Präzisionsschlag gegen die Hamas-Führung: Warum Israel zuschlug – und welche Rolle die USA und Katar spielen

vor etwa 4 Stunden

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Nach dem Luftschlag in Doha ist vieles noch unklar. Sicher ist nur: Israel lässt sich nicht mehr von der Hamas die Regeln des Spiels diktieren und bei den Verhandlungen weiter hinhalten. Die Zeit arbeitet nun gegen die Terroristen.

Noch ist nicht sicher, ob die Hamas-Führung den israelischen Luftangriff am Dienstag überlebt hat. Die Terrororganisation selbst behauptet es, aus arabischen Medien kamen widersprüchliche Meldungen. So meldete der saudi-arabische Sender Al-Arabiya zunächst, auch Khaled Maschaal, der 1997 ein Attentat des Mossad in Jordanien nur knapp überlebte, sei bei dem Enthauptungsschlag ums Leben gekommen. Jetzt ist nur noch die Rede von fünf getöteten Hamas-Männern, darunter niemand aus der Führungsriege.

Das muss noch nichts heißen, in der Vergangenheit hielt die Hamas oft über lange Zeit den Tod eines Anführers geheim und gab ihn erst zu, wenn es sich nicht mehr vermeiden ließ. In Jerusalem ist man sich nicht sicher, ob (alle) Köpfe der Hamas in Doha erwischt wurden. Wobei eher entscheidend ist, dass sie, so sie denn noch leben, künftig nirgendwo mehr sicher sind.

Im Visier der Israelis: die Hamas-Granden Zaher Jabareen, Mousa Abu Marzouk, Khalil al-Hayya, Khaled Mashaal und Ghazi Hamad

Neben dieser Frage ergeben sich weitere: Wusste Washington vorher Bescheid? Vielleicht sogar die Kataris selbst, die ein doppeltes Spiel spielen? Werden sie fortan keine Vermittlerrolle mehr spielen wollen? Warum schlug Israel zu – und zu diesem Zeitpunkt? Ist ein Deal zur Freilassung der letzten Geiseln und zum Ende des Gaza-Krieges jetzt unmöglich geworden? Und was ist von Donald Trumps Statement nach dem Angriff zu halten?

Israel hatte die Hamas-Spitze im Ausland schon seit dem 7. Oktober vor fast zwei Jahren im Visier. Da war eine Rechnung offen, die man begleichen wollte: dass die Schuldigen an dem Massaker im Süden Israels zur Verantwortung gezogen werden müssen. Darüber hinaus sollte ein unmissverständliches Zeichen gesetzt werden: Ihr seid selbst in Katar nicht sicher, überhaupt nirgends auf der Welt.

Hauptgrund – auch für den gewählten Zeitpunkt – aber war, dass die Verhandlungen über Gaza und die Geiseln in eine Sackgasse geraten waren. Anders als man in den Redaktionsräumen des Deutschlandfunks glaubt („Israel hat kein Interesse an Verhandlungen, will die Hamas eliminieren“), strebt Israel die Rückkehr aller Geiseln an, ob tot oder lebendig, und ist auch bereit, einen Preis dafür zu zahlen. Die Hamas versucht zwar den Eindruck zu erwecken, sie sei dabei, ernsthaft darüber nachzudenken, aber in Wirklichkeit hat die in Katar in Saus und Braus lebende Führung eine Lösung immer wieder torpediert.

Und vor allem auf Zeit gespielt. Je länger der Krieg andauern würde, je größer die Teile des Gazastreifens, die in Schutt und Asche versinken, je mehr Palästinenser dort sterben oder obdachlos werden würden, desto größer würde der Druck auf Israel werden, den Krieg zu beenden, so das Kalkül der Terroristen. Sie zogen ihre Antworten auf die Vorschläge der Vermittler immer wieder in die Länge, stellten neue Forderungen. Sie bestimmten, wie es weitergehen würde.

Es lag und liegt nicht in ihrem Interesse, die Geiseln freizulassen, weil sie damit ihr letztes Faustpfand verlieren würden. Militärisch steht die Hamas in Gaza-Stadt kurz vor dem Zusammenbruch, die Rettung – ein Waffenstillstand ohne Kapitulation, der zu einem Ende des Krieges führt – kann nur von außen kommen. Das wussten auch die Hamas-Bonzen in Katar, die auf die Verzögerungstaktik setzten. Daher wollte Israel unbedingt die besonders unnachgiebigen Hardliner Khalil al-Hayya und Zaher Jabarin beseitigen.

Hamas-Führer Khalil al-Hayya: sein Schicksal ist ungewiss.

Zwischen al-Hayya und Izz al-Din al-Haddad, dem neuen starken Mann in Gaza, soll es zu Spannungen gekommen sein, nachdem al-Haddad erwogen hatte, einen amerikanischen Vorschlag anzunehmen, was in Doha gar nicht goutiert wurde.

Ein „Deal“, der bedeuten würde, sich der Erpressung zu beugen und die Hamas weiterbestehen zu lassen, kam für Israel nicht infrage. Die Regierung Netanjahu entschied, selbst die Initiative zu ergreifen und die Hamas nicht länger die Regeln des Spiels bestimmen zu lassen. Wenn die führenden Köpfe nicht mehr am Leben sind, könnte man in Verhandlungen mit Izz al-Din al-Haddad eintreten. Der dürfte ein Interesse daran haben, keine Befehle mehr aus Doha entgegennehmen zu müssen und seinen eigenen Kopf zu retten. Lässt er die Geiseln aus Rache für Doha ermorden, ist hingegen auch seine eigene Lebensversicherung dahin. Israel kann dann nach Belieben gegen die Reste der Hamas-Armee in Gaza vorgehen und die Hamas ist Geschichte.

Zerstörungen im Gazastreifen gehören zum zynischen Kalkül der Hamas.

Israel setzt darauf, direkt mit al-Haddad zu verhandeln, der im Gegensatz zu der im Luxus schwelgenden Führung in Katar, die sich weitab vom Kriegsschauplatz sicher wähnte, die Schrecken des Krieges vor Augen hat und geneigt sein könnte, weitere Zerstörungen durch die angekündigte Offensive der israelischen Armee abzuwenden. Vieles hängt nun von ihm ab, die Zeit arbeitet nicht mehr für die Hamas.

Inwieweit das Weiße Haus vorab informiert war, darüber gibt es widersprüchliche Angaben. Mal heißt es, Trump sei vor dem Luftschlag ins Bild gesetzt worden, mal, dass Israel ihn sehr kurz davor informierte. Der US-Präsident selbst hatte zuletzt am Sonntag auf seiner Plattform Truth Social einen Appell an die Hamas gerichtet: Israel habe seinem Vorschlag zugestimmt, nun müsse sie sich klar sein, welche Konsequenzen ein weiteres Nein haben werde: „Das ist meine letzte Warnung. Es wird keine weitere geben.“

Die Erklärung nach dem Militärschlag in Doha mag den Eindruck vermitteln, dass Trump sich davon distanziert, tatsächlich aber fördert aufmerksames Lesen die Erkenntnis zutage, dass der Präsident den Angriff billigt. Der Angriff sei leider an einem unglücklichen Ort erfolgt, jedoch sei es ein „lohnenswertes Ziel“, die Hamas zu eliminieren, so Trump. „Dieser bedauerliche Vorfall könnte eine Chance für den Frieden sein.“

Statement von Präsident Trump nach dem Angriff

In Israel argwöhnen indes manche, sollte sich die Hamas-Führung tatsächlich kurzfristig in Sicherheit gebracht haben, habe sie das Trumps Weitergabe der Information über den Luftschlag an die Kataris zu verdanken. Aller demonstrativen Empörung zum Trotz ist deren Rolle in der Angelegenheit unklar. „Der zuverlässige Vermittler“ (Tagesschau) sind sie sicher nicht. Zwar pflegen sie gute Beziehungen zu den USA, die ihre größte Militärbasis in der Region im Emirat unterhalten, doch stehen sie ideologisch den Dschihadisten nahe.

Mosab Hassan Yousef, Sohn eines Hamas-Gründers, der vor langer Zeit die Seiten gewechselt hat, vermutet, dass die Kataris die Nase voll von der Hamas hatten, die durch ihr Zeitspiel bei den Verhandlungen zunehmend zur Belastung wurde, sie aber weder verhaften noch ausweisen wollten. Möglicherweise war die katarische Führung von dem Angriff in Kenntnis gesetzt worden und unternahm nichts dagegen, um Israel die Drecksarbeit machen zu lassen und hinterher als Opfer dazustehen statt als Hauptfinanzier von Hamas und al-Nusra.

Dass die Kataris ein Doppelspiel zu spielen vermögen, stellten sie zuletzt unter Beweis, als US-Kampfflugzeuge im Juni in einer Operation unter dem Codenamen „Operation Midnight Hammer“ die iranischen Atomanlagen bombardierten und das Emirat den iranischen „Vergeltungsschlag“ auf die größte US-Militärbasis zuließ, aber Washington rechtzeitig warnte, sodass die Schäden minimal blieben.

Katars Regierungschef Scheich Mohammed bin Abdulrahman Al Thani kündigte nach dem Luftschlag an, das Emirat werde weiterhin zwischen Israel und der Hamas vermitteln. Nichts werde Katar „davon abhalten, diese Rolle in allen Fragen, die uns in der Region betreffen, weiterhin wahrzunehmen“. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, könnte Ägypten diese Rolle übernehmen.

Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah wurde im September 2024 eliminiert.

Seit dem 7. Oktober hat Israel in mehreren Ländern etliche Terrorführer getötet, darunter Hassan Nasrallah und die Hisbollah-Führung im Libanon, ebenso wie tausende Terroristen bei einer spektakulären Aktion, die präparierte Pager in den Hosen der Gotteskrieger explodieren ließ (NIUS berichtete). Den Hamas-Führer Ismail Haniyeh, der aus der Türkei und Katar die Strippen zog, erwischte es, als er sich in Teheran aufhielt. Der Hamas-Führer im Gazastreifen, Yahya Sinwar, wurde bei einem Gefecht von israelischen Soldaten erschossen, die ihn erst danach identifizierten. Etliche Mitglieder der Militärführung des Iran wie etwa Generalmajor Hossein Salami wurden ebenso getötet wie kürzlich fast die gesamte politische Führung der Huthis im Jemen.

Lange wähnten sich die Führer der Hamas im steinreichen Emirat Katar sicher, und selbst wenn sie noch leben, ist ihnen nun klar, dass sie nirgendwo mehr sicher sind und der lange Arm Israels sie früher oder später erreichen wird. Mit dem Angriff auf das Politbüro der Terrororganisation hat Israel gezeigt, dass es sich nicht länger hinhalten lassen will und die Hamas nicht mehr die Regeln des Spiels diktiert. Das ist nach aller Erfahrung die einzige Sprache, die im Nahen Osten verstanden wird.

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