Eine Regierungsbeteiligung der AfD wäre kein historischer Dammbruch

vor 13 Tagen

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Bildquelle: NiUS

Zwei lachende Frauen im Gespräch, ein Bild, große Aufregung. Die CDU-Bundestagsabgeordnete Saskia Ludwig war am Freitag Teilnehmerin bei einer politischen Veranstaltung des Mathias Corvinus Collegiums, einem dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán nahestehendem Institut. Es ging unter anderem um Kritik an der deutschen Brandmauer. Ebenfalls anwesend war Alice Weidel, die sich mit Saskia Ludwig fröhlich unterhielt. Das Bild dieser Unterhaltung geht seit Samstag auf der Plattform X viral.

Der grüne Politiker Daniel Eliasson reagierte empört: „Wenn die CDU sowas in der Fraktion toleriert, ist sie mit demokratischen Fraktionen nicht koalitionsfähig.“ Eine Reaktion, stellvertretend für viele weitere Reaktionen.

Am 30. Juli äußerte sich Konstantin von Notz, Vize-Chef der grünen Bundestagsfraktion, auf X noch besorgter um den Zustand der Christdemokraten: „Dass manche Mitglieder der CDU offenbar glauben, man könne mit der AfD in irgendeiner Form kooperieren ohne gleichzeitig seine eigene bundesrepublikanische Identität und Geschichte inkl. Westbindung final zu Grabe zu tragen, ist so naiv oder dumm oder beides, dass es weh tut.“

Konstantin von Notz warnt die Mitglieder der CDU eindringlich vor einer Kooperation mit der AfD.

Es soll heute um diese Erzählung gehen. Die Wichtigkeit der Brandmauer zur AfD wird erstaunlich selten oder erst im Nachgang inhaltlich begründet. Primär ist ihr Fundament seit jeher die Behauptung der Singularität des Phänomens der AfD in der Geschichte der Bundesrepublik.

Im Wesentlichen werden immer wieder die gleichen drei Argumente hervorgebracht.

1.  Politiker mit abstoßenden Bezügen zum Dritten Reich können in Deutschland doch keine Regierungsverantwortung übernehmen. Das wäre ein historischer Dammbruch in der bundesrepublikanischen Geschichte.

2.⁠ ⁠Politiker, die rechtsradikal sind oder Kontakte zu Rechtsradikalen haben sowie die sie beherbergenden Parteien dürfen in Deutschland doch keine Regierungsverantwortung übernehmen. Das wäre ein historischer Dammbruch in der bundesrepublikanischen Geschichte.

3.⁠ ⁠Eine Rechtsaußen-Partei, die klar rechts von der Union steht, darf in Deutschland keine Regierungsverantwortung übernehmen. Das wäre ein historischer Dammbruch in der bundesrepublikanischen Geschichte.

Verdächtige Sätze, verdächtige Personen, verdächtige Parteien, nichts davon dürfe toleriert werden. All das wird als neuartige Bedrohung für „unsere Demokratie“ dargestellt. Mit der realen Geschichte der Bundesrepublik hat das jedoch wenig zu tun. Von Beginn an waren der rechte Rand und Personen mit individuellem Nazi-Ballast beim Bonner Projekt involviert.

Der erste Bundespräsident und erster Vorsitzender der FDP, Theodor Heuss, hatte 1933 für das Ermächtigungsgesetz gestimmt.  Konrad Adenauer, der ideologischen Nähe zum Nationalsozialismus unverdächtig, machte Hans Globke zum Chef des Bundeskanzleramts. Globke war an der Ausarbeitung der Nürnberger Rassegesetze beteiligt und kommentierte diese als Jurist verschärfend. Knapp 300 Alt-Nazis machten in den Parlamenten der Bonner Republik Karriere.

Konrad Adenauer koalierte mit der Deutschen Partei.

Hans-Christoph Seebohm war von 1949 bis 1966 Bundesverkehrsminister und sogar für kurze Zeit Vizekanzler. Seebohm forderte ein Deutschland in den Vorkriegs-Grenzen und rief einmal, er neige sich „in Ehrfurcht vor jedem Symbol unseres Volkes – ich sage ausdrücklich vor jedem – unter dem deutsche Menschen ihr Leben für ihr Vaterland geopfert haben“.

Für die FDP saß mit Herwart Miessner ab 1950 ein ehemaliges NSDAP-Mitglied im Bundestag, für den wohl das Schlimmste am Zweiten Weltkrieg die Niederlage gewesen sein muss: „Ich bin stolz darauf, dass ich in den Reihen der SA marschiert bin.“ Man muss bei der AfD lange suchen, um ähnliche Zitate zu finden.

Anlässe für Correctiv-Recherchen und vom Ende der Demokratie fantasierende Massendemos gab es aber nicht nur in der frühen Bundesrepublik, sie ziehen sich bis zum Ende des Jahrtausends durch. Kurt Georg Kiesinger hat seine NSDAP-Mitgliedschaft ab 1933 und seine Arbeit für den NS-Staat nicht davon abgehalten, Bundeskanzler zu werden. Helmut Kohl hatte einen Plan in der Schublade, die Zahl der Türken in Deutschland innerhalb von vier Jahren um die Hälfte zu reduzieren. Eine viel radikalere Vorstellung als alles, was die AfD programmatisch fordert.

Mit dem bis heute in fast allen Kreisen hoch geschätzten Helmut Schmidt war sogar ein Wehrmachtssoldat acht Jahre lang Bundeskanzler. Helmut Schmidt vertraute dem Journalisten Giovanni di Lorenzo an, dass er Zivilisten in Russland getötet habe.

Von 1982 bis 1991 war Alfred Dregger der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und bekanntester Vertreter der „Stahlhelm-Fraktion“. Er setzte sich für die Freilassung von verurteilten NS-Kriegsverbrechern ein und kritisierte die Wehrmachtsausstellung, die mit dem „sauberen“ Image der Wehrmacht aufräumte. Die Landesgeschäftsstelle der CDU Hessen ist noch heute nach ihm benannt.

Die Bundesrepublik hat all diese und noch viel mehr Zitate und Charaktere mit, vorsichtig ausgedrückt, schwieriger Vergangenheit und schwierigem Verhältnis zum rechten Rand überlebt. Die ersten beiden Argumente für die Brandmauer halten einer historischen Betrachtung also nicht stand. Doch was ist mit dem dritten Argument? Wäre es nicht wirklich ein Novum, ein Dammbruch, wenn eine Partei rechts von CDU und CSU an einer Regierung, gar an einer Bundesregierung beteiligt wäre?Nein, auch dafür gibt es einen Präzedenzfall. Nämlich die DP, die Deutsche Partei.

Die DP war von 1949 bis 1960 an der Bundesregierung beteiligt, ohne sie hätte Konrad Adenauer nie Bundeskanzler werden können. Auf den Kundgebungen der DP lief der Badonviller-Marsch, der in der NS-Zeit bei den Auftritten Adolf Hitlers gespielt wurde. Auch Hans Christoph-Seebohm, der Bundesverkehrsminister mit „Ehrfurcht“ vor Hakenkreuz und SS-Runen, war Mitglied der Partei, bevor er zu der CDU wechselte. 1964 spielten Teile der DP bei der Gründung der NPD eine entscheidende Rolle.

Selbst dann, wenn die linkeste Beschreibung der AfD für bare Münze genommen wird, muss eingestanden werden, dass die AfD kein neues Phänomen und damit auch keine singuläre Bedrohung der Bundesrepublik ist.

Die Bundesrepublik wird von der Linken bis in die Reihen der Union als Lehre aus der Nazizeit verstanden, als Bollwerk gegen Rechtsradikale interpretiert und als erfolgreiche Kooperation verschiedener Mitte-Parteien propagiert. Diese verklärte Bundesrepublik hat mit der realen Bundesrepublik jedoch so wenig zu tun wie die SPD mit Steuersenkungen.

Eine rechtsradikale Partei an der Bundesregierung, unappetitliches Vokabular mit braunem Einschlag, ein problematisches Verhältnis zur Nazizeit, all das gab es schon. All das hat die Bundesrepublik aber nicht zerstört. Die unangenehme Wahrheit lautet: Der politische Erfolg der alten Bundesrepublik baute auf der Integration von Rechtsaußen auf, nicht auf deren Ausgrenzung.

Nüchtern betrachtet wäre eine AfD-Regierungsbeteiligung eine Rückkehr zur politischen Normalität der Bonner Republik. Sie wäre kein Dammbruch – nur ein Déjà-vu.

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