Religiöse Trendwende in Frankreich?

vor 9 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

Als am Aschermittwoch zum Beginn der Fastenzeit die Gottesdienste in Frankreich von Jugendlichen und jungen Erwachsenen geradezu überrannt wurden, berichteten nur wenige christliche Medien darüber, und das nicht ohne Verwunderung: Ob Provinz oder Großstadt, vielerorts waren die Kirchen überfüllt, Priester gaben zu Protokoll, derartiges noch nie erlebt zu haben. Die Frage, die sich damals stellte: Handelt es sich um einen kurzlebigen Hype, oder zeichnet sich eine nachhaltige Entwicklung ab?

Die Zahlen, die die französische Kirche nun zu Ostern vorlegt, deuten auf letzteres hin: Über 18.000 Menschen werden am diesjährigen Osterfest in die katholische Kirche aufgenommen. Eine Steigerung um 30% zum Vorjahr. Darunter fallen 10,384 Erwachsenentaufen, hinzu kommen über 7,400 Jugendliche zwischen 11 und 17 Jahren, die sich ebenfalls taufen lassen.

Aus Sicht der großen christlichen Konfessionen in Deutschland sind das beeindruckende Zahlen. Zum Vergleich: Im Jahr 2024 traten in Deutschland lediglich 1.839 Menschen in die katholische Kirche ein, immerhin 4.743 machten ihren Austritt rückgängig.

In einem derart stark säkularisierten Land wie Frankreich, wo die Laicité, die strenge Trennung von Staat und Kirche, zur Staatsdoktrin gehört, ist diese Hinwendung zum institutionellen Glauben ein bemerkenswertes Phänomen. Wie ist das zu erklären?

Im Raum stehen verschiedene Theorien. Einigermaßen einsichtig ist die Vermutung, dass junge Menschen auf der Suche nach Sinn verstärkt auf die Angebote der Kirche zurückgreifen, dass sie in einer fragmentierten und individualistischen Gesellschaft, insbesondere nach den traumatisierenden Jahren der Covid-Pandemie, nach Stabilität, Bindung und Gemeinschaft suchen. Auch die Präsenz des Islam und die oft selbstverständlich Raum einfordernde Glaubenspraxis vieler Muslime könnte eine Rolle spielen: Wer als Christ gewöhnt ist, Selbstzensur zu betreiben, und den eigenen Glauben so wenig wie möglich öffentlich zu zeigen, oder wer verinnerlicht hat, dass Glaube und Religion keine Priorität haben, ist immer stärker mit religiösen Menschen konfrontiert, die ihre Überzeugungen offen und öffentlich vertreten, und die dem Glauben hohe Priorität einräumen. Zugleich ist denkbar, dass damit auch der Versuch kultureller Selbstbehauptung und Rückgewinnung der eigenen kulturellen Wurzeln verbunden sein könnte.

Die hohen Taufzahlen aus Frankreich stehen nicht allein: Ein ähnliches Phänomen zeigt sich in England. Hier sind es die Zahlen der Gottesdienstbesucher, die kontinuierlich steigen – um 50% innerhalb der letzten sechs Jahre in England und Wales. Besonders sticht hier hervor, dass die Rate vor allem unter jungen Männern stieg: Von 4% auf 21%.

Doch angesichts des mangelnden Interesses der säkularen Öffentlichkeit an innerkirchlichen Vorgängen wird weiterhin vor allem innerhalb christlicher Medien darüber spekuliert, was die Menschen zur Kirche zurückführt. Die katholische Zeitung La Croix hat in einer nichtrepräsentativen Umfrage nach Gründen für den Wunsch, getauft zur werden, gefragt. Die Ergebnisse regen dazu an, den Sachverhalt umfänglich zu untersuchen: 51% der Befragten geben an, dass eine spirituelle Erfahrung ein Motiv sei – die Befragten konnten drei Antworten auswählen, als wichtigsten Grund erwähnten 30% die spirituelle Erfahrung, für 12% stand sie an zweiter, für 9% an dritter Stelle. Sinnsuche ist mit insgesamt 35% vertreten, 18% nennen die persönliche Begegnung mit Priestern oder Gläubigen. Dazwischen rangiert mit 21% der Wunsch, „die christlichen Wurzeln Frankreichs zu entdecken“.

Das ist spannend: Die Rückgewinnung der eigenen Kultur spielt zwar durchaus eine Rolle, die geistliche Ebene der Bekehrung nimmt jedoch eine weit prominentere Position ein.

Falls diese Umfrage den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht, würde dies darauf hindeuten, dass sich hier eine nachhaltige Wende abzeichnen könnte. Denn eine rein auf kulturelle Selbstvergewisserung zielende, äußerliche und politisierende Hinwendung zum Christentum käme lediglich einer Instrumentalisierung des Glaubens gleich und wäre kaum tragfähig. Aus echter Überzeugung hingegen kann entsprechender Lebenswandel erwachsen, der seinerseits konstruktiv in die Gesellschaft hineinwirkt.

Ob eine solche Entwicklung auch in Deutschland ansteht, ist indes fraglich. Hier ist nicht nur konfessionelle Spaltung ein Hemmschuh. Neben der teils offen feindseligen säkularen Presse sind es innerkirchliche Kreise selbst, die nicht selten aggressiv gegen den Glauben, die Glaubenslehre und die Kirche agitieren; hier sind es nicht selten Priester, die Spiritualität infantilisieren, Bischöfe, die den Glauben banalisieren, und politisierte Laien, die jegliche authentische geistliche Erfahrung als latente Gefahr betrachten. Zudem blockiert ein durch Kirchensteuer und Staatsleistungen aufgeblähter Apparat von Berufschristen die Entfaltung eines lebendigen Christentums.

Nicht einmal ein Drittel der Christen in Deutschland feiert Ostern als religiöses Fest – so berichtet der WDR in einem unbeholfenen Artikel, der auch gleich mit Fehlinformationen über das Osterfest aufwartet, obwohl es sich um leicht auffindbares Faktenwissen handelt.

Auch künstliche Aufregung um in „Sitzhasen“ umbenannte Schokoladenosterhasen kann also nicht darüber hinwegtäuschen, dass Deutschland von einer Rückkehr zu den eigenen religiösen, und damit gezwungenermaßen auch von der Rückkehr zur eigenen kulturellen Identität weit entfernt ist. Wird Frankreich einen anderen Weg einschlagen?

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