
Die CDU verhandelt sich gerade um Kopf und Kragen und merkt es nicht.
Sowohl in Sachsen als auch in Thüringen sind die Christdemokraten zur Koalition mit dem frisch gegründeten Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) bereit. Sie verkaufen in Dresden wie in Erfurt eine solche Zusammenarbeit als alternativlos. Nur so könne die AfD in Schach gehalten werden. Die Wahrheit ist prosaischer: Die Partei des Friedrich Merz will regieren – koste es, was es wolle.
CDU Parteichef Friedrich Merz mit Mario Voigt und Michael Kretschmer nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen.
Vor fünf Monaten hat die CDU ihr aktuelles Grundsatzprogramm beschlossen. Dem neuen Vorsitzenden Merz ist es ein Anliegen, „mit unseren Werten in die Zukunft“ zu führen. Die große Beliebigkeit, die unter Angela Merkel Einzug gehalten hatte, soll überwunden werden. Ein Foto vom Mai zeigt neben Merz den thüringischen Landesvorsitzenden Mario Voigt. Zwischen den beiden Herren ragt das neue Programm in die Kamera. Voigt war stellvertretender Vorsitzender der Grundsatzprogrammkommission. Darauf ist er noch heute stolz. Fatalerweise ist es nun aber auch Voigt, der als großer Wertezertrümmerer in die Geschichte der CDU eingehen könnte – und als lausiger Stratege.
Am zweiten Tag des CDU Parteitags präsentierten Mario Voigt (links) und Friedrich Merz (Mitte) gemeinsam Carsten Linnemann (rechts) das neue Grundsatzprogramm der CDU.
Die Grundsätze, zu denen sich die CDU unter der Überschrift „In Freiheit leben“ bekennt, lauten: christliches Menschenbild, Marktwirtschaft, Bürgerlichkeit, innere und äußere Sicherheit, Demokratie und Leitkultur. Hinzu kommen die Westbindung, Israels Sicherheit als deutsche Staatsräson und eine scharfe Abgrenzung vom gegenwärtigen Russland. Mindestens so lange, wie der „verbrecherische Angriffskrieg“ gegen die Ukraine dauert, könne „europäische Sicherheit nur gegen Russland organisiert werden“.
Das linke BSW kann mit diesen drei Punkten nichts anfangen. Statt einer „starken transatlantischen Freundschaft“ will das Bündnis eine Emanzipation Deutschlands von den Vereinigten Staaten, die als finsterer Hegemon gezeichnet werden. Parteigründerin Wagenknecht wirft Israel einen Vernichtungsfeldzug gegen die Palästinenser vor und die wahllose Tötung von Frauen und Männern. Und die Ukraine will man nicht länger unterstützen. Stattdessen solle mit Moskau verhandelt werden.
BSW Parteichefin Sahra Wagenknecht gibt ein Pressestatement im Berliner Paul-Löbe-Haus.
Es gibt keine Schnittpunkte in diesen neuralgischen Feldern zwischen CDU und BSW, keine. Hinzu kommt, dass die Parteigründerin des Bündnisses nicht bereit ist, solche bundespolitischen Fragen auf landespolitischer Ebene auszuklammern. Wagenknecht beharrt wie jede gelernte Sozialistin auf dem genauen Wortlaut schriftlicher Vereinbarungen. Sie macht keine Anstalten, das zu leisten, was der flexible Mario Voigt gutgelaunt in Aussicht stellt: „Wir haben bisher immer Kompromisse gefunden.“
Damit ist der Geist, der ein Ungeist ist der Ära Merkel, aus der Flasche. Abermals können die programmatischen Opfer gar nicht groß genug sein, die die CDU auf dem Altar der Macht opfert: Kompromisse sind demnach gut, wenn sie der Regierungsbildung dienen, Werte und Prinzipien schaden, wenn sie der Regierungsbildung im Weg stehen. Kommt es zur Koalition mit dem BSW, kann die CDU sich mit ihrem Grundsatzprogramm die Schuhe putzen. Zu mehr wird es nicht taugen.
Der thüringische Generalsekretär gab die Losung aus, man sei „bereit, in der Präambel auf Krieg und Frieden einzugehen“. Die Formulierung ist ein Kotau vor Wagenknecht. Denn natürlich soll im Koalitionsvertrag nicht stehen, dass man Krieg ablehnt und Frieden befürwortet – wer täte das nicht? Ziel der Wagenknechtianer ist es, die USA zu kritisieren, die Nato abzulehnen und Russland zu rehabilitieren. Mit diesem Ehrgeiz vertragen sich keine geschmeidigen Placebo-Formeln.
Nicht nur schlechte Strategen, sondern auch miese Mathematiker haben in Thüringens CDU die Macht übernommen. Mario Voigt fabuliert von „stabilen Verhältnissen“ durch eine „stabile Regierung“. Er weiß natürlich, dass die CDU, der er das zweitschlechteste Ergebnis seit der Wiedervereinigung bescherte, und das BSW und die SPD zusammen nur die Hälfte der Sitze im Landtag auf sich vereinen. Er sieht darin eine „de-facto-Mehrheit“.
Andreas Bühl (von links nach rechts, CDU), Katharina Schenk (SPD) und Tilo Kummer (BSW) präsentieren eine Druckschrift mit den Ergebnissen der Sondierungsgespräche zwischen CDU, BSW und SPD in Erfurt.
Schließlich würden, so Voigt, die Oppositionsparteien AfD und Linke „selten miteinander abstimmen.“ Warum aber sollen sie das nicht? Warum soll Die Linke Gesetze zur Migration nicht als zu hart ablehnen, während die AfD sie als zu weich zurückweist? Das Dreierbündnis, von dem Voigt träumt, wäre die Mutter aller Instabilitäten.
Michael Kretschmer gibt Journalisten ein Statement nach der ersten Runde der Sondierungen in Sachsen.
Parteifreund Michael Kretschmer muss diese Sorge nicht haben. In Sachsen könnten sich CDU, BSW und SPD – wenn sie sich einigen – auf 65 von 120 Sitzen stützen. Doch auch in Dresden wäre eine solche „Brombeer“-Koalition das Ende der CDU als jener Programmpartei, die sie gerade wieder werden wollte. Von Sachsen wie von Thüringen ginge nach einer Vereidigung der Ministerpräsidenten Kretschmer und Voigt mit Wagenknechts Placet das Signal aus: Linken Bündnissen gibt die CDU den Segen, Merz hin, Grundsatzprogramm her.
Natürlich gäbe es Alternativen: In Thüringen könnte der in die Macht vernarrte Voigt eine Minderheitsregierung zu schmieden versuchen. Und warum soll es in Sachsen nicht auch mit der AfD „Kennenlerngespräche“ geben, wie sie die CDU mit SPD und BSW in quälender Ausführlichkeit durchführte? Hinter CDU und AfD stünden über 60 Prozent der sächsischen Wähler.
Die Wahrscheinlichkeit aber ist gering, dass die CDU heraus findet aus ihrer Sackgasse. Wer das Brandmauer-Dogma mit dem Anspruch auf Macht kombiniert, landet links der Mitte. Vielleicht erleben wir gerade den Untergang der CDU in der selbstverschuldeten Beliebigkeit.
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