
Wer heute eine Notaufnahme betritt, trifft nicht nur auf überarbeitetes Personal, lange Wartezeiten und Patienten im Ausnahmezustand, sondern zunehmend auf Sicherheitsdienste, Überwachungskameras und in Deeskalationstrainings geschulte Mitarbeiter und Wachpersonal mit Funkgerät und Schlagstock. Das die Mitarbeiter in Deskalation geschult werden, verblüfft zunächst, denn es sind ja nicht sie, von denen die Aggressionen ausgehen. Aber, um das zu verstehen, muss man etwas vom aktuellen Deutschland verstehen, einem Land, wo alles auf dem Kopf steht: 1 ist 0 und 0 ist 1.
Die Bundesärztekammer, die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und auch Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) haben ein kleines, etwas unschönes Problem, dass sich offensichtlich nicht mehr so richtig verheimlichen lässt. Denn, Gewalt gegen medizinisches Personal ist nicht mehr die Ausnahme, sondern mittlerweile die Regel. Diese Art der Gewalt ist ein strukturelles Problem.
80 Prozent der befragten Ärzte und Pfleger berichten von verbalen Übergriffen im letzten Jahr. 40 Prozent erlebten körperliche Angriffe. Tritte, Schläge und Spuckattacken. Kliniken versuchen sich mit eingestellten Sicherheitskräfte zu helfen, organisieren Verteidigungskurse, planen ihre Schichten nach körperlicher Robustheit. Ein Offenbarungseid.
Wer sind die Angreifer? Die offiziellen Verlautbarungen bleiben vage. Von einer „kleinen Gruppe“, die „Grenzen überschreitet“, ist die Rede. In vertraulichen Gesprächen mit Klinikpersonal, Rettungskräften oder niedergelassenen Ärzten wird man hingegen deutlicher. Es sind vor allem junge Männer mit „Integrationshintergrund“, häufig aggressiv, respektlos, mit überzogenen Forderungen und keiner Bereitschaft, sich den Regeln der Einrichtungen oder gar der Gesellschaft unterzuordnen. Auch “Familien” oder “Gruppen” werden genannt. Woher kommen diese Familien, die in Gruppen auftreten? Welche Sprachen sprechen sie? Warum sind sie hier? Wo arbeiten sie? Alles Fragen, die mit einem Tabu belegt sind und nicht gestellt werden dürfen. Und doch, obwohl niemand die Fragen stellt und noch weniger bereit wären sie zu beantworten, kann sie jeder beantworten.
Die Angst, nicht nur vor der nächsten Attacke, ist allgegenwärtig. Noch größer ist allerdings die Angst davor, das Offensichtliche überhaupt anzusprechen. Wer es dennoch wagt, riskiert seine Existenz. Rassist, rechts, islamophob, das sind die Etiketten, mit denen jeder zum Schweigen gebracht wird, der das Problem beim Namen nennen will. Der rosa Elefant steht längst so füllig in jeder Notaufnahme und Arztpraxis, dass außer ihm für nichts anderes mehr Platz hat. Aber trotzdem, traut sich niemand traut sich niemand, von ihm zu sprechen.
Die politischen Reaktionen schwanken zwischen hilflos, hilfloser und am hilflosesten. Manchmal lässt man sich auch zu kosmetischen Aktionen hinreißen. Härtere Strafen? Klingt gut, wird aber natürlich hier nie umgesetzt. Ein zentrales Meldesystem? Riesiger Aufwand ohne irgend einem praktischen Nutzen. Es fehlt der Wille, dort durchzugreifen, wo es tatsächlich weh tun würde. Konsequente Ahndung von Straftaten gegen Ärzte, Frankenschwestern, Pfleger, Sanitäter, Polizisten und Feuerwehrleute. Abschiebung von Straftätern und Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols.
Denn das Kernproblem ist nicht nur die Gewalt. Es ist die Kapitulation des Staates vor jenen, die seine Regeln ablehnen, aber gleichzeitig seine Leistungen einfordern. Und es ist die Sprachlosigkeit einer Gesellschaft, die sich angewöhnt hat, lieber die Überbringer schlechter Nachrichten zu ächten als die Ursache des Problems auch nur zu benennen.