Rechte Regierungen befördern Analphabetismus, meint Professorin der Uni Hamburg

vor 4 Tagen

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Bildquelle: Apollo News

„Wir haben immer gedacht: Aus einem schlechten Bildungssystem gehen irgendwann Populisten hervor. Jetzt sehen wir deutlich: Populisten machen auch miserable Bildungssysteme.“ Dieses Statement gibt die Erziehungswissenschaftlerin und Professorin für „Lebenslanges Lernen“ an der Universität Hamburg, Anke Grotlüschen, in einem aktuellen Interview mit dem Spiegel ab.

Aufhänger des Gesprächs ist die sogenannte PIAAC-Studie zu Grundbildungskompetenzen von Erwachsenen. Bei dieser Studie werden in verschiedenen Ländern weltweit die Kompetenzen von Erwachsenen in den Bereichen Lesen, Mathe und „Strategien zur Problemlösung“ analysiert und verglichen. Deutschland erreichte zuletzt ein „hohes mittleres Leistungsniveau“.

Grotlüschen hat jedoch nicht an der Studie mitgewirkt, sondern die Ergebnisse der Studie nach „politischen Gesichtspunkten“ analysiert, heißt es im Spiegel. Und dabei sei sie, so schildert Grotlüschen, zu dem Ergebnis gekommen, dass gerade in „Ländern, in denen populistische Parteien an der Macht sind“ das Bildungsniveau immer weiter sinke. „In Ungarn, Polen, Italien, in Israel und den USA ist der Anteil von Menschen, die kaum lesen und schreiben können, in den vergangenen Jahren gestiegen“, statuiert sie.

Die Erziehungswissenschaftlerin erkläre sich dieses Ergebnis damit, dass „populistische Parteien“ die Schwächeren bei der Bildung „allein“ lassen würden. Es werde „eine bewusste Spaltung im Bildungssystem betrieben“, meint Grotlüschen. So würden Polen, Ungarn oder Israel „immer weniger in Weiterbildung“ investieren und auch die USA würden laut der Professorin „ihre schlechte Bildungsstatistik“ ignorieren.

Diese Priorisierung sei in den Augen der Wissenschaftlerin kein Zufall. Aus populistischer Sicht sei die Verschlechterung der Bildungssysteme „eine hochgradig Erfolg versprechende Strategie“, meint Grotlüschen und erläutert: „Man sorgt dafür, dass viele Menschen gering gebildet sind und Probleme haben, zu lesen und zu schreiben. Denn dann müssen diese Menschen einfach glauben, was man ihnen sagt. Sie können sich ja durch Lesen keine andere Meinung bilden.“

Sieht man sich die Zahlen der PIAAC-Studie an, fällt dort tatsächlich auf, dass Länder wie die USA, Ungarn, Italien, Israel und Polen eher im unteren Drittel des Länderrankings zu finden sind. Die Interpretation der Daten durch Grotlüschen ist jedoch dennoch mindestens diskutabel. Allein deshalb, weil es für die Daten zahlreiche Störfaktoren und mögliche Verzerrungen gibt.

Beispielsweise wurden nicht die Altersunterschiede in den verschiedenen Staaten beachtet. An der Studie nehmen Erwachsene zwischen 16 und 65 Jahren teil. Deutschland hat mit einem Altersmedian von 44,6 ein ganz anderes Durchschnittsalter als beispielsweise Israel mit 29,15 (Statista 2023). Zudem dauert der Test zwei Stunden – ein Faktor, der selektierend wirken dürfte in Ländern, in denen Großteile der Bevölkerung einen Arbeitsethos haben, der so eine umfangreiche Befragung nicht erlaubt.

Und dann gibt es noch den Faktor, dass die Befragung zwar unabhängig von den Sprachkenntnissen und der Staatszugehörigkeit durchgeführt wird (also nur auf Basis eines privaten Wohnsitzes im zu untersuchenden Land) – die Kompetenzen jedoch bei Personen mit geringen Sprachkenntnissen geschätzt werden. Auf Basis eines kurzen Fragebogens, der in zahlreichen Sprachen angeboten wird, werden die Merkmale „Geschlecht, Alter, Anzahl Jahre Ausbildung, subjektive Erwerbssituation, Geburtsland und Anzahl Jahre im Land“ ermittelt und dann als Basis für eine Schätzung der Studienleiter genutzt.

Dass dieser Weg störanfällig ist, muss nicht weiter erläutert werden. Dies sind nur einige Bedenken, die beim Betrachten des Studiendesigns aufkommen können. Die Überzeugung, mit der Professorin Grotlüschen ihre Interpretation vorträgt, lässt sich daher kaum mit ernstzunehmenden Daten untermauern. Ganz zu schweigen davon, dass die Unterstellung, politisch rechts gerichtete Regierungen würden absichtlich die Bildung ihrer Bürger verschlechtern, um sie gezielt manipulieren zu können, im Bereich des Verschwörungsdenkens angesiedelt werden kann. Aber der Spiegel hält es offenbar nicht für nötig, hier kritisch nachzufragen.

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