Reichskanzler Brüning und der letzte Rettungsversuch

vor 3 Monaten

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Bildquelle: Apollo News

Man nennt ihn den Totengräber der Weimarer Republik, seine Deflationspolitik wird noch heute als mahnendes Beispiel gegen Sparpolitiken ins Feld geführt – über Reichskanzler Heinrich Brüning hat die Geschichte nicht gut geurteilt. Aber ist das ein gerechtes Urteil? Heute wird er gerne einseitig verkannt. Dass er der letzte Demokrat war, der die Republik führte, wird vergessen – und dass seine Bemühungen Weimar hätten retten können, wird gerne weggeredet.

Das jüngste von drei Kindern einer katholisch-mittelständischen Familie im Münsterland legte eine bemerkenswerte akademische Karriere hin, studierte unter anderem Philosophie, Geschichte, Germanistik, auch ein Semester Jura und promovierte 1915, abschließend während eines Heimaturlaubs von der Front, in Volkswirtschaft. 1914 zog der 29-jährige Fast-Doktor Brüning in den Krieg – für seinen Kaiser und als persönliche Bewährung. Der schwächliche, dürre, bebrillte Brüning zeichnete sich durch Tapferkeit aus, die mit dem Eisernen Kreuz erster und zweiter Klasse belohnt wurde. Als Leutnant kommandierte er unter anderem eine kleine Eliteeinheit von Maschinengewehrschützen.

Der Krieg veränderte ihn persönlich und politisierte ihn offenbar, wie viele in seiner Generation. Wollte Brüning vor dem Krieg noch eine akademische Karriere anstreben, wie Unterlagen des Heeres belegen, ging er nach dem Krieg in die Politik. Seine persönliche Grundhaltung, die Werte des erzkatholischen Münsterlandes widerspiegelnd, änderte sich dabei offenbar nicht. Im Herzen blieb der Zentrum-Politiker Monarchist und für einen katholischen Westfalen überraschend treu zu den Hohenzollern – galt jedoch später als „Vernunftrepublikaner“.

Nach einer kurzen Zeit als Gewerkschaftsfunktionär nach Kriegsende landete Brüning schließlich in der Parteipolitik, wurde Kopf des rechten Flügels der katholischen Zentrumspartei und stieg schnell zum Fraktionsvorsitzenden im Reichstag auf. Er vertrat eine Art christsozialer Politik, seine Idee sah das Reich als „sozialen Volksstaat“. In der Wirtschaftskrise ab 1929 wurde die Stimme Brünings, der konsequent seine Politik vertrat, schnell zu einer der geachtetsten im Reichstag. Auch Präsident von Hindenburg nahm Notiz von dem katholischen Politiker, der Verzicht und Sparkurs predigte.

Schließlich kollabierte die Weimarer Koalition unter Führung der SPD, die Sozialdemokraten stürzten ihren eigenen Reichskanzler Müller aufgrund einer Nichtigkeit. Der Reichspräsident ernannte daraufhin Brüning im Frühjahr 1930 zum Reichskanzler – ohne parlamentarische Mehrheit. Seine Macht stützte er auf Hindenburgs Verordnungen und schuf so das erste von mehreren „Präsidialkabinetten“ am Ende der Weimarer Republik. Die Lage des Reichs war desaströs: Ein Bankenkollaps erschütterte Deutschland, nachdem das fragile, auf Sand gebaute internationale Kreditsystem zusammenbrach. Das von internationalen Geldgebern abhängige Reich rutschte in eine schwere Krise.

Brüning herrschte mit der Macht des Reichspräsidenten im Rücken – an das Parlament glaubte er längst nicht mehr. „Das Kabinett ist gebildet mit dem Zweck, die nach allgemeiner Auffassung für das Reich lebensnotwendigen Aufgaben in kürzester Frist zu lösen. Es wird der letzte Versuch sein, die Lösung mit diesem Reichstag durchzuführen“, erklärte der Reichskanzler drohend im Reichstag. Bereits Monate vorher hatte Brüning sich unter anderem mit Franz von Papen und Kurt Schleicher über Wege weg vom Parlamentarismus ausgetauscht; auch der greise Hindenburg, nie ein Demokrat gewesen, war den ständig wechselnden parlamentarischen Kabinetten längst müde geworden. Doch Brüning wollte den Parlamentarismus selbst nicht abschaffen, sondern nur in eine parlamentarische Monarchie überführen.

Vor diesem Hintergrund kann man Brüning nicht als Totengräber der Weimarer Republik sehen, sondern muss ihn als den letzten Reichskanzler begreifen, der das demokratische Deutschland noch retten wollte. Schnell setzte er seine Deflationspolitik um – rigorose Sparvorschläge auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens zur Sanierung der Finanzlage von Reich, Ländern und Gemeinden. Das Ziel: Die Ausgaben der öffentlichen Hand den sinkenden Einnahmen angleichen. Mit Lohn- und Gehaltskürzungen wollte er die Gestehungskosten in der Wirtschaft senken und Importe radikal reduzieren, um eine positive Außenhandelsbilanz zu sichern.

Dies diente verschiedenen Zwecken. Während auch Brünings Erziehung als frommer Katholik und seine als asketisch beschriebene Lebensweise eine Rolle gespielt haben mögen, sah er außen- wie wirtschaftspolitisch große Chancen durch seinen Kurs. Außenpolitisch sollte der harte Sparkurs den Alliierten Reparationsforderern einerseits guten Willen signalisieren – und andererseits aufzeigen, dass das Reich nicht in der Lage sein werde, die horrenden Summen zu erfüllen, die der Versailler Vertrag verlangte. Innenpolitisch sollte es den ausufernd defizitären Staatshaushalt einfangen und die Grundlage für eine wirtschaftliche Erholung sichern.

Seine Deflationspolitik war eine harte Rosskur: Das Geld wertete massiv auf, viele Unternehmen mussten trotz voller Auftragsbücher in die Insolvenz gehen. Millionen wurden arbeitslos. Diese Deflationspolitik, das war Brüning und seinem Kabinett klar, wirkte zunächst krisenverschärfend. Eine neuerliche Wahl 1930 überstand zwar das Zentrum, nicht aber die demokratischen Kräfte an sich. Insbesondere die Nazis erstarkten und zwangen auch die demokratische Linke in eine ungewollte Solidarität mit der Brüning-Regierung. Eine Mitte-Rechts-Basis, die Brüning sich gewünscht hatte, war illusorisch geworden. Brüning blieb mit präsidialer Unterstützung weiter im Amt.

Brünings finanzielle und wirtschaftliche Maßnahmen zur Bewältigung der Krise entsprachen der herrschenden Lehre der Volkswirtschaft, und er war ja ein Mann vom Fach. Die negativen Entwicklungen, die man ihm auch im Rückblick anlastet, hätten sich wahrscheinlich so oder so manifestiert. Sein wirtschaftspolitischer Spielraum war durch Bestimmungen des Young-Plans, der die Zahlung der Reparationen und Kredite für das Reich regelte, hart eingeschränkt – eine Abwertungspolitik der Reichsmark etwa hätte er gar nicht verfolgen können, wenn er denn gewollt hätte.

Die Rechte mobilisierte inzwischen gegen Brüning: Die berüchtigte „Harzburger Front“ der antidemokratischen Rechten, der Soldatenbünde, Deutschnationalen und Nationalsozialisten, richtete sich vor allem gegen seine Regierung und sein Kabinett. Längst hatte man ihn wegen seiner Bemühungen, eine Verständigung mit den Alliierten bezüglich der Reparationen zu erreichen, zum „Erfüllungskanzler“ verschrien.

Sein Ende kam jedoch durch die Sachfrage der sogenannten „Osthilfen“. Die alten Güter der Ritter und Junker im östlichen Teil Preußens waren nicht rentabel und wurden seit den frühen 20ern mit den Subventionen der sogenannten „Osthilfe“ über Wasser gehalten – für den immer wieder klammen Reichshaushalt eine schwere Belastung. Millionen Reichsmark an Subventionen flossen in ein Fass ohne Boden, das vor allem dem politischen Appeasement der alten Junkerklassen diente. Die Gebiete östlich der Elbe entvölkerten sich zunehmend, Millionen Arbeitslose lebten, wenn überhaupt, von der Hand in den Mund.

Brüning schlug ein radikales Vorgehen vor: Die Osthilfe solle enden. Dann sollte der Staat die unrentablen, ostelbischen Güter ersteigern und zerschlagen: Statt weiter große Flächen in der Hand einzelner Großagrarier verkommen zu lassen, sollte die Reichsregierung so eine Landreform vorantreiben und so gleichzeitig die Situation im Agrarsektor als auch die Armut und Arbeitslosigkeit in den Griff kriegen. Erblose Bauernsöhne und Arbeitslose sollten hier ihr eigenes Land bestellen und so ihr Auskommen sichern.

Damit saß Brüning endgültig zwischen allen Stühlen: Linke Karikaturisten verspotten ihn weiterhin als Diener der Großgrundbesitzer, während ebenjene Großgrundbesitzer bei Präsident Hindenburg wütend die Absetzung des „Agrarbolschewisten“ Brüning verlangten. Paul von Hindenburg, selbst Großgrundbesitzer in Ostpreußen, konnte sich auch persönlich nicht für die Idee einer Zerschlagung der großen Landgüter im Osten erwärmen. So gab er am 29. Mai 1932 bekannt, dass er keine weitere Notverordnung Brünings unterzeichnen würde. Brüning stand so ohne Macht da – keine Mehrheit im Reichstag besitzend und vom Präsidenten kaltgestellt, trat er am 30. Mai als Reichskanzler zurück.

Damit endete eine der vielleicht umstrittensten Kanzlerschaften der Weimarer Republik. Brünings Vision, die Reichsrepublik ganz nach seiner persönlichen Art durch einen fast asketischen Kurs der Deflation und des eisernen Sparens zu stärken, wird bis heute höchst unterschiedlich beurteilt. Viele Geschichtswissenschaftler sehen in seinem Handeln einen Brandbeschleuniger für das Ende der Weimarer Republik, ganz wie schon Brünings Zeitgenosse Carl von Ossietzky, einer der damals schärfsten Kritiker Brünings. Der urteilte: „Herr Brüning fühlt sich als Kanzler der Sanierung; aber er ist kein Beginn, er ist ein Letzter. Bestimmt, die Kapitulation vor den Barbaren zu unterzeichnen“.

Andere sehen in Brüning eine tragische Figur – und das nicht zu Unrecht. Der Reichskanzler war gemeinhin erfolgreicher, als die Geschichte über ihn urteilt. Mit seinem Sparkurs, der nicht zuletzt ein außenpolitisches Instrument war, erreichte er schließlich die Streichung der Reparationen – nur wenige Wochen nach seinem Ende im Amt beschloss die Konferenz von Lausanne das Ende der erdrückenden Reparationszahlungen, die im Young-Plan noch bis in die 1980er-Jahre gestreckt worden waren. Das war vor allem Brünings Erfolg. Doch die Geschichte verbat es ihm, die Früchte seiner Politik zu ernten. Nur innerhalb weniger Monate hätte er einen Turnaround schaffen können – es war ihm nicht vergönnt.

Hätte er es geschafft – hätte er dann Hitler aufhalten können? Vielleicht. Vielleicht waren die antirepublikanischen Fliehkräfte aber einfach schon zu stark gewesen. Aber die undankbare Rolle, in die Brüning im Rückblick gesteckt wird, wird dem Mann nicht gerecht.

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