
Der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat entgegen der bisherigen Tradition keinen Auftrag zur Regierungsbildung erteilt. Zuvor hatte er mit allen Parteien Gespräche geführt. In der Verfassung ist kein zwingender Auftrag zur Regierungsbildung vorgesehen, jedoch war es bisher Usus, dass der Chef der stärksten Partei den ersten Versuch erhält. Nun aber wird diese Tradition aufgeweicht – und das wohl kaum zufällig. Die FPÖ unter Herbert Kickl hat bei der Parlamentswahl einen historischen Sieg errungen. Erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik ist sie die stärkste Kraft im Nationalrat geworden.
Nach Gesprächen mit den Parteichefs steht für Van der Bellen offenbar schon fest: Der Weg für eine Koalition mit den Freiheitlichen ist blockiert. „Es war bisher üblich, der stärksten Partei den Auftrag zur Regierungsbildung zu geben“, erklärte Bundespräsident Van der Bellen am Mittwoch. Doch diesmal sei ein „unüblicher Fall“ eingetreten: Keine der anderen im Nationalrat vertretenen Parteien sei bereit, mit der FPÖ unter Kickl zu koalieren.
Kickl selbst hatte zuvor deutlich gemacht, dass es nur eine Regierungsbeteiligung der FPÖ geben werde, wenn er das Kanzleramt übernimmt. Gleichzeitig haben sowohl die ÖVP als auch die anderen Parteien diese Möglichkeit kategorisch ausgeschlossen. Van der Bellen sprach in diesem Zusammenhang von einer „klassischen Pattsituation“. Gespräche mit der FPÖ gab es bisher jedoch nicht.
Anstatt dem Wahlsieger Kickl den Regierungsauftrag zu erteilen, wie es die demokratische Tradition nahelegen würde, wählt Van der Bellen einen anderen Weg: Er lässt die Freiheitlichen zwar mitspielen – aber ohne echte Chance, das Spiel zu gewinnen. „Ich werde die Vorsitzenden der drei stimmenstärksten Parteien bitten, Gespräche miteinander auf Parteichef-Ebene zu führen.“ Ende der nächsten Woche sollen sie Van der Bellen über die Ergebnisse informieren.
Er betont: „Der Respekt gegenüber den Wählerinnen und Wählern gebietet es, dass wir sicherstellen: Meinen alle Beteiligten ernst, was sie gesagt haben?“ Sondierungsgespräche, die mit Ansage zum Scheitern verurteilt sind, brächten Österreich nichts. Er wollte „Klarheit für Österreich“.
Der ehemalige Grünen-Politiker hat bereits im Vorfeld der Wahl angekündigt, dass er der FPÖ nicht automatisch den Regierungsauftrag erteilen würde, selbst wenn sie die stärkste Kraft wird. Er werde „mit bestem Wissen und Gewissen“ darauf achten, dass bei der Regierungsbildung die „Grundpfeiler unserer liberalen Demokratie“ respektiert werden. Zu seinen „Grundpfeilern“ zählte er neben Rechtsstaat, Gewaltenteilung und Menschenrechten auch die EU-Mitgliedschaft.
In einem ORF-Interview machte er unlängst klar, dass er „eine antieuropäische Partei, eine Partei, die den Krieg Russlands gegen die Ukraine nicht verurteilt, nicht durch meine Maßnahmen noch befördern“ werde. Van der Bellen betonte auch, dass die Kanzler-Ernennung in seiner „höchstpersönlichen Entscheidung“ liege und er dabei nur seinem Gewissen verpflichtet sei.
Mit einem historischen Sieg war die FPÖ als klarer Wahlsieger in Österreich hervorgegangen. Erstmals in ihrer Geschichte wurde die Partei zur stärksten Kraft im Nationalrat. Massiv von den Wählern abgestraft wurde die regierende Koalition aus ÖVP und Grünen. Wahlverlierer ist auch die sozialdemokratische SPÖ. Nichtsdestotrotz könnte sich jetzt eine „Verlierer-Koalition“ bilden. Bereits vor der Wahl hatte sich unter den anderen Parteien eine „neue Brandmauer“ gegen eine Zusammenarbeit mit FPÖ-Chef Herbert Kickl formiert. Die Grünen und allen voran die linksliberalen NEOS könnten für eine stabilere Mehrheit eine Rolle in möglichen Gesprächen spielen.
Für die FPÖ und ihre Wähler muss das wie ein Hohn wirken: Medien berichten, dass SPÖ und ÖVP bereits Gespräche über eine mögliche Koalition führen. Offenbar werden auch schon Posten und Ministerien untereinander aufgeteilt, noch bevor überhaupt offizielle Koalitionsverhandlungen begonnen haben.
Offiziell wird man betonen, dass man alles versucht habe, um eine stabile Regierung zu bilden – doch in Wahrheit dürfte das Ziel von Beginn an klar gewesen sein: Die FPÖ soll um jeden Preis aus der Regierung ferngehalten werden.