
Robert Habeck will Bundeskanzler für die Grüne Partei werden.
Und obwohl dieser Plan mit 10 bis 12 Prozent in Umfragen und mit dem Schaden, den er als Wirtschaftsminister der Ampel und als Vater des „Heizungsgesetzes“ davongetragen hat, utopisch ist, hat Habeck mit einer bemerkenswerten Rede zum Angriff geblasen.
Eine Rede, die das Potenzial dazu hat, Habeck zum Anführer eines neuen linken Aufschwungs zu machen, der noch ein Konkurrent für Friedrich Merz, (CDU), Olaf Scholz (SPD) und Alice Weidel (AfD) werden könnte – aber auch eine Rede, die zeigt, welche Realitäten und Widersprüche dem „Kanzlerkandidaten“ Habeck im Wege stehen.
Franziska Brantner ist Habeck-Vertraute und neue Co-Chefin der Grünen. Sie soll als Habeck-Sprachrohr an die Parteispitze fungieren.
„Make Green great again“, hatte die neue Grünen-Co-Chefin Franziska Brantner den berühmten Trump-Satz grün lackiert. Robert Habeck nahm den Ball seiner Vertrauten in einer knapp einstündigen Rede beim Parteitag der Grünen in Wiesbaden auf und erklärte, wie er das zu tun gedenkt. „Great“ denken, um „great“ zu werden, könnte das Motto gelautet haben. Denn Habeck hat trotz der Ausweglosigkeit des Versuchs ein Ziel: die Kanzlerschaft.
Habeck gab sich, wie gewohnt, als uneitler, zweifelnder, unperfekter Anführer. Darüber konnte auch das Sakko nicht hinwegtäuschen, dass er an den ersten beiden Tagen des Grünen-Parteitages noch nicht anziehen wollte. Habeck sagte, er könnte mit all den Lobhudeleien und Komplimenten um seine Person gar nicht umgehen. Er habe gar über einen Rückzug nachgedacht, aber in Gesprächen mit Partei-Genossen herausgefunden, dass er gerade jetzt nicht kneifen wolle. Auch sprach er gezielt Frauen an, wohl als Abgrenzungsversuch zum CDU-Chef Friedrich Merz, der in Umfragen bei Frauen meist nicht so gut abschneidet.
Man könnte sagen: Habeck trägt die eigene Imperfektion in Perfektion vor.
Ins Zentrum seiner Bewerbung um die „Kanzlerkandidatur“ stellte er den Begriff „Freiheit“.
Bemerkenswert für einen Mann, der pro Woche zwischen drei und vier Anzeigen wegen vermeintlicher Beleidigungen wie dem Wort „Schwachkopf“ aufgeben lässt, was wie zuletzt bei einem Mann in Franken eine Hausdurchsuchung der Polizei nach sich zog, die öffentlich heftig in der Kritik steht. Bemerkenswert für den Mann an der Spitze einer Partei, die als Verbotspartei und für ihre moralische Überheblichkeit bekannt ist.
Freiheit, also die „Selbstbestimmung der Menschen“, soll Leitgedanke sein. Und dieser Leitgedanke, die Freiheit, sei in Gefahr: „Sie ist angegriffen durch drei politische Stoßrichtungen: von außen, von innen und durch die globale Erwärmung“.
Habeck hielt eine bemerkenswerte Rede beim Grünen-Parteitag.
Von außen etwa durch den Krieg Putins, der nicht nur die Freiheit der Menschen in der Ukraine angreife, sondern auch die wirtschaftliche Krise in Deutschland ausgelöst habe, so Habeck ohne jede Selbstkritik: „Ja, ich bin Wirtschaftsminister und die letzten drei Jahre waren für die Wirtschaft in Deutschland schwierige Jahre.“ Die Ursache dieser konkreten Krise, die für Unternehmen Insolvenzen bedeutet haben und für Menschen Einkommens- und Existenznöte, sei die Abhängigkeit von russischem Gas gewesen. „Es liegt an der Großen Koalition.“
Transformation der Wirtschaft und mit ihr verbunden die Energiewende, sei nicht das Problem, sondern die Antwort, so Habeck.
Habeck weist die Schuld am Zustand der deutschen Wirtschaft, den er seit drei Jahren zu verantworten hat, komplett von sich. So als gäbe es die hohen Energiepreise (auch und vor allem) infolge der großen Probleme bei der sogenannten Energiewende und der Abschaltung der letzten Atomkraftwerke nicht. So also würden die überbordende Bürokratisierung und Unsicherheit im Land ob der politischen Streitereien nicht existieren.
Klug formulierte Habeck seine Kritik an der Schuldenbremse, die er zweifellos reformieren, wenn nicht abschaffen will, um mehr staatliche Lenkung durch Subventionen zu ermöglichen: „Die Große Koalition hat mehrfach sich dafür gerühmt, ausgeglichene Haushalte vorzulegen. Nun: Das heißt nicht, dass keine Schulden gemacht wurden. Sie stehen nur nicht im Haushalt. Sie sind zu besichtigen in maroder Infrastruktur, in mangelnden Einsatzfähigkeit der Bundeswehr und in fehlender Innovation.“
Eine Diagnose mit Blick auf die Merkel-Ära, die kaum von der Hand zu weisen ist. Deshalb Habecks Forderung: „Wir müssen reformieren und wir müssen nicht zuletzt die fiskalpolitischen Spielregeln, die Schuldenbremse reformieren, anders machen, neu aufstellen.“ Diese Politik fortzusetzen würde Sicherheit Europas, der wirtschaftlichen Kraft Deutschlands und am Ende dem Zusammenhalt der Menschen schaden, führte er pathetisch aus.
Was Habeck nicht sagt: Deutschland kann auch mit Schuldenbremse große Berge neuer Schulden aufnehmen und macht davon auch reichlich Gebrauch. Allein 2024 und 2025 werde es 100 Milliarden Euro neuer Schulden trotz und im Rahmen der Schuldenbremse sein, die zu den beinahe 1000 Milliarden Euro Steuergeld hinzukommen, die Bund, Ländern und Kommunen von den Bürgern zur Verfügung gestellt werden. Zudem zahlt Deutschland schon jetzt wegen der bestehenden Schulden mehr als 30 Milliarden Euro an Zinsen.
An dieses Thema, an schuldenfinanzierte Investitionen in Infrastruktur, Bildung, Bundeswehr und nicht zuletzt den Klimaschutz, knüpft Habeck regelrecht den Frieden in der Gesellschaft: „Wirtschaftspolitik, wie wir sie in Deutschland aufgesetzt haben, hat eine besondere Bedeutung: nämlich, ein Land zusammenzuhalten.“
Es sind blumige Worte, die nur eines zum Ausdruck bringen: Ohne noch viel mehr neue Schulden, die all die grünen Projekte finanzieren und die Fehler der Vergangenheit wettmachen, wird das Land im Streit versinken.
Habeck wurde mit 96,5 Prozent der Delegierten-Stimmen als Spitzenkandidat nominiert.
Und schuld am Streit? Nicht die gescheiterte Energiewende, die Ausgrenzung der Corona-Krise, die schlechte Lage der Wirtschaft und die dazugehörige Verantwortung des zuständigen Wirtschaftsministers. Für Habeck ist es der Populismus, der überall sei. Der Populismus, der gesellschaftlich relevante Themen so aufzubauschen, dass sich alle nur noch anschreien würden und es gar nicht mehr um die eigentliche Sache ging.
Die Rolle der Grünen, die ihre Form von Klimaschutz, ein grenzenloses Asyl-Recht oder die Erzählung von schwangeren Männern bis aufs Blut kommunikativ verteidigen und mit öffentlichen Vernichtungsstrategien Widerrede ins Reich der Verschwörungstheorien oder auf die Payroll Putins zu schimpfen versuchen, sprach Habeck mit Blick auf die Polarisierung der Gesellschaft nicht an.
Robert Habeck hat einer Partei, die in einer tiefen Krise steckte, neues Leben, ein neues Gemeinschaftsgefühl eingehaucht, das möglicherweise in die Partei und auch in das grüne Milieu hineinwirken könnte, jedoch mit dem Bild, das die allermeisten Menschen im Land von der Grünen Partei haben, nur wenig zu tun hat.
Vielmehr grenzt die Art und Weise, wie Habeck die eigene Politik der Grünen als Mitglied der Ampel-Regierung voll und ganz ausklammern, an Realitätsverweigerung. Das lässt sich an Habecks Ziel-Versprechen ablesen: „Wir werden die Wirtschaft erneuern, indem wir die Zukunftstechnologien hier in Europa und hier in diesem Land halten werden. Wir werden dafür sorgen, dass – nachdem wir die Energie sauber gemacht haben – sie in Zukunft günstig ist. Das ist ein sozialpolitisches Versprechen. Wir nehmen die Netzentgelte, die Steuern, die Abgaben und die Gebühren raus aus diesem System.“
All diese Dinge waren entweder bereits im Wahlkampf 2021 plakatiert und trotz drei Jahren Ampel-Beteiligung nicht umgesetzt worden oder sind mit Blick auf die hohen Energiepreise direkte Folge grüner Projekte wie der Energiewende. Eine solche Rede ins eigene Milieu hinein hat bisher nur Habeck abgeliefert – das müssen die anderen Kandidaten Merz, Scholz und Weidel erstmal nachmachen. Habeck bleiben nun noch 99 Tage, mehr als die 10 bis 12 Prozent Grünen-Stammwählerschaft auch von sich und seinem Weg überzeugen. Abschreiben darf ihn noch niemand.
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