
Seit fast einem Jahr schleppt sich die Verhandlung gegen die mutmaßlichen Terroristen der sogenannten Reichsbürgerverschwörung vor dem Frankfurter Oberlandesgericht dahin. Das gesetzlich vorgeschriebene Ziel von zwei Verhandlungstagen pro Woche verfehlt man zurzeit deutlich. Der Vorsitzende bemüht sich zwar, diesen Zustand zu heilen, bei einem großen Verfahren wie diesem, mit sehr vielen Beteiligten, ist das aber ein fast aussichtsloses Unterfangen.
Glaubte man den Berichten der sogenannten Leitmedien, war Deutschland mit den Festnahmen, gerade noch so, vor einer bisher für unmöglich gehaltenen Gefahr bewahrt worden. Von gigantischen Kriegswaffenlagern war da die Rede. Beweise für diese Waffen legte die Bundesanwaltschaft bisher jedoch keine vor. Stattdessen präsentierte sie einen mehrfach als Betrüger verurteilten Straftäter als Zeugen. Die Verteidiger haben zur Motivation der Bundesanwaltschaft eine Vermutung.
Strafrechtlich relevant werden etwa bereits theoretische Verabredungen zu einer möglichen Straftat. Es genügt, dass die Vereinigung als solche strukturell in der Lage ist, erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit darzustellen, indem sie über einen verfestigten Willen zur Begehung entsprechender Straftaten verfügt. Entsprechend dieser Logik zielt § 129a StGB auf die präventive Zerschlagung gefährlicher Strukturen ab. Noch bevor konkrete Taten begangen werden konnten, und unabhängig davon, ob überhaupt die materiell-technische Möglichkeit besteht, diese Straftaten tatsächlich zu begehen.
Um so überraschter waren die Verteidiger des Prozesses, als die Bundesanwaltschaft nachträglich einen Zeugen benannte, der bereits in verschiedenen Strafprozessen als Zeuge der Anklage auftrat. Dieser Zeuge, ein mehrfach wegen Betrugs zu Haftstrafen verurteilter Straftäter, war in verschiedene Haftanstalten verlegt worden, freundete sich mit Insassen an, und, wenn diese ihrem Bedürfnis nachgaben, über die ihnen vorgeworfene Tat zu sprechen, notierte er alles minutiös. Danach, so er und die Anklage, „offenbarte“ er sein Wissen der Polizei.
Auch bei diesem Prozess wurde er in das Gefängnis verlegt, in dem verschiedene Angeklagte ihre Untersuchungshaft verbüßen. Zunächst wollte er sich offensichtlich mit Prinz Reuß anfreunden. Doch das gelang nicht und er wandte sich einem anderen Angeklagten dieses Prozesses zu. Er notierte alle Gespräche mit diesem Angeklagten. Mit Datum und Uhrzeit. Dank der Fülle der handschriftlichen Protokolle scheint es fast, als sei er Privatsekretär dieses Angeklagten. Tatsächlich hat der Zeuge vor Gericht ausgesagt, dass er sich das Vertrauen des Angeklagten erschlichen hätte, um dessen Ungeheuerlichkeiten und dessen Menschenverachtung dokumentieren zu können.
In einem Antrag wies Dr. Sylvia Schwabe, Verteidigerin einer Angeklagten, auf die damit einhergehende Problematik hin. Hier Auszüge einer Mitschrift aus ihrem Antrag, den sie in der Verhandlung mündlich vorgetragen hat. In ihrem Antrag stellte sie die Frage:
„Wird es den Angeklagten bei einer Verurteilung überzeugen, wenn sie sich auf Unterlagen, auf Aussagen eines Menschen stützt, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, seine Mitmenschen, um seines eigenen Vorteils willen, aufs widerlichste über den Tisch zu ziehen? Um der Lebenslüge willen, er stehe auf der richtigen Seite des Rechts? Da mag man jetzt einwenden, dass den Angeklagten womöglich nichts außer einem Freispruch überzeugen würde. Aber das ist kein zulässiges Gegenargument. Wird der Bürger ein solches Urteil achten oder wird er nur lernen, dass der Staat nicht zimperlich ist, woher er seine Beweismittel bekommt? Auch wenn es von denen ist, die er selbst in das Gefängnis gesteckt hat?“
„Der Zeuge hat sich zum Chefermittler in deutschen Gefängnissen erkoren. Bereits auf dem Transport von der Einlieferungsanstalt in Augsburg nach Bayreuth hat er den ersten Mitgefangenen ausgehorcht und diesem natürlich nicht erzählt, dass er die Informationen an die Ermittler weitergeben wolle. Der Zeuge hat hier mit unverhohlenem Stolz berichtet, wie er den Angeklagten nicht einfach nur hat plappern lassen, sondern, dass er sich in sein Vertrauen geschlichen hat. Dabei habe er nicht immer die Wahrheit gesagt. Er habe sich auch erfolgreicher dargestellt, den Erpressungsvorwurf weggelassen. Auch habe er nicht gesagt, dass er, nach eigener Ansicht, auf Seiten der Ermittler stehe, auf der richtigen Seite des Gesetzes, wie er es formuliert. Zum weiteren Motiv berichtete er, dass er sich einen Vorteil für sich selbst versprochen und auch bekommen habe. Ein Empfehlungsschreiben der Staatsanwaltschaft Ingolstadt und wohl auch ein Empfehlungsschreiben der Staatsanwaltschaft im Betäubungsmittelverfahren, das er in der JVA Lingen ausermittelt hat.“
„Anlass dieses gezielten Aushorchens des Angeklagten sei gewesen, dass der Zeuge fand, dass der Angeklagte keine Reue gezeigt habe, obwohl er, der Zeuge, als er den Haftbefehl gelesen hatte, zum Schluss kam, dass er doch völlig zurecht in Haft saß und man ihn verurteilen müsste. Der Zeuge hat sich damit zum Richter aufgeschwungen. Er hat alles, wofür wir als Verteidiger, aber auch die Anklagebehörde und besonders der Senat stehen, mit Füßen getreten. Eine Vorverurteilung aufgrund eines Haftbefehls, die die Beweise für eine entsprechende Verurteilung liefern soll.“
Später in ihrem Vortag verwies Dr. Schwab auf ein kodifiziertes Verwendungsverbot mit einer Abwägung hin. Einer Abwägung, die der Gesetzgeber vorgenommen hat.
„Ich habe mich auch nicht versprochen. Ich sagte Verwendungsverbot und meine das im Sinne der Beweisverbotslehre, die den Begriff des Verwendens benutzt, um klarzustellen, dass auch die ‚fruit of the poisonous tree‘ nicht verwertet werden darf. Es also keine Fernwirkung gibt. Wo findet sich dieses umfassende Verbot? In § 23 Stasi-Unterlagengesetz. Und jetzt mag man denken, was für ein Blödsinn: Wer ist hier denn die Stasi? Vielleicht lassen Sie sich, Hoher Senat, auf das Gedankenspiel ein. Es geht mir hier darum, dass der Gesetzgeber eine Wertung vorgenommen hat, die dem Senat die Richtung weisen könnte. Dem Verwendungsverbot des Stasi-Unterlagengesetzes ist zu eigen, dass die Stasi-Unterlagen Beweismittel sind, die nicht von bundesrepublikanischen Organen erhoben wurden. Damit sind sie Beweismittel, die von Dritten gewonnen wurden, wobei Dritte im Sinne der Beweisverbotslehre immer sowohl Private als auch andere Staaten sein können, schlicht jeder, der nicht Organ der Bundesrepublik ist.“
„Der Zeuge ist, aus der Perspektive der Ermittlungsbehörde gesehen, genauso ein Dritter. Er hat auch nichts anderes gemacht als die Mitarbeiter des VEB Horch und Guck. Er hat Mithäftlinge bespitzelt, hat sich in ihr Vertrauen geschlichen, dabei gelogen, geschwindelt, übertrieben oder kleingeredet. Den Gesetzgebungsmaterialien zum Stasi-Unterlagengesetz ist zu entnehmen, dass der Datenerhebung ein rechtswidriger Charakter zukommt. Bemerkenswerterweise wird nirgendwo grundlegend systematisch begründet. Weil die DDR ein Unrechtsstaat war? Das ist sehr pauschal. Historisch gesehen ist die Bewertung nachvollziehbar. Spitzeleien gab es im Dritten Reich und in der DDR. Daraus haben wir die Lehre gezogen, dass dadurch ein Klima des Misstrauens von jedem gegen jeden entsteht. Eine Atmosphäre, in der wir nicht leben wollen.“
„Genau diese Situation haben wir aber hier. Was der Zeuge gemacht hat, war beste Blockwartmentalität. War es aber rechtswidrig im formellen Sinne? Ein bisschen? Nur dann, wenn er bestimmte Unterlagen erlangt hat, die den Kernbereich der Verteidigung betreffen? Wieso nur bei bedeutenden Unterlagen? Liegt der Unterschied darin, dass ein IM zuvor von der Staatssicherheit verpflichtet wurde, während sich der Zeuge immer nur angedient hat, also IM werden wollte, aber der Rechtsstaat das nicht wollte? Wenn aber der Rechtsstaat den Zeugen nicht als IM will, dann sollte er ihn auch nicht abschöpfen. Und dieses Wort habe ich mit Bedacht gewählt.“
Einige Verteidiger des Prozesses äußern nun die Vermutung, dass der Zeuge der Bundesanwaltschaft ein Nebenprodukt von deren übergroßem Bedürfnis sei, die behaupteten kriegsfähigen Waffen und Munition in erheblichem Umfang zu finden.
Nach § 129a, dem RAF-Paragraphen, können die Angeklagten auch jetzt schon verurteilt werden, doch offensichtlich will man, so die Vermutung einiger Verteidiger, auf Seiten der Anklage etwas, das von der Bevölkerung verstanden, nachvollzogen und akzeptiert werden könnte. Die vor Prozessbeginn vollmundig in den Medien verkündeten Kriegswaffen in entsprechender Menge würden da sehr gut passen. Die Jagdgewehre und Küchenmesser, die in einem von der Bundesanwaltschaft angefertigten Dossier minutiös aufgelistet sind – allerdings erst nach mehrfacher Anmahnung einiger Verteidiger – erfüllen diese gewünschte Außenwirkung jedenfalls nicht.
Der Zeuge hat übrigens den Rechtsbeistand einer Kanzlei, die für viel bekannt ist, nicht jedoch dafür, sich mit der Zahlung nach der Gebührenordnung zufrieden zu geben. Nicht nur die Anwälte des Verfahrens fragen sich: Wie geht das denn?