
Der offizielle Kanzlerurlaub endet spätestens mit der Kabinettsitzung am kommenden Mittwoch. Doch klar ist schon jetzt: Wenn kein anderer Friedrich Merz (CDU) aus der mehrfach unterbrochenen Sommerpause zurückkehrt als Anfang des Monats hineinging, steht die Koalition im Herbst vor einem Scherbenhaufen.
Die drei Großbaustellen des Kanzlers:
Der „Außenkanzler“ Merz muss endlich in der deutschen Innenpolitik ankommen. Selbst Parteifreunde verlieren gut einhundert Tage nach Amtsantritt bereits die Geduld mit dem Regierungschef. „Wir erleben auch bei Friedrich Merz Leadership. Außerhalb von Deutschlands“, sagt Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und langjähriger CDU-Abgeordneter, in seiner typisch trockenen Härte im Gespräch mit Politico. „Diese Form von Leadership brauchen wir jetzt auch in der Innenpolitik – gern über den Koalitionsvertrag hinaus.“
Fakt ist: Die respektable Statur in der Außenpolitik mag Merz’ Ego schmeicheln, ihm und seiner Partei bringt es in den Umfragen nichts. Im Gegenteil. Die Deutschen sind skeptisch bis ablehnend (siehe NIUS-Umfrage) bei jedem Engagement in der Ukraine. Und: Innenpolitisch brennt die deutsche Hütte.
Bundeskanzler Merz, hier mit mit Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, zeigt hohe Präsenz in der Außenpolitik. Bei Umfragen im eigenen Land bringt ihm das aber nichts.
„Der Sozialstaat ist quasi insolvent“, sagt Kampeter. „Die Regierung betreibt eine politische Insolvenzverschleppung.“ Als ehemaliger Staatssekretär im Bundesfinanzministerium weiß er, wovon er spricht. „Wir haben es mittlerweile mit der dritten Regierung zu tun, die das Problem ignoriert. Die Regierungen Merkel-Scholz und Scholz-Habeck haben für die Stabilisierung des Sozialstaats keine wesentlichen Beiträge geleistet. Genauso droht es jetzt weiterzugehen. Es fehlt die Bereitschaft, der Realität ins Auge zu blicken.“
Fakt ist: Ohne Machtwort des Kanzlers und mit einem „weiter so“ der Koalition wird die deutsche Wirtschaft nicht nur nicht aus der Krise herauskommen, sondern noch tiefer abgleiten. Die beschlossenen Sonderabschreibungen haben weder die „Stimmung“ verbessert, noch die Konjunktur befeuert. Das teure Einfrieren des Rentenniveaus weist in die falsche Richtung, die Vereinfachung der Vergabe öffentlicher Aufträge wird konterkariert durch das ebenfalls beschlossene „Tariftreuegesetz“, mit dem auch noch neue Kontrollbürokratie geschaffen wird. Und als ob das nicht schon dramatisch genug wäre, werden die Reformkommissionen, in die strittige Themen verlegt wurden, auch noch ziemlich durchsichtig mit „Experten“ besetzt, von denen gerade keine wirklichen Reformen zu erwarten sind.
Kampeter bringt es auf den Punkt: „Veränderung bedeutet Konflikte. Und man darf ihnen nicht aus dem Weg gehen.“ Friedrich Kante statt Friedrich Friedlich.
Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und langjähriger CDU-Abgeordneter geht hart mit dem Bundeskanzler ins Gericht.
Genau hier beginnt der schwierigste und härteste Teil der Neuerfindung des Friedrich Merz: Milliardenteure Konfliktvermeidung und Verzicht der Union auf wichtige Gestaltungsressorts innerhalb der Bundesregierung sind der Bindungskitt der Koalition. Wirtschaftsfeindliche Sozialstaatskonservierung à la SPD wird das Land nach Ansicht vieler Unionsstrategen und früherer Merz-Unterstützer aber in den Ruin treiben. Dabei ist der Reformstauberg nur eine Seite der matten Medaille.
Auch die gesellschaftlichen Risse in der politischen Landschaft könnten nicht nur die Union als letzte einigermaßen große Volkspartei weiter nach unten ziehen, sondern das gesamte Parteiengefüge der Nachkriegszeit mit unabsehbaren Folgen zerstören. Ein Alarmsignal ist den Augen vieler Konservativer die offene Drohung der SPD mit einem Koalitionsbruch, wenn die Union nicht die Juristin Ann-Kathrin Kaufhold und die noch zu findende neue Richterkandidatin auf SPD-Ticket ohne zu zucken mit ins Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe wählt.
Die SPD droht inzwischen mit Koalitionsbruch.
Was wie ein normaler Koalitionsstreit aussieht, lässt in Wahrheit viel tiefer blicken, denn die SPD hat nach derzeitigen Umfragen keinerlei Machtperspektive ohne die Union. Nicht einmal ein Linksbündnis mit Grünen und Linkspartei käme in die Nähe einer Regierungsmehrheit. Mit anderen Worten: Ideologischer und machtpolitischer Starrsinn gehen in der SPD-Spitze über jegliche Rationalität im Dienst des Landes und der eigenen politischen Zukunft hinaus. Ein Alarmsignal!
Für Merz als Kanzler und vor allem auch als CDU-Chef bedeutet das, er muss über das Ende der Koalition hinausdenken und die neuen politischen Realitäten MIT der AfD zur Kenntnis nehmen, wenn er nicht dauerhaft in der „Klingbeil-Falle“ sitzen will und auf Gedeih und Verderb an die SPD gekettet sein will. Schon binnen weniger Monate könnte die Union vor der Frage stehen, ob sie neben einer durch Neuwahlen gestärkten AfD als Nummer Zwei im Parlament sitzen oder die konservative Grundstimmung im Land für sich nutzen will.
Für Merz als Bundeskanzler bedeutet das, über das Koalitionsende hinaus zu denken und die politische Realität mit der AfD anzuerkennen.
Die Gefahren für die Demokratie werden „nicht allein durch die AfD verursacht“, sagt der renommierte Historiker Götz Aly im Spiegel-Gespräch über sein neues Buch „Wie konnte das geschehen“. Die Stimmung im Land sei nicht gut, die Menschen benutzten Wahlen, um „denen da oben“ Denkzettel zu verpassen. Er würde „jedenfalls mit den AfD-Wählern und auch -Mitgliedern so lange reden, wie es einigermaßen sinnvoll ist, und die Partei bis auf Weiteres nicht verbieten“.
In der Union zweifeln inzwischen gerade die vormaligen Unterstützer von Merz, ob dieser tatsächlich die ganze Tiefe der deutschen Krise in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft erfasse. „Zu vielen Milieus hat Friedrich einfach keinen Zugang. Er ist nicht im Netz unterwegs und führt keine Debatten über die Meinungsfreiheit“, bringt es ein ehemaliger Mitarbeiter des Adenauer-Hauses auf den Punkt.
Noch fünf Tage Urlaub. Fünf Tage für den Abschied vom alten Merz und Vorbereitung auf den heißen Herbst.
Lesen Sie auch:Finanzen, Soziales, Wirtschaft: Bei diesen Themen zweifeln selbst Merz-Anhänger am Kanzler