
Willkommen in der neuen Popkultur der Gegenwart, wo TikTok zur politischen Arena wird und Dienstage ihren eigenen Dresscode haben: Bauchtasche, Lonsdale-Shirt und ein Soundtrack, der klingt wie aus dem Giftschrank des Verfassungsschutzes. Willkommen beim „Ostmullen-Dienstag“. NIUS versucht sich dem skurrilen Provokations-Trend zu nähern.
Ein neuer Feiertag der etwas anderen Art geistert durchs Netz. Gefeiert wird er jede Woche auf TikTok und X – von einem Milieu, das weiß, wie man Ästhetik als Provokation inszeniert. Der „Ostmullen-Dienstag“ ist keine offizielle Veranstaltung, aber dafür umso wirkmächtiger im digitalen Untergrund. Dort tanzen junge Frauen – oft minderjährig, oft ostdeutsch – zu Rechtsrock, drapiert vor Symbolen, die man sonst nur aus Geschichtsbüchern oder den düstereren Rändern des Internets kennt.
Der Begriff „Ostmulle“ ist selbst schon eine Provokation: ein Slur, ein Stereotyp, ein Meme. Zusammengesetzt aus Herkunft (Ostdeutschland) und Herabwürdigung (Mulle = abwertend für Frau), formt er ein neues digitales Feindbild, vielleicht eher eine Art popkulturellen Avatar. Diese jungen Frauen tragen ihr Erscheinungsbild wie eine Uniform: scharfe Filter, große Augen, volle Lippen, Tattoos und Piercings in Serie und rasierte Seitenhaare. Ein Look, der gleichzeitig trotzig und hyperinszeniert wirkt – irgendwo zwischen Trash-Ästhetik und TikTok-Rebellion.
Aber die Ostmulle ist mehr als nur eine virtuelle Figur. Sie ist körpergewordene Konfrontation. Wenn die Ostmulle zu „Kategorie C“, „Böhse Onkelz“ oder „Landser“ tanzt, geschieht das nicht beiläufig – es ist ein Akt der Abgrenzung. Gegen die sogenannte „Zivilgesellschaft“, gegen die liberale Mitte, gegen die gutmenschliche Moral des urbanen Westens. Ihre Bühne ist das Internet und ihre Kulisse besteht aus Reichsadler, schwarz-weiß-roten Flaggen und szenetypischer Kleidung: Lonsdale, Adidas, New Balance. Ihr Biotop ist die Fankurve ihres ostdeutschen Fußballvereins im Stadion. Denn ja, viele dieser jungen Frauen stehen auch regelmäßig in den Fankurven von Vereinen wie Dynamo Dresden, Energie Cottbus oder dem Chemnitzer FC. Und dort, zwischen Pyros, Choreos und Bierbechern, entfaltet sich eine politische Subkultur, die mit Parteibüchern nichts anfangen kann, dafür aber mit Haltung und Zugehörigkeit.
Die Fankurve ist dabei mehr als nur ein sportlicher Ort, sie ist Archiv, Bühne und Bollwerk. Ein Ort, an dem sich eine kollektive Identität formiert, jenseits akademischer Diskurse. Eine Gegenöffentlichkeit, roh und widersprüchlich, aber unmissverständlich. Authentizität wird hier nicht gepredigt, sondern geschrien.
Gibt es in Amerika einen ähnlichen Trend? Ja, und er trägt den Hashtag #Hotties4Trump. Was auf den ersten Blick wirkt wie eine patriotische Bikini-Show, ist bei genauerem Hinsehen eine ganz ähnliche Choreografie politischer Selbstinszenierung: junge Frauen, knappe Outfits, große Gesten – und eine klare Botschaft. Während Ostmullen Adidas tragen, tragen Hotties4Trump die MAGA-Cap. Während die einen mit Reichsadler posieren, sitzen die anderen auf Pick-up-Trucks. Zwei Ästhetiken, ein Impuls: Rebellion gegen den moralischen Mainstream.
Was sie eint, ist das Spiel mit der Provokation. Die Ästhetik des Dagegenseins. Die bewusste Körperlichkeit politischer Haltungen. Kein klassischer Diskurs, keine Parteiprogramme, sondern Meme und Vibe. Politik als Popkultur, Identität als Bühnenfigur. Diese Gruppen sind nicht intellektuelle Avantgarde, sondern emotionale Vorhut. Sie sprechen nicht in Argumenten, sondern in Bildern. Ihre Sprache ist der Filter, ihr Argument das Outfit. Und genau darin liegt ihre Wirkmacht – und ihre Gefahr. Denn sie sind Ausdruck einer Zeit, in der Politik sich immer weniger über Inhalte definiert, sondern über Ästhetik, Haltung und Zugehörigkeit.
Wer sie belächelt, macht es sich zu leicht. Ostmullen und Hotties4Trump sind keine Fußnote, sie sind Kapitelüberschriften in einem neuen, visuell geprägten Kulturkampf. Ein Kampf, der nicht in Talkshows, sondern in Feeds, Fankurven und Filterblasen geführt wird. Und wer ihn ignoriert, könnte bald aufwachen, vielleicht an einem Dienstag, vielleicht mit einer Bauchtasche.