
Nachdem die ARD am 2. Februar den Polizeiruf Magdeburg aus dem Programm genommen hatte, weil der böse Erinnerungen an den Weihnachtsanschlag hätte wecken können – „Auch wenn der Film nicht von einem Anschlag handelt, so enthält er aufgrund seiner Thematik doch Elemente, die aktuell als belastend empfunden werden könnten“ –, wurde er nun doch gesendet. Dass es gerade in Stuttgart einen Totraser-Zwischenfall gegeben hat, scheint der Sender diesmal auszuhalten.
Nebenbei nutzt man wie gewohnt die Gelegenheit, den vielen sonntäglichen Zuschauern (diesmal wohl über 8 Millionen), besonders aus Mitteldeutschland, Aufklärung und Einordnung widerfahren zu lassen. In Sachsen-Anhalt, so wird es hier dargestellt, ist doch vieles, wenn nicht alles, in bester Ordnung! Marode Infrastruktur? Sehen sie sich doch die Hochglanzbilder dieser Bundesautobahn, dieser Elbbrücken an! Pflegenotstand, Zuwanderung, Stromversorgung, Prostitution? Alles im Grünen Bereich.
Hauptkommissarin Doreen Brasch (Claudia Michelsen) schlummert tief und ruhig im Schatten sich majestätisch drehender Windräder, als sie zu einem Verkehrsunfall gerufen wird. Sarah (eigentlich Sandra) Polzin (Mareike Sedl) wurde angefahren und vom Aufprall in den Wald neben der Fahrbahn geschleudert. Weder der zufällig vorbeikommende Fahrradfahrer noch der herbeigerufene Streifenpolizist waren offenbar in der Lage, das, was die Kriminalpolizistin nun routinemäßig durchführt, zu bewerkstelligen: festzustellen, ob die Bewusstlose noch lebt. Schlecht für Sarah (Sandra) – die Schwerverletzte erhält erst verspätet medizinische Notfallhilfe. Von nun an quält sich der Krimi mit vielen Rückblenden durch ihre seelischen Leiden und Qualen, die erst durch den Zusammenprall mit einem silbergrauen Mercedes ein Ende fanden.
In eindringlichen Einstellungen des von Gram zerfurchten Gesichts entwirrt sich die Geschichte des Opfers langsam, verzögert von Braschs nörgelndem Chef Kriminalrat Uwe Lemp (Felix Vörtler), der wie Kollege Günther Márquez (Pablo Grant, verstorben nach Drehschluss, in seiner letzten Rolle) meint, dass man für diesen Verkehrsunfall „nicht zuständig sei“ und dem außerdem ständig „die Leute fehlen“, um die „unzähligen silbergrauen Mercedes“ in Sachsen-Anhalt zu überprüfen.
Die glückliche Existenz der Lehrerin Sandra Polzin mit Mann und Sohn im Häuschen im Grünen wurde 5 Jahre zuvor jäh durch einen Autounfall beendet, den sie als Einzige überlebte. Der Unfallverursacher floh und konnte nicht ermittelt werden. Diese Tragödie stürzte die Frau in eine depressive Abwärtsspirale, die in die Kündigung und dem Hinauswurf aus dem Eigenheim mündete.
Nun obdachlos und traumatisiert zieht es die vor dem Leben Flüchtende zu dem Mietshaus zurück, in dem sie ihren Mann einst kennenlernte. Dort wohnt nun die alleinerziehende Studentin Berna Kandemir (Rona Özkan) mit ihrer aufgeweckten Tochter Aylin (Soraya Maria Efe). Berna nimmt die Frau, die sich Sahra nennt und die sie noch nie zuvor gesehen hat, großzügig bei sich auf, untervermietet ihr das Zimmer von Aylin und erlaubt ihr, sich um das Mädchen zu kümmern. Berna ermöglicht es Sahra auch, schichtweise für sie bei einer Magdeburger Putzkolonne einzuspringen.
Auf Putzeinsatz im Excelsior Hotel erkennt Sarah den Mann, den sie schwerverletzt nur schemenhaft am Unfallort, wo ihre Familie starb, wahrnehmen konnte: Es war Stararchitekt René Tamm (Stephan Kampwirth), Mäzen, Förderer und Großspender (unterstützt einen Trauerhilfeverein). Nun nimmt Sahra mit Bernas kleinem Opel Corsa die Verfolgung von Tamms rotem Porsche auf, findet sein Designerhaus in der Provinz und konfrontiert ihn und seine Frau mit ihrer damaligen Fahrerflucht. Obwohl sich Tamm bei ihr entschuldigt (eigentlich hatte seine Frau Lucy, gespielt von Martina Ebm, den Wagen gefahren) und ihr Geld anbietet, „viel Geld“, lässt Sahra die Tamms nicht in Frieden, sondern „stalkt“ sie weiter.
Als Kommissarin Brasch gegen Tamm ermittelt, weil Sahras Jagd auf dessen Porsche im Excelsior auf dem Parkhausvideo festgehalten wurde, lässt der seinen Anwalt Wiczorek (Christoph Gaugler) gegen die Ermittlungen vorgehen, in dem er Lemp droht: „wäre doch schade, wenn der diesjährige Polizeiball ausfällt“. Dass genügt dem Kriminalrat, um Brasch zu raten: „Lassen sie los, lassen sie es ruhen, Suizid, Unfall, vielleicht werden wir es nie erfahren.“
Der Waldweg, auf dem die offenbar aus Osteuropa stammende Prostituierte Dorota (Iza Kala) ihren Wohnwagen als mobiles Bordell abgestellt hat, liegt gleich neben der Stelle, an der Sarah angefahren wurde. Mit der Androhung der Abschiebung „wer nicht mithilft, kann gehen“, erreichen Lemp und Brasch, dass Dorota zugibt, die mittlerweile im Krankenhaus an ihren schweren Hirnverletzungen Verstorbene gekannt zu haben. Sahra habe sich an mehreren Abenden dort aufgehalten und geplant, sich vor den Wagen Tamms zu werfen, der hier regelmäßig auf dem Heimweg vorbeifuhr.
Nach mehreren erfolglosen Anläufen habe sie es dann über sich gebracht und sich vor Tamms Wagen gestürzt. Vor Gericht bleibt Dorota bei ihrer Aussage und identifiziert den Architekten deutlich als denjenigen, der noch, um sich den Schaden anzusehen, ausgestiegen und dann ungerührt weitergefahren sei. Allerdings wird sich die Zeugin, wie Lemp zu Recht andeutet, hier einer Anklage wegen unterlassener Hilfeleistung gegenübersehen, denn weder hat sie der offenbar zum Suizid Entschlossenen geholfen noch medizinische Hilfe geholt, als das Unglück dann passiert war.
Für die Geschichte unnötig und offenbar nur der Bildgewalt geschuldet war, dass das Tatort-Team (Kamera: Moritz Anton, Buch: Zora Holtfreter und Lucas Thiem, Regie: Umut Dag) den für ein Kind und den Fahrer tödlichen Unfall aufwändig bis ins Detail („making-of“) bei gesperrter Autobahn vor einem Spargel-Windmühlen-Wald nachspielte. Aber irgendwo müssen die GEZ-Gebühren ja freilich hin.