
Die neue Bundesregierung blendet ein zentrales Zukunftsproblem konsequent aus: das marode Rentensystem. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm hebt dieses Versäumnis im Gespräch mit Focus online auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel 2025 hervor. „Bei der Rente ist eine große Leerstelle im Koalitionsvertrag“, warnt sie. Obwohl das System bereits heute auf wackligen Beinen steht, lege die Ampel laut Grimm „noch einen drauf“ – und verschärfe damit die strukturelle Schieflage weiter. Ihre Warnung ist unmissverständlich: „Man läuft da sehenden Auges auf einen Abgrund zu.“
Veronika Grimm fordert umfassende Reformen der Rentenpolitik und mahnt eindringlich, dass die Politik nicht länger tatenlos zusehen dürfe. Besonders der bevorstehende Ruhestand der geburtenstarken Jahrgänge – jener, die Mitte der 1950er bis Ende der 1960er Jahre geboren wurden – verschärfe die Lage zusätzlich. Das derzeitige Rentenniveau konstant zu halten, sei laut Grimm „nicht nachhaltig“.
Das Rentenniveau gibt an, wie viel Prozent des durchschnittlichen Einkommens ein Rentner nach 45 Beitragsjahren erhält. Im Jahr 2024 erreichte es mit 48,0 Prozent den niedrigsten Stand in der Geschichte der Bundesrepublik. Dennoch plant die Bundesregierung, diesen Wert bis 2031 beizubehalten. Ein Vorhaben, das kaum als zukunftstauglich gelten kann. Schon heute leben viele Senioren in finanzieller Not. Eine Anhebung der Rente wäre notwendig.
Genau hier setzt Grimms Kritik jedoch an: Um das aktuelle Rentenniveau dauerhaft zu stabilisieren oder gar anzuheben, müssten die Beitragssätze steigen – mit gravierenden Folgen. Höhere Lohnnebenkosten würden Beschäftigte wie Unternehmen gleichermaßen belasten, die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe schwächen und womöglich Arbeitsplätze gefährden oder auch die Abwanderung ins Ausland beschleunigen. Bereits jetzt sind die Beiträge nämlich enorm hoch. Aktuellen Daten von Allianz zufolge beträgt der Beitragssatz im Jahr 2025 insgesamt 18,6 Prozent des Bruttolohns, wobei Arbeitnehmer und Arbeitgeber jeweils die Hälfte zahlen, also jeweils 9,3 Prozent.
Nach Grimms Logik müsste das Rentenniveau also eigentlich gesenkt werden, um das System langfristig tragfähig zu halten. Demgegenüber steht jedoch die soziale Realität: Eine Absenkung wäre für die deutschen Senioren verheerend, denn die steigenden Lebenshaltungskosten machen immer mehr Rentner zu Sozialfällen.
Nach einer repräsentativen Umfrage des Haftpflichtverbands der Deutschen Industrie (HDI) müssen sich über die Hälfte der Rentner im Alter stark einschränken; nicht einmal 17 Prozent können ihren bisherigen Lebensstandard halten. Zwei Drittel haben ausschließlich auf die gesetzliche Rente vertraut und privat nicht vorgesorgt. Die AfD-Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy bringt es auf den Punkt: „Die gesetzliche Rente muss wieder eine solide Grundlage für den Ruhestand sein …“ – aktuell ist sie das nicht.
Es ergibt sich ein festgefahrenes Dilemma. Klar ist: Eine weitere Erhöhung der Beitragssätze zur Rentenversicherung steht nicht zur Debatte – sie sind bereits jetzt auf einem historisch hohen Niveau. Gleichzeitig ist es ebenso untragbar, das Rentenniveau auf dem derzeit niedrigen Stand zu belassen oder gar weiter abzusenken. Noch vor wenigen Jahrzehnten lag dieses deutlich höher: Im Jahr 1977 betrug das Rentenniveau in Deutschland etwa 59,8 Prozent des Durchschnittseinkommens.
Auch im europäischen Vergleich zeigt sich, wie schlecht Deutschland dasteht. Während Länder wie Dänemark (80 Prozent), Luxemburg (76,6 Prozent), Portugal (74,9 Prozent), Italien (74,6 Prozent) oder Österreich (74,1 Prozent) weit über dem deutschen Wert liegen, schneidet auch Frankreich mit 60,2 Prozent deutlich besser ab.
Die Herausforderung besteht nun darin, das Rentenniveau anzuheben, ohne die Beitragssätze weiter in die Höhe zu treiben – und damit sowohl Rentner als auch die Beitragszahler zu entlasten. Die einzige realistische Lösung: Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt. Ohne zusätzliche Haushaltsmittel ist dieses Ziel nicht erreichbar.
Doch die politische Initiative dafür fehlt. Wie schon unter der Vorgängerregierung zeigt sich auch bei der neuen Koalition, welchen geringen Stellenwert Rentner scheinbar in der politischen Prioritätensetzung haben. Während milliardenschwere Posten für ideologisch motivierte Klimavorhaben bereitgestellt werden, bleibt die eigene Bevölkerung auf der Strecke.
Allein im Bundeshaushalt 2024 wurden 47,4 Milliarden Euro für die „grüne‟ Transformation eingeplant. Statt Rentnern unter die Arme zu greifen, werden lieber ambitionierte Weltrettungspläne finanziert. Altersarmut in Deutschland hingegen? Die wird achselzuckend in Kauf genommen.
Ein weiteres Problem, das von der neuen Koalition fahrlässig ignoriert wird, betrifft das Renteneintrittsalter. Im aktuellen Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD ist keine Abkehr vom bisherigen Kurs vorgesehen – das gesetzliche Rentenalter von 67 Jahren wird wohl unverändert bestehen bleiben.
Dabei wäre auch hier ein politisches Umsteuern dringend nötig gewesen. Denn wie beim Rentenniveau zählt Deutschland beim Renteneintrittsalter ebenfalls zu den Schlusslichtern im europäischen Vergleich. Während in Frankreich mit 64 Jahren, in Spanien mit 65 und in Griechenland bereits mit 62 Jahren der Ruhestand beginnt, liegt das deutsche Renteneintrittsalter weiterhin an der oberen Grenze. Selbst in China ist der Renteneintritt deutlich früher möglich: Frauen dürfen dort schon mit 55 bis 58 Jahren in Rente gehen, Männer ab 63.
Es wird immer deutlicher, wie viel die ältere Bevölkerung den politischen Entscheidungsträgern tatsächlich wert ist – nämlich wenig. Über Jahrzehnte hinweg haben sie Steuern und Lohnnebenkosten gezahlt, doch von Wertschätzung durch die Obrigkeit ist keine Spur – weder in Form eines fairen Rentenniveaus noch durch ein angemessenes Renteneintrittsalter.
In Deutschland gilt: schuften bis zum Tod für das System. Die Sozialpolitik der Ampelregierung ist krachend gescheitert. Und unter der neuen Bundesregierung deutet alles darauf hin, dass dieser Kurs nahtlos fortgesetzt wird.