Präsidentschaftswahl in Polen: Gelb-Rote Karte für die Regierung

vor 24 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

Als am vergangenen Sonntag die ersten Umfrageergebnisse für die polnische Präsidentschaftswahl veröffentlicht wurden, zeigte der linksliberale Kandidat und PO-Vize Rafał Trzaskowski ein besorgtes Gesicht. Zwar lag er wie erwartet mit rund 31 Prozent vorn, doch sein konservativer Kontrahent Karol Nawrocki lag ihm mit 29 Prozent dicht auf den Fersen.

Es ist aber nicht nur dieser unerwartet geringe Abstand, der dem Oberbürgermeister Warschaus Kopfzerbrechen bereitet. Trzaskowski selbst hatte kaum daran gezweifelt, dass er in einer möglichen Stichwahl gegen den von der Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unterstützten Nawrocki antreten wird. Was Trzaskowskis Lachen buchstäblich ersterben ließ, waren die schlechten Ergebnisse der linken Präsidentschaftskandidaten, auf deren Wählerstimmen er im zweiten Wahlgang am 1. Juni angewiesen sein wird. Der Sejmmarschall Szymon Hołownia (Polska 2050), der Vorsitzende der linksgerichteten Partei Razem Adrian Zandberg und die stellvertretende Senatsvorsitzende Magdalena Biejat (Nowa Lewica) haben jeweils weniger als 5 Prozent erreicht.

„Wenn Trzaskowski keine versteckten Bomben mehr hat, wird er diese Stichwahl nicht gewinnen. Er muss sich etwas einfallen lassen, um mehr konservative Wähler anzuziehen. Die jetzige Fokussierung auf Themen wie die Entschärfung des Abtreibungsrechts wird ihm jedenfalls keine zusätzlichen Stimmen bescheren“, glaubt der Politologe Marek Migalski.

Die Ergebnisse des ersten Wahlgangs sind auch insofern als eine Warnung für die Regierung Tusk zu lesen, weil die Kandidaten der übrigen konservativen Parteien überraschend gut abgeschnitten haben. Der drittplatzierte Sławomir Mentzen von der liberal-konservativen Konfederacja kam auf nahezu 15 Prozent, der EU-Skeptiker Grzegorz Braun auf 6,3 Prozent. In der Stichwahl werden deren Anhänger das Zünglein an der Waage sein, wobei nur sehr wenige Experten daran glauben, dass ausgerechnet jene Wählerherzen dem europafreundlichen Rafał Trzaskowski zufliegen.

Karol Nawrocki hat folglich trotz der Niederlage allen Grund zur Freude, weil alle konservativen Kandidaten gemeinsam auf die Zahl der Stimmen kommen, die ihm zu der für den Wahlsieg nötigen absoluten Mehrheit verhelfen könnte. Der 42-jährige Politiker, der noch nie einen Parteiausweis besaß (im Gegensatz zu dem Parteivize Trzaskowski), gibt sich daher vor dem entscheidenden Schlagabtausch siegessicher, zumal er ebenso auf die Stimmen von Marek Jakubiak, Krzysztof Stanowski, Artur Bartoszewicz und Marek Woch zählen darf.

Der stellvertretende PO-Vorsitzende wirft seinem Gegner vor, mit seinen Migrationsplänen die europäische Integration zu gefährden. Nawrocki hingegen behauptet, dass Trzaskowski und „sein Vorgesetzter“ Tusk mit ihrer Agenda das „Europa der Nationen“ zu Grabe trügen.Der Oberbürgermeister von Warschau kritisiert an dem ehemaligen Boxer, dass er Tattoos trage und bei seiner Vermögenserklärung eine Gesellenwohnung ausgelassen hätte. Nawrocki wiederum glaubt, dass Trzaskowski lieber die sogenannte Reprivatisierung in der Hauptstadt unter die Lupe nehmen sollte.

Die Leiterin des Instituts für Politikwissenschaft und Verwaltung der Katholischen Universität Lublin Agnieszka Łukasik-Turecka betont, dass der Erfolg der konservativen Kandidaten in den Vorwahlumfragen deutlich unterschätzt wurde. Insbesondere der Zuspruch für die Wahlprogramme Mentzens und Brauns in den Regionen Lublin und Karpatenvorland bestätige, so die Expertin, dass im Osten Polens nach wie vor zahlreiche konservativ gesinnte Wähler leben, die beispielsweise den European Green Deal oder den oberschlesischen Separatismus dezidiert ablehnen. „Besonders Sławomir Mentzen erfreut sich dort regen Zuspruchs und wird wohl in zwei Jahren eine bedeutende Rolle bei der Bildung von Regierungskoalitionen spielen“, fügt die Politologin hinzu.

Deshalb buhlt nun ebenfalls Trzaskowski um die Wählerstimmen des Konfederacja-Chefs. Mentzen selbst hat noch keine eindeutigen Erklärungen abgegeben, weiß jedoch um seinen großen Einfluss und möchte, dass sich seine Anhänger nach den zwei von ihm arrangierten Kandidatenbefragungen selbst ein Urteil bilden. Diese werden sich wohl für das aus ihrer Sicht „kleinere Übel“ entscheiden.

Einige Parteikollegen Mentzens werden da schon deutlicher: „Glauben Sie alle wirklich, dass unsere Wähler eine Vorliebe für einen Kandidaten hätten, der gestern noch sämtliche Kreuze aus den staatlichen Amtsräumen in Warschau verbannen wollte und heute im Wahlkampf plötzlich von seiner ehemaligen Religionslehrerin schwärmt?“, fragte der stellvertretende Sejmmarschall Krzysztof Bosak in der Tageszeitung „Super Express“. Und selbst der PO-nahe Journalist Jacek Żakowski konstatierte im Radio TOK FM mit gewisser Ernüchterung: „Das Ergebnis der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen kann als eine rote Karte für das Regierungslager verstanden werden. Ich denke, dass in einer solchen Situation und in einem normalen, demokratischen Land ein Ministerpräsident zurücktreten muss“, so der „Polityka“-Kolumnist.

Tatsächlich sind die letzten eineinhalb Jahre seit dem Regierungsantritt der linksliberalen Regierung nicht gerade von Erfolg gekrönt. Die „Wiedereinführung“ von Rechtsstaatlichkeit ginge laut Opposition in Wahrheit mit zahllosen „Rechtsbrüchen“ einher.

Die erste gelbe Karte fing sich die Regierung im Winter 2024 ein, als die Koalitionsparteien die Kommunalwahlen gegen die PiS verloren hatten. Zudem wird die Infrastrukturpolitik der polnischen „Ampelkoalition“ entweder mit Spott quittiert oder als inkonsequent bemängelt. Zu weiteren wichtigen Politikfeldern, in denen die Regierung Tusk enttäuscht haben soll, gehören die Erinnerungspolitik (Ersetzung von Denkmälern, Umschreibung von Straßenschildern) sowie Außen- und Sicherheitspolitik.

Ein weiterer Bereich, bei dem Polen sich zuweilen verletzlich zeigt, ist die Bildungs- und Wissenschaftspolitik. Im Dezember musste Tusks Bildungsminister Dariusz Wieczorek seinen Rücktritt erklären, weil dessen Ehefrau nach einer „internen Ordnungsänderung“ an der Universität Stettin prompt in eine leitende Position kam. Weder Wieczorek, der selbst aus Stettin stammt, noch der mit ihm befreundete Universitätsrektor hätten ein „ausreichendes Unrechtsbewusstsein“ entwickelt, hieß es in den Medien der „Wirtualna Polska“. Die Information stamme von einer „Insiderin“, die auf „Unregelmäßigkeiten bei der Personalplanung“ an der dortigen Universität hingewiesen hätte. Wie dem auch sei: Wir wissen nicht erst seit heute, dass an einigen polnischen Universitäten immer noch festgefahrene und mafiaähnliche Strukturen vorherrschen, an denen seit 1989 nicht viel verändert wurde – vor allem dort, wo die Postkommunisten an den längeren Hebeln sitzen.

Dass jedoch ein SLD-Politiker und Mitglied einer nationalen Regierung von Warschau aus seinen Familienangehörigen und arroganten Busenfreunden in Westpommern wichtige Ämter und Gehaltserhöhungen garantiert, ist ein Novum in der jüngeren Hochschulgeschichte Polens. Diese „Unregelmäßigkeiten“ sollten deutlich benannt werden, auch wenn sie von den des Polnischen unkundigen Warschau-Korrespondenten und von den des Deutschen unkundigen Berlin-Korrespondenten übergangen werden. Sie sollten erwähnt werden, weil sie unter dem Mikroskop den Zustand eines Landes zeigen, das Besseres verdient hat. Ein polnischer Künstler brachte zuletzt diesen Zustand im Zusammenhang mit den aktuellen Präsidentschaftswahlen treffsicher auf eine pointierte Formel: „Brauchen die Polen einen mondänen und mehrsprachigen Staatspräsidenten oder endlich mal einen, der auf Polnisch zu denken beginnt?“

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