
Der Spiegel ist ein seriöses Magazin – jedenfalls in seiner Selbstwahrnehmung und der seiner stets schrumpfenden Leserschaft. Dass der Lack mittlerweile nicht nur wegen des viel beschworenen Relotius-Skandals ab ist, demonstriert die Redaktion dankenswerterweise immer wieder selbst besser, als es jeder Medienkritik-Artikel darstellen könnte.
Theo Müller – Sie wissen schon, der berühmt-berüchtigte Milch-Milliardär – hat Geburtstag gefeiert. Und die Kollegen vom Spiegel haben sich damit mit Hochdruck beschäftigt. Zwei Redakteurinnen, die AfD-Jägerin Ann-Kathrin Müller und ihre Kollegin Susanne Amann (über eine familiäre Verbindung zu Melanie ist nichts bekannt), haben danach eigentlich nichts vorzuweisen. Nur die Gästeliste: Alice Weidel war da. Dass sie und Theo Müller befreundet sind, ist kein Geheimnis, der Milch-Milliardär machte das vor Jahren schon öffentlich. Für den Spiegel trotzdem ein Skandal, denn es seien auch diverse weitere Akteure vom „rechten Rand“ gesichtet worden. Empört suchen zwei Redakteurinnen nach der Brandmauer.
Die Feier fand bereits am 31. Mai statt – jetzt bereitet der Spiegel diese angeblich skandalöse Veranstaltung auf. Außer dem Schaum vor dem Mund im Hamburger Redaktionshaus findet man aber nicht viel, was das Skandalöse tatsächlich belegt.
„Die Feier offenbart, wie unbekümmert Müller, jahrzehntelanges CSU-Mitglied, sich inzwischen mit jenen vom rechten Rand umgibt, wie eng der Kontakt zu ihnen ist. Sie zeigt aber auch, wie die Radikalen bei solchen Gelegenheiten in die Nähe demokratischer Politiker und Lobbyisten gelangen, wie sie netzwerken und ihren Einfluss ausdehnen können“, schreibt der Spiegel. „Rechte“ und „radikale“ haben wir schon direkt mitgenommen, daher kann man auch bedeutungsschwangere Schlüsse ziehen: „Offenkundig hatten die Anwesenden keine Probleme damit, mit extrem Rechten zu feiern.“
„Extrem Rechte“ – das ist so eine verdrehte Formulierung, die linke Journalisten immer verwenden, wenn sie jemanden als im Grunde rechtsextrem verleumden möchten, die Fakten es aber nicht so ganz hergeben. Es ist also eine völlig leere Diffamierungs-Vokabel, aber das passt auch in so einen völlig leeren Text.
Natürlich wird die AfD, wie es im Spiegel so üblich ist, pauschal als antidemokratisch und rechtsextrem bezeichnet und dargestellt – das Schöne ist, dass man das ja gar nicht mehr begründen oder herleiten muss, weil es ja schon lange genug in Qualitätsmedien wie dem Spiegel so geschrieben wird. Reicht also als Grund dafür, die Gästeliste von Theo Müller abzuklappern und die einzelnen Personen anzufragen. „An Weidels Tisch saß unter anderem die Autorin Gaby Hauptmann“, schreibt der Spiegel und zwingt der bekannten Schriftstellerin dann direkt mal eine Distanzierung ab.
So macht man es im Rest des Artikels auch: Namen herausgreifen und Anfragen mit drohender Pranger-Wirkung verschicken, oder die Gäste einfach direkt verreißen. Etwa Hans Christian Limmer: „Jener Mann, der bekannt ist, weil er die Bäckereikette „Backwerk“ mitgegründet hat und weil er gemeinsam mit einem Rechtsextremen zu jenem Treffen im Potsdamer Landhotel eingeladen hatte, das die Rechercheplattform Correctiv vor gut anderthalb Jahren öffentlich machte“, schreibt Der Spiegel.
Auch ihm kann man nichts so richtig fest ankreiden – vom Treffen in Potsdam und so manchem, was dort besprochen wurde, hatte er sich schon distanziert, muss das Magazin einräumen. Zum Ausgleich folgt ein ganzer Kontaktschuld-Absatz über die Eltern von Limmer: schon die wären „bereits“ in einem „völkischen und rechtsextremen Milieu unterwegs“ gewesen, „zu dem auch bekannte Holocaustleugner gehörten.“ Zudem soll vor fast 20 Jahren ein Treffen „auf einem Südtiroler Hof, der ihm laut Polizei mitgehörte“, stattgefunden haben, bei dem auch Neonazis gewesen sein sollen.
Weil das aber immer noch etwas dünn ist, springt man im nächsten Absatz direkt zum nächsten problematischen Gast: Roger Köppel, der Herausgeber der schweizerischen Zeitung Weltwoche und auch ein ganz schlimmer Mensch. „Die Weltwoche berichtet seit Jahren immer positiver über Rechtsextreme, verbreitet russische Desinformation und auch mal chinesische Propaganda“.
Alles etwas hoch gegriffen – der schwerste Vorwurf gegen Köppel lautet aber, ein Höcke-Verharmloser zu sein. „Schon 2019 verharmloste Köppel den damals prominentesten Vertreter des völkischen Flügels der AfD, Björn Höcke, in einem Interview“, lautet der Vorwurf. „Vergangenes Jahr ließ Köppel ihn dann wieder zu Wort kommen. Da durfte der Extremist behaupten, mit dem Nationalsozialismus ,nichts, aber auch gar nichts am Hut‘ zu haben – obwohl er wegen der Verwendung einer SA-Parole vor Gericht stand und dann auch verurteilt wurde.“
Spätestens an dieser Stelle wäre jeder echte Journalist vor Peinlichkeit im Boden versunken – aber die Kolleginnen hinter diesem Text spüren offenbar nichts mehr. Die „SA-Parole“ ist „Alles für Deutschland“, womit der Spiegel in der Vergangenheit schon selbst titelte – sie ist der Beleg, dass Höcke auf jeden Fall ein Nazi ist? Nach dieser Logik stellen sich auch viele Fragen zum Nazi-Magazin Spiegel. Die Redakteurinnen sind jedenfalls empört, dass Höcke in der Weltwoche doch tatsächlich behaupten durfte, kein Nationalsozialist zu sein – der Spiegel hatte das doch schon festgestellt!
Dann spinnt man noch ein paar Querverbindungen zwischen Weidel, Köppel und Müller – um dann zu erwähnen, dass „neben diesen Akteuren der extremen Rechten“ auch „Politiker demokratischer Parteien“ geladen waren. Das CSU-Urgestein Peter Gauweiler wird genannt, auch über ihn wird ein relativ wirres Netz an Verbindungen zur AfD gesponnen. Die Peinlichkeit gipfelt in Anwürfen gegen den Historiker und Publizisten Rainer Zitelmann. Dieser, behauptet der Spiegel einfach mal, sei ein Geschichtsrevisionist und habe ein „verharmlosendes Buch über Adolf Hitler“ veröffentlicht – ein Verriss, gegen den sich Zitelmann auf Anfrage auch mit Nachdruck wehrte.
Dieses Buch wurde in den führenden historischen Fachzeitschriften wie Journal of Modern History, auch in linksliberalen Zeitungen wie der Süddeutschen oder dem Tagesspiegel positiv besprochen. Der polnische Politologe Franciszek Ryszka schrieb dazu: „Zweifellos steht Dr. Zitelmann das Verdienst zu, dass er alle anderen Hitler-Biographen wesentlich ergänzt, wenn nicht überholt hat.” Der Spiegel weiß es besser als dieser Pole und als die deutschen Kollegen sowieso: Auch Zitelmann ist natürlich radikalrechtsextrem.
Nachrichtenwert des Ganzen? Der tendiert gegen Null. Dafür zwar sehr schön poetisch geschrieben, aber auch feinste Prosa überdeckt pure Inhaltslosigkeit nicht. Hat man als Journalist, selbst als 24/7-Anti-AfD-Schreiberin, nicht ein gewisses Störgefühl, wenn man sich mit so einem lächerlichen Artikel beschäftigt? Oder sind die Kollegen tatsächlich Journalisten geworden, um dann die Geburtstagsfeier eines Privatmannes fast schon geheimdienstlich zu protokollieren?
Der Spiegel irgendwo zwischen Stasi und Superillu: Wunderschöne, szenische Beschreibungen nach allen Regeln der journalistischen Kunst, die allerdings kaum verdecken, mit welcher politisierten Missgunst der Artikel geschrieben wurde. Hier soll vor allem angekreidet werden, dass sich Menschen treffen, ohne die polit-hygienischen Vorschriften des Spiegels einzuhalten. Man nennt noch ein paar andere Gäste namentlich, die es tatsächlich gewagt haben, auf Müllers Geburtstagsfeier zu gehen. „Die Liste der Gäste ließe sich fortführen. Sie zeigt, dass Müller von der viel beschworenen Brandmauer nicht viel hält, im Gegenteil.“
Bravo! Denn die Brandmauer hat immer und überall zu stehen, in jedem Haushalt, auf jeder Geburtstagsfeier, auf jeder Veranstaltung. Eigentlich darf grundsätzlich nie ein Mensch dort sein, wo Alice Weidel gerade ist – vielleicht gerade noch Spiegel-Journalisten, um die Worte dieser Faschistin zu protokollieren, aber sonst wirklich niemand.
Was für ein Zustand eines einst respektierten Nachrichten- und Politmagazins: Der Spiegel ist inzwischen die „Yellow Press“ für alle, die gerne noch als bildungsbürgerlich verstanden werden wollen. Er hat jedenfalls das Niveau von InTouch oder der Bild der Frau erreicht, nur, dass dabei noch „gegen Rechts“ gekämpft wird. Einen journalistischen Wert hat dieser Artikel irgendwo zwischen Stasi und Superillu jedenfalls nicht viel – allerdings umso mehr komödiantischen.
Denn die Schreiberinnen merken offenbar gar nicht, was für eine Realsatire sie da verfasst haben: Kein Inhalt, nur Geraune, Spitzel- und Prangermentalität ersetzen jeden journalistischen Anspruch. Die absolute, sachliche Leere wird mit bissigen Bewertungen, politkommissarischen Missbilligungs-Formulierungen und ähnlichem gefüllt. Auch die Überschrift „ziemlich rechtsextreme Freunde“ ist so pauschalisierend, agitierend und billig, dass das Magazin es selbst merkt und sie kurzerhand in „Alles Weidel, oder was?“ umformuliert – was tatsächlich noch unkreativer und schlechter ist. Wenn man den Spiegel veräppeln wollte, hätte man diesen Text nicht besser schreiben können.
Wofür hat Rudolf Augstein sein Magazin einst gegründet? Dafür jedenfalls nicht. Null Prozent Journalismus, aber dafür 100 Prozent Engagement „gegen Rechts“ – dann entsteht so ein Artikel, der so dermaßen geraunt, böswillig und gewollt ist, dass er am Ende vielleicht nicht einmal dem journalistischen Anspruch von Gala und Bunte entsprochen hätte.