bei seiner Family.
In Neufahrn spitzt sich die Lage zu: Die Albaner haben den Unterschlupf gefunden und es kommt zu einer wilden Schießerei, bei der Eden angeschossen wird. Die schnelle bayerische Polizei erscheint zur Rettung und kann die Banditen auf der Flucht festnehmen. Tulip, Peekabou und Menora entscheiden sich, gegen die zwei Auftragskiller auszusagen, die jedoch wegen der „sozialen Zwangslage, in der sie sich wegen der Zugehörigkeit zum Clan befanden“ und als Heranwachsende nur zu 4 Jahren verurteilt werden.
Wegen der Aussicht, dass die beiden Täter bald mit Rachegedanken wieder frei sein könnten, bietet Blohm den Dreien eine „von einer Ermittlung übriggebliebene Waffe“ zur Selbstverteidigung an, obwohl sie eigentlich bisher der Meinung war, dass „Waffen nicht in die Hände der Bevölkerung gehören“. Sie sollten nur bitte schnell ihren Waffenschein machen.
Der Polizeiruf München nähert sich immer mehr einer Persiflage und besonders bei dieser Folge ist spürbar, dass die Schauspieler merken, wohin die Reise geht. Besonders klar wird das am Schluss, als Cris Blohm sich als Judy Garland verkleidet zwischen Löwe, Blechmann und Vogelscheuche (Zauberer von Oz) im „Rainbow“ singend auf die Bühne begibt, während Kollege Eden im Krankenhaus liegt. Wenn das mal nicht auf ein baldiges Karriereende hindeutet …