
Sie wollten das Beste für Ihre Kinder, warteten zweieinhalb Jahre auf einen Platz an ihrer Traum-Schule. Doch die Montessori-Schule in Trier erwies sich weniger tolerant als erwartet. Nachdem die Eltern Bedenken wegen eines queeren Kinderbuchs geäußert hatten, wurde ihnen der Schulvertrag gekündigt!Miriam und Rabah Belgacem aus Trierweiler (Rheinland-Pfalz) waren froh, Tochter Nelia (10) und Sohn Nael (8) auf einer besonders guten Schule zu wissen. Mehr als ein Jahr lief alles bestens, Eltern und Kinder waren glücklich an der Montessori-Schule in Trier. Als in der Gruppe von Nelia vor wenigen Monaten das Buch „Raffi und sein pinkes Tutu“ vorgelesen wurde, das von einem Jungen, der gern Röcke trägt, handelt, baten die Eltern um eine alternative Beschäftigung oder Lektüre für ihre Tochter.
„Ich bin muslimischen Glaubens“, erklärt Vater Rabah Belgacem im Interview mit NIUS. „In meiner Religion gibt es nur das männliche und das weibliche Geschlecht. So etwas wie ein drittes Geschlecht kennen wir nicht. Auf mich wirkt das Ganze wie eine Modeerscheinung mit gefährlichen Folgen für Kinder. Deshalb wollten wir, dass unsere Tochter das Buch vom Jungen, der gern Röcke trägt, nicht lesen muss.“
NIUS hat die Eltern in Ihrem Zuhause in Trierweiler besucht – hier sehen Sie das ganze Interview:
Schulleitung und Klassenlehrerin reagierten mit Unverständnis auf die Bitte der Eltern. „Man sagte uns, es sei wichtig, dass alle Kinder an der Lektüre des Buches teilnehmen“, berichtet Miriam Belgacem. „Als Grund wurde ständig über Toleranz geredet.“ Die Mutter weiter: „Wir wollten unsere Tochter der Botschaft des Buches aber weiterhin nicht aussetzen. Es gibt nur zwei Geschlechter und ich möchte, dass das den Kindern auch so beigebracht wird. Man kann das Geschlecht nicht einfach wechseln wie eine Hose. Das hat mit Toleranz doch überhaupt nichts zu tun.“
NIUS liegt das Kündigungsschreiben der Montessori-Schule vor. In einem Anwaltsschreiben (s.u.) heißt es ausdrücklich, dass der Familie wegen „konträrer Sichtweisen und Überzeugungen“ zur geschlechtlichen Identität gekündigt wurde.
Ihr Mann ergänzt: „Wissen Sie, es gibt Rassismus und Ausgrenzung. Es gibt Leute, die dick, dünn, hässlich sind. Man könnte zum Thema Toleranz Bücher über dicke Menschen, dünne Menschen oder Araber, Schwarze, Ausländer in der Schule lesen. Es muss nicht dieses Thema sein.“ Zum Verhalten der Schule sagt er: „Mein Verständnis von Toleranz ist, dass sie universell ist. Sie muss in beide Richtungen laufen. Das Problem ist, dass es bei der Schule nur in eine Richtung ging. Wir haben ihnen gesagt: Okay, wir sind zwar anderer Meinung, Sie können das Buch aber trotzdem weiter im Unterricht behandeln.“ Der Wunsch der Eltern, dass Nelia in dieser Zeit etwas anderes lesen darf, blieb für die Schule jedoch tabu.
Der Konflikt schaukelte sich hoch. Schnell war die Stimmung zwischen Eltern und Schulleitung so angespannt, dass sie auch die Kinder belastete. „Der Kinderarzt schrieb beide irgendwann krank“, berichtet Miriam Belgacem. Doch statt den Konflikt zu entschärfen, kündigte die Schule schließlich den Schulvertrag für Nelia. Und: Auch den ihres Bruders Nael – obwohl dieser eine andere Schulgruppe besuchte, wo keinerlei Konflikte um Lehrinhalte bestanden.
„Wir waren schockiert über diese Reaktion“, sagt Mutter Miriam. Das Ehepaar setze sich anwaltlich gegen die Kündigung zur Wehr. Doch bevor der Streit vor Gericht landete, entschieden sich Vater und Mutter Belgacem dazu, Nelia und Nael freiwillig von der Schule zu nehmen. Zum Wohle der Kinder. Die beiden besuchen nun eine staatliche Grundschule.
Die Familie Belgacem aus Trierweiler in Rheinland-Pfalz. Papa Rabah ist algerischer Herkunft, wurde in Frankreich geboren. Seine Frau Miriam ist Deutsch-Amerikanerin. Die Kinder Nael, Noana und Nelia (von links) sind 9, 6 und 10 Jahre alt.
NIUS fragte bei der Montessori Schule in Trier an, wie dort die Sicht der Dinge ist. Warum bestand man auf der Lektüre genau dieses Buches, warum mutete man Kindern und Eltern die Kündigung zu, statt einen Kompromiss zu finden? Die Schulvertreter antworteten nicht direkt, sondern ließen über ihren Anwalt ausrichten: „In diesem Buch geht es alleine darum, dass abweichend von früheren Rollenbildern heute keine derart statischen Rollenbilder insbesondere in der Optik von Jungen und Mädchen mehr bestehen, sodass es heute normal und gesellschaftlich akzeptiert ist, wenn Mädchen in Latzhosen und Jungen in frauentypischer Bekleidung herum laufen, wenn sie dies denn wollen.“ Dass „Raffi und sein pinkes Tutu“ und die ablehnende Haltung der Eltern gegen dieses Buch der alleinige Grund für eine Kündigung oder Trennung gewesen sei, sei ebenfalls falsch.
Das passt so gar nicht zu einem anderen Anwaltsschreiben, welches NIUS vorliegt. Darin formuliert eine Heidelberger Kanzlei, die die Montessori-Schule gegen das Ehepaar Belgacem vertrat, klipp und klar, dass es sehr wohl die ablehnende Haltung der Eltern gegenüber dem Gender-Buch war, die zur Kündigung des Schulvertrags führte.
Es heißt: „Im Hinblick auf die von der Schule auf Basis der Montessori-Pädagogik und im Einklang mit den Richtlinien des Landes Rheinland-Pfalz gelebte und umgesetzte Vermittlung von Toleranz und Offenheit gegenüber allen Formen des familiären Zusammenlebens und der Frage der geschlechtlichen Identität, sind die Sichtweisen und Überzeugungen der Eltern konträr zu der konzeptionellen Ausrichtung unseres Mandanten“, heißt es in dem Schriftsatz vom 28. Mai 2024. „Nach Wahrnehmung unseres Mandanten hat Ihre Mandantschaft ganz eigene Vorstellungen von der Montessori-Pädagogik und möchte hierüber gern diskutieren. Diesem Wunsch kann und wird unser Mandant nicht nachkommen, da die pädagogischen Grundlagen seines Angebots nicht verhandelbar sind.“