
Es ist gewiss kein Zufall, dass nach dem Eingriff des Verfassungsschutzes in den demokratischen Prozess die SED, die sich derzeit mit dem Namen Die Linke tarnt, Morgenluft wittert, die demokratische Maske fallen lässt und offen und selbstbewusst die Systemfrage stellt. Die Vorsitzende Iris Schwerdtner hat es im Interview mit der WELT gerade eben im reinsten Stalinismus gesagt: „Wir sollten nicht mehr in Tarnbegriffen reden, sondern von Klasse und demokratischem Sozialismus.“ Dass die hübsche Formulierung demokratischer Sozialismus eine Contradictio in Adjecto darstellt, ist jedem, selbst wenn er sich nur flüchtig mit den kommunistischen Theorien beschäftigt hat, klar.
Schwerdtners „demokratischer Sozialismus“, Gramscis „Zivilgesellschaft“ und Stalins Volksdemokratiekonzept laufen auf das Gleiche hinaus, auf die Diktatur der Partei neuen Typs, auf Lenins und Stalins Kaderpartei. So überrascht es auch nicht, dass man sich in einer Veranstaltung „Junge Frauen lesen alte Texte“ wähnt, wenn Schwerdtner fordert, dass die Linke nicht nur im Innern, sondern auch nach außen wieder leninsche Kaderpartei wird: „Die Linke muss sich wieder als Partei der Klasse verstehen … Dafür müssen wir ein Klassenbewusstsein entwickeln … Die Linke vertritt die Arbeiterklasse und kämpft für die materiellen Interessen all jener, die für ihren eigenen Lohn arbeiten müssen.“ Tja, Proletarier aller Länder, vereinigt euch, die Bürger haben nichts zu verlieren als ihre Freiheit.
Die sogenannte Brandmauer nach links ist gefallen, damit ist die Brandmauer im Sinne der SED zum Antifaschistischen Schutzwall geworden, heftig von Daniel Günther und Karin Prien begrüßt, die, wie Spötter sagen, schon erwägen, ob man nicht als Geste an Reichinnek und Schwerdtner die Konrad-Adenauer-Stiftung in Otto-Nuschke-Stiftung und das Adenauer-Haus in Gerald-Götting-Haus umbenennt.
Nachdem am 1. Mai die politische Linke sich am Hochamt des Kampftages der Werktätigen gestärkt hatte, publizierten einige Medien mit Zitaten aus einem geheimen Verfassungsschutzgutachten gespickt die Einschätzung der Behörde am 2. Mai, an Faesers letztem Arbeitstag, dass die gesamte AfD „gesichert rechtsextremistisch“ sei. Der Coup war gut vorbereitet, auch das große Halali, denn von links bis tief in die Union hinein ließen die guten Demokraten die Masken fallen und forderten ein Parteienverbot und gläubig wie Jungpioniere intonierten sie das Wort von der „wehrhaften Demokratie“, die bei näherem Hinsehen nur die verwehrte Demokratie oder im Ergebnis Reichinneks und Schwerdtners demokratischer Sozialismus oder sozialistische Demokratie ist.
Am 4. Mai konnte Iris Schwerdtner in einem Interview in der WELT und heute Heidi Reichinnek in der Neuen Osnabrücker Zeitung endlich die Masken fallen lassen und zum Sturm auf das System blasen. Man erinnert sich noch zu gut an Katina Schuberts Sätze, die sie auf einer Konferenz der Linken 2020 formulierte: „Der Antikommunismus, wo wir dachten, er wäre überwunden, wird im Moment dermaßen lebendig, was wir möglicherweise lange unterschätzt haben … wenige Wochen vor Thüringen wurde in Berlin eine linke Verfassungsrichterin nicht gewählt, die rechte Opposition feiert sich dafür, dass sie das verhindert hat, wir werden nächste Woche wieder eine feministische Juristin zur Wahl stellen – und warum? Weil wir jetzt die sogenannten liberalen Demokraten auch zwingen wollen, die Mauer nach rechts aufzubauen … wenn wir die Rechten isolieren wollen, wenn sie gesellschaftlich geächtet werden sollen, dann müssen wir eine Brandmauer aufbauen.“ Hat der Verfassungsschutz seinen „Klassenauftrag“ verstanden? Zumindest stellen die Linken kein Problem dar, denn sie sind ja links.
Die Linie, die Reichinnek und Schwerdtner, auch gestützt auf das Verfassungsschutzgutachten, der zeitliche Zusammenhang spricht Bände, vertreten, ähnelt den Konzepten, die die junge Sahra Wagenknecht Anfang der neunziger Jahre verfocht und deshalb als „stalinistisches Teufelchen“ tituliert wurde. Gysi und Bisky stoppten Wagenknecht damals, nicht weil sie Wagenknechts „SED-Treue“ für falsch hielten, sondern weil sie wussten, dass die Partei nur überleben würde, wenn sie Kreide fressen und sich maskieren würde, zumindest bis zu dem Tag, an dem sie das nicht mehr braucht. Wer es genauer wissen will, kann es in meiner Wagenknecht-Biographie nachlesen.
Dieser Tag ist nun gekommen. Iris Schwerdtner will den Sozialismus wieder haben und Heidi Reichinnek stellt einen Tag später klar und deutlich die Systemfrage: „In den heutigen Zeiten muss man radikal sein, der Sozialstaat wird immer weiter ausgehöhlt, der Reichtum von wenigen explodiert, die Demokratie ist auch dadurch ernsthaft bedroht. Wer das verhindern will, der darf den Kapitalismus nicht stützen, er muss ihn stürzen. Er muss sich dagegenstemmen und die Systemfrage stellen, ganz klar.“ Reichinnek stellt die Systemfrage. Was macht der Verfassungsschutz? Schmunzelt er wohlig?
Reichinnek behauptet – und sie dürfte es tatsächlich nicht besser wissen: „Uns wird ja immer vorgeworfen, Nachfolgepartei der SED zu sein. Das stimmt, aber wir hatten eine historische Kommission, die die Fehler eindeutig benannt und aufgearbeitet hat.“ Erstens ist die Linke nicht die Nachfolgepartei der SED, sie ist die SED, SED und Linke sind rechtsidentisch. Zweitens kann man sich über die Aufarbeitung durch die Historische Kommission streiten, und über deren Wirksamkeit schlechthin, wenn man sich den Wunsch in der Partei anschaut, beispielsweise das 1 Prozent Reiche zu erschießen. Oder eben die Rückkehr des Sozialismus, die Rückkehr eines Systems, das Zersetzung, Terror, Gulag und Genickschuss benötigt. Reichinnek jedenfalls schwärmt von „sehr erfolgreichen Meldeportalen“ und weiß: „Wer ein geschlossenes, rechtsextremes Weltbild hat, an den komme ich wahrscheinlich nicht heran. Da braucht es andere Mittel.“ Die anderen Mittel sind hinlänglich bekannt. Die Geschichte des Kommunismus reduziert sich im Wesentlichen auf eine Geschichte der politischen Polizei.
Ich plädiere weder dafür, dass die AfD verboten oder durch eine politische Polizei beobachtet und diskriminiert wird, noch, dass der Verfassungsschutz gegen die Linke tätig wird. Die Entscheidung und die Wahl liegen bei den Bürgern. Nicht beim Verfassungsschutz.