
Weil er 9,50 Euro Säumnisgebühr für eine verspätete Steuererklärung ans Finanzamt zahlen soll, schreibt Karlheinz Falkenstein aus Heddesheim nahe Mannheim einen Brief an den baden-württembergischen Finanzminister. Einige Monate später stehen plötzlich bewaffnete Kriminalpolizisten vor der Tür des Rentners.
Es ist ein Freitag, Anfang Juli, als der 72-jährige Karlheinz Falkenstein unerwartet Besuch bekommt. Nachdem er sich über die Freisprechanlage nach dem Anliegen erkundigt, hört er: „Hier ist die Kriminalpolizei, machen Sie bitte auf.“ Da sein Neffe ihn immer wieder mit genau dieser Art von Späßen auf den Arm nimmt, glaubt Falkenstein zunächst an einen Streich. Doch dann öffnet er die Türe, vor ihm stehen tatsächlich zwei fremde Männer. Es sind Kriminalpolizisten, in zivil gekleidet, ernst in der Ansprache.
Karlheinz Falkenstein und seine Frau. Falkenstein hat 30 Jahre bei der Firma Roche gearbeitet.
Sie schildern Falkenstein den Grund für ihren Besuch: Sie wollen herausfinden, ob er ein Staatsfeind sei, ein sogenannter Reichsbürger, berichtet er im Gespräch mit NIUS. Weiter erzählt er: „Ich wollte die Stimmung ein bisschen auflockern und meinte: ,Na sowas, jetzt haben wir die Rosenheim-Cops im Haus.‘“ Aber die beiden seien bitterernst geblieben. „Den Spaß fanden die gar nicht lustig, sie haben jeglichen Humor vermissen lassen“, so der Rentner.
Die Vorgeschichte: Falkenstein hatte dem baden-württembergischen Finanzminister Danyal Bayaz im Mai einen Brief geschrieben, in dem er sich darüber beschwerte, dass er ans Finanzamt Weinheim eine Säumnisgebühr von 9,50 Euro zahlen musste, weil er seine Steuererklärung sechs Tage zu spät abgegeben hatte. „Diese Vorgehensweise zeugt von keinerlei Fingerspitzengefühl des Gesetzgebers“, schrieb Falkenstein und beklagte, dass der „kleine Mann“ in Deutschland geschröpft werde, während Betrugsdelikte in Milliardenhöhe, wie sie beispielsweise im Zusammenhang mit der Cum-Ex-Affäre begangen wurden, nicht geahndet würden. „Während man also ‚die Großen‘ jahrelang unbehelligt gelassen hat, sucht man sich jetzt wieder einmal ‚die Kleinen‘ aus, aus denen man auch noch den letzten Euro herauspresst. Ist ja auch wesentlich einfacher. Steuergerechtigkeit sieht allerdings anders aus“, so der Rentner in seinem Brief an Finanzminister Bayaz.
Diesen Brief schickte der Rentner an den baden-württembergischen Finanzminister.
In dem Brief ist zu lesen, dass Falkenstein den Minister höflich mit „Sehr geehrter Herr Dr. Bayaz“ adressiert und mit „mit freundlichen Grüßen“ endet. Karlheinz Falkenstein ist Betriebswirt, zweifacher Vater und Großvater. Er habe bereits an den Kanzler geschrieben, berichtet er, und auch immer eine freundliche oder zumindest höfliche Antwort erhalten.
Der 72-Jährige kennt inzwischen den Grund, aus dem man ihn genauer ins Visier genommen hat. Alles geht auf einen Vorfall im Jahr 2022 zurück, als im Main-Tauber-Kreis einem „Reichsbürger“ eine Pistole abgenommen werden sollte. Der Mann schoss jedoch und verletzte einen Polizisten schwer. Daraufhin erließ Bayaz den sogenannten Reichsbürger-Erlass.
Dass Falkensteins Brief Alarm auslöste, lag laut den Beamten nicht am Brief selbst, sondern an beigefügten Bildern. Diese zeigen „Strauchdiebe und Wegelagerer“ sowie „Raubritter“ und sollen laut Falkenstein symbolisieren, dass er sich vom Staat ausgeraubt und geschröpft fühlt. Zeichnungen und Fotos, analoge Pendants zu Memes, mit denen der Rentner eine in seinen Augen unfaire Steuer-Praxis kritisiert.
In einer Antwort auf eine NIUS-Anfrage zeigt sich das Finanzministerium einsichtig und will für die Zukunft aus dem Vorfall lernen: „Im konkreten Fall war es rückblickend überzogen, dieses Schreiben an die Polizei weiterzugeben, auch wenn ihm ein fragwürdiges Bild beilag. Aus diesem Grund haben wir mit dem Betroffenen Kontakt aufgenommen und werden die Handreichung an der entsprechenden Stelle nachschärfen.“
Die Duellszene auf den mitgesandten Bildern sei ausschlaggebend für weitere Überprüfungen gewesen. „Die Kolleginnen und Kollegen aus der Steuerverwaltung haben immer wieder mit Menschen zu tun, die unseren Staat zum Teil sehr aggressiv ablehnen. Das hat zu einer vorsichtigen Haltung geführt.“
Nachdem mehrere Regional-Medien über den Vorfall berichteten, erhielt auch Falkenstein eine Mail vom Sprecher des Finanzministeriums, in der sich dieser entschuldigte. „Es tut uns leid, wie es gelaufen ist.“
Der Rentner antwortete auf die Entschuldigung, schrieb am Ende: „Abschließend noch ein persönlicher Hinweis: Zu dem Verdacht auf ‚Staatsfeind‘ oder ‚Reichsbürger‘ noch folgende Information: Mein Onkel war von 1971 bis 1988 Polizeipräsident in Mannheim. In unserer Familie war Polizeiarbeit immer hochgeachtet und respektiert. Insofern trifft mich dieser unsinnige Vorwurf besonders.“
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