
In ihrer Selbstwahrnehmung kämpft die Bundesregierung an derart vielen Fronten zum Wohle Deutschlands, dass kaum eine Rede ohne das pathetische Wort von der „Polykrise“ auskommt. Die Ampel will den Eindruck erwecken, sie verhindere gemeinsam das Schlimmste und bereite das Beste vor. Tatsächlich aber ist das letzte verbindende Element dreier ungleicher Parteien ein ganz anderer, ein kulturkämpferischer Ehrgeiz. SPD, Grüne und FDP streiten vereint für den betreuten Menschen, das überwachte Denken und eine regierungsfreundliche Öffentlichkeit.
Diese freiheitsskeptischen Tendenzen verdichten sich in einem schwer verständlichen englischen Begriff. Die Bundesregierung gab soeben bekannt, dass sie den ersten offiziellen „Trusted Flagger“ ernannt hat, einen „vertrauenswürdigen Hinweisgeber“. Konkret handelt es sich um eine Meldestelle, an die sich wenden kann, wer im Internet an tatsächlichen oder vermeintlichen „Hasskommentaren“ Anstoß nimmt. Der erste staatlich geprüfte „vertrauenswürdige Hinweisgeber“ heißt „Meldestelle REspect!“. Dort verspricht man: „Wir kümmern uns um jeden Hass, der öffentlich geteilt wird.“
Das Meldeformular von REspect!
Mit dem Gütesiegel der Bundesnetzagentur sollen künftig noch mehr Menschen bei REspect! Meldung erstatten und anonym „eine ganz einfache Meldemaske ausfüllen“. Die im baden-württembergischen Sersheim ansässige Einrichtung erstattet dann in ihrem Namen Anzeige bei der Polizei. Auch protokolliert sie die Meldungen, um die „Veränderung von Gesetzen“ zu ermöglichen. REspect! nennt sich unabhängig, ist aber dem staatlichen „Demokratiezentrum Baden-Württemberg“ angeschlossen. Gelder erhält es ebenfalls vom Staat, nämlich vom bayerischen Gesundheitsministerium, dem baden-württembergischen Sozial- und Integrationsministerium und dem von der grünen Politikerin Lisa Paus geführten Bundesfamilienministerium – im Rahmen des auf linken Aktivismus angelegten Förderprogramms „Demokratie leben“.
Suspekt ist fast alles an dieser engen Verschränkung von staatlichen Geldern, Regierungsdoktrin und Regulierungswahn. Ja, der „Trusted Flagger“ ist eine Erfindung der Europäischen Union. Im „Gesetz über digitale Dienste“ taucht er auf. Er soll tatsächliche oder vermeintliche „rechtswidrige Inhalte“ den Plattformbetreibern zur Kenntnis bringen. Diese müssen dann auf die von der Europäischen Kommission beziehungsweise den jeweiligen Landesregierungen zugelassenen „vertrauenswürdigen Hinweisgeber“ rasch reagieren, also Löschungen veranlassen.
In Deutschland verschleiert man nicht, dass der Kampf gegen „Hass und Hetze“ auch den aus staatlicher Sicht unerwünschten Äußerungen gilt – und keineswegs nur „rechtswidrigen Inhalten“. Auf anonyme Meldungen hin soll das Netz gesäubert werden, mit fatalen Folgen für Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und das gesamte öffentliche Klima. Wer bedrängt, verleumdet, bedroht wird, kann solche Straftaten schon heute anzeigen. Dazu braucht es keine staatlich finanzierten Meldestellen. Diese wurden ins Leben gerufen, damit die Regierung ihre Lust an der Zensur als Dienst am Gemeinwohl ausgeben kann.
Schirmherrin von „Demokratie Leben!“ und Familienministerin, Lisa Paus (Grüne)
REspect! will allgemein „gegen Hetze, Verschwörungserzählungen und Fake News“ vorgehen. Das aber bedeutet: Eine vom Bundesfamilienministerium geförderte, von der Bundesnetzagentur ausgezeichnete und von der Bundesregierung beworbene Meldestelle will entscheiden, wo die Meinungsfreiheit endet und die Hetze beginnt. Und dieselbe Meldestelle will definieren, was eine Verschwörungserzählung ausmacht und was als Fake News zu gelten hat. Die Plattformen sollen dann diese im Zweifel gewiss regierungsfreundliche Deutung übernehmen und anstößige „Bilder, Texte, Videos“ (so Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur) löschen.
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Hätte es die privilegierten „vertrauenswürdigen Hinweisgeber“ schon in der Corona-Pandemie gegeben, hätte die Regierung vermutlich eine allgemeine Impfpflicht durchsetzen können. Beiträge von Impfskeptikern wären als Fake News gemeldet und gelöscht worden, Texte über Impfrisiken als Fake News. Leichter ist das Regieren auch, wenn bestimmte Debatten im Internet erst gar nicht entstehen. Wer die Schattenseiten der deutschen Migrationspolitik deutlich ins Licht rückt, ist künftig vielleicht ein Fall für die Meldestelle. Schließlich gehören „unsachliche und aufbrausende Diskussionsbeiträge“ bereits zur Hassrede, belehrt uns eine Begriffserklärung, auf die das Bayerische Familienministerium verweist. Und was unsachlich ist, wissen die Meldestellen natürlich am besten. Die Regierungskritik von heute ist die Hassrede von morgen.
Doch der Hunger der Kulturkämpfer ist erst dann gestillt, wenn sie nicht nur das aus ihrer Sicht Schlechte vernichten, sondern auch das aus ihrer Sicht Gute zuteilen können. Von diesem Ehrgeiz ist offenbar Klaus Müller beseelt. Der Leiter der Bundesnetzagentur war ebenso wie Robert Habeck grüner Landesminister in Schleswig-Holstein. Heute ruft er in einem Video die Bürger auf, unliebsame Inhalte zu melden. Die Bundesnetzagentur, die Habecks Wirtschaftsministerium untersteht, wolle dafür sorgen, „dass Menschen sicher und vielleicht auch ein bisschen fröhlicher auf sozialen Netzwerken und e-Commerce-Plattformen unterwegs sind.“ Es ist ein düsterer Satz, geboren aus Allmachtsphantasie, Kleingeistigkeit und Angst.
Die Regierung misstraut dem Bürger. Er soll bei der Hand genommen und mit Fröhlichkeit für seine Folgsamkeit belohnt werden. Klaus Müller und seine Agentur wollen tun, was sie offen aussprechen – nämlich „überwachen, dass Online-Dienste die neuen Regeln des Gesetzes über digitale Dienste einhalten und die User sicher und frei im Netz unterwegs sein können.“
Die Freiheit, die sie meinen, ist jedoch die Freiheit zum Gehorsam. Die Sicherheit, von der sie träumen, ist die Sicherheit der Regierung vor der allzu abweichenden Meinung.