Wie reagieren, wenn eine Predigt zur Polit-Propaganda missbraucht wird?

vor 3 Monaten

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Bildquelle: Tichys Einblick

Ein Gottesdienst in der Abendkirche, den ich so schnell nicht vergessen werde. Diese besondere Gemeinde hat bei meiner Familie einen Stein im Brett, weil sie in der Coronazeit immer ein herzliches Willkommen für Geimpfte gleichermaßen wie für Nichtgeimpfte hatte. Am Sonntag sang der kleine geniale Gospelchor. Ich sitze in der letzten Reihe der Kirche, die ungefähr mit 70 Leuten mittleren Alters gefüllt ist.

Doch dann kommt die Predigt des Gastpredigers, des Superintendenten, Chef des Kirchenkreises. Der reiht all die Narrative aneinander, die im Augenblick in der evangelischen Kirche in Mode sind: Elon Musk treibt sein Unwesen, Trump geht gar nicht, Klimaschutz ist sehr wichtig, wir richten eine neue Flüchtlingsunterkunft ein, AfD ist populistisch, schürt Ängste, spaltet die Gesellschaft, will alle Windräder abreißen und wird leider von immer mehr Menschen gewählt. All diese wilden Beschuldigungen werden überhaupt nicht begründet oder gar hinterfragt; ihre Gültigkeit wird einfach als selbstevident vorausgesetzt.

In mir wird eine Stimme lauter: Wer von der Kanzel autoritär parteipolitisch agiert, der soll zumindest merken, dass wir hier in Deutschland in einer Demokratie leben. Eine Demokratie lebt von der Gegenrede, vom Austausch, von der Diskussion. Also rufe ich als braver und überzeugter Demokrat mit lauter und verärgerter Stimme in die Predigt hinein, ob er auch die Grünen im Blick habe, die können nämlich auch ganz schön populistisch sein und Ängste bei den Menschen schüren.

Es war nur ein kurzer unausgegorener Einwurf. Aber hätte ich an dieser Stelle nicht mein Missfallen geäußert, hätte ich ein schlechtes Gewissen gehabt. Denn dann hätte fälschlicherweise der Eindruck entstehen können, dass solch pfarrherrlicher Missbrauch der Kanzel zum Zweck von exzessiver parteipolitischer Propaganda zum Wesen des evangelischen Glaubens gehören würde.

Wie durch eine innere Gedankenübertragung war gerade zuvor eine mir fremde Person aufgestanden, um den Gottesdienst enttäuscht zu verlassen. Vielleicht hatte diese Person durch meinen lauten Einwurf Mut bekommen. Denn sie fing jetzt auch an und schimpfte laut in etwa so: „Das ist ja wohl das allerletzte hier. Ich wollte in einen Gottesdienst. Und jetzt kommt hier nur diese Politik. Kein Wunder, dass immer mehr Leute der ev. Kirche den Rücken kehren.“ Und dann hatte er auch schon die Kirche verlassen.

Ich persönlich kann eine solche Reaktion verstehen. Wenn in einem Fußballstadion ein Spiel von Bayern München angekündigt ist, dann dort aber nur Halma gespielt wird, dann muss man damit rechnen, dass der eine oder andere Zuschauer frustriert das Stadion verlässt.

Der Prediger war vielleicht ein wenig überrascht von dieser lebendigen Gruppendynamik. Kirche mit ihrer Tendenz zur Harmonie und Konfliktvertuschung ist so etwas wohl nicht gewohnt. Aber der Superintendent und Vollprofi fing sich schnell, erzählte noch ein bisschen von einer prophetengleichen Bischöfin, die im Gottesdienst bei Anwesenheit von Trump diesem göttlich ins Gewissen geredet hätte, um dann endlich zu seinem zweiten Teil der Predigt zu kommen. Der zweite Teil hatte eine starke seelsorgerliche Note für Krankheitszeiten, stand allerdings inhaltlich relativ unverbunden zum ersten Teil.

Am Ende des Gottesdienstes übernahm wieder der Gemeindepfarrer. Der sagte laut ins Mikro vor dem Segen in genialer Sanftmut, ich zitiere aus der Erinnerung: „Ich danke herzlich dem Superintendenten für sein Kommen und besonders für den zweiten Teil seiner Predigt.“

Drei Arten in einem Gottesdienst auf parteipolitische Propaganda im Gottesdienst zu reagieren: Der Gemeindepfarrer hat deutlich, aber sanftmütig auf die Schwächen der Predigt hingewiesen. Ich habe meinem Nachnamen „Zorn“ alle Ehre gemacht und habe die verbale Konfrontation gesucht. Der eine Gottesdienstbesucher hat fluchtartig den Raum des Anstoßes verlassen. Das hätte er still und leise tun können; vielleicht ist es aber seelisch gesünder mit begründenden Worten, wie er es getan hat.

Nach dem Gottesdienst bin ich auf den Superintendenten zugegangen. Wir haben uns mit einigen Interessierten offen ausgesprochen. Einige haben betont, wie toll sie gerade den ersten Teil der Predigt fanden. Versöhnt hat das nichts. Aber zumindest waren die Fronten auf Augenhöhe geklärt. Meine Achtung stieg für den Superintendenten, dass er sich viele Kritikpunkte und Vorwürfe in Ruhe angehört hat. Das habe ich in der Kirche auch schon anders erlebt in der Form, dass der Dialog entweder verweigert wurde oder dass jegliche Kritik an der Standardideologie der ev. Kirche lediglich als Beweis für die Schlechtigkeit und Boshaftigkeit des Kritikers interpretiert wurde. Ich hoffe, das war hier anders.

Was dieser umstrittene Abend an Denkbewegungen bei allen Beteiligten und Gottesdienstbesuchern in Gang gesetzt hat, bleibt abzuwarten.

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