
Beobachter blicken aktuell mit Sorge und Entsetzen auf Rumänien. Dort wurde wegen eines Verdachts von Wahlbeeinflussung in den sozialen Medien jetzt eine Wahl annulliert. Ein freigegebener Geheimdienstbericht sorgte dafür, dass das Verfassungsgericht einen Sinneswandel erlangte. Was steht wirklich in dem Papier, das eine Wahl ungültig machte?
Es war am Nikolaus-Tag, der 6. Dezember, als die Verfassungsrichter in Rumänien plötzlich erklärten, das Wahlergebnis der ersten Runde bei den Präsidentschaftswahlen könnte nicht mehr als Ausdruck des tatsächlichen Wählerwillens gelten. Zuvor nocht hatte dasselbe Gericht das Ergebnis bestätigt, ließ die Stimmen neu auszählen – die Wahl sei rechtmäßig abgelaufen. Formelle Fehler: gab es nicht.
Stattdessen wurde behauptet, dass eine Beeinflussung der Wahl auf Onlineplattformen stattgefunden habe – und staatliche Akteure, also Russland, eine Rolle spielen würde. Denn der als pro-russisch geltende rechtskonservative Politiker Călin Georgescu gewann überraschend einen Erdrutschsieg in der ersten Wahlrunde. Womöglich erreichte er wegen seiner Beliebtheit auf TikTok viele junge Rumänen.
Er gewann unvorhergesehen in der ersten Wahlrunde: Călin Georgescu (parteilos). Doch das Ergebnis ist nicht mehr gültig.
Zunächst preschte die rumänische Netzbehörde – die den „Digital Services Act“ (DSA) der EU umsetzt – mit Vorwürfen vor. Deren Vizechef erklärte: „Tausende Konten haben mit externer Finanzierung für Călin Georgescu auf TikTok gearbeitet (…) Leider haben sie zu diesem Ergebnis geführt, das wir heute sehen.“ Die EU-Kommission wurde alarmiert. Und dann kam dazu ein Geheimdienstbericht ins Spiel, den Rumäniens Präsident Klaus Johannis freigab.
Dieses Papier änderte am übernächsten Morgen die Ansicht der obersten Richter im Land.
Machte ein Verschluss-Dokument öffentlich, das nun die Gesellschaft Rumäniens spaltet: Präsident Klaus Johannis.
Doch darin: bloße Vorwürfe, keine handfesten Belege.
Dass auf Grundlage solcher Behauptungen – ohne weitere rechtsstaatliche Untersuchungen und Verfahren – eine Wahl einfach für ungültig erklärt wird, könnte als Wahlskandal im digitalen Zeitalter eingehen. Auch vor dem Hintergrund, dass es eben nicht um Wahlfälschungen geht, sondern auf der fragwürdigen Annahmen beruht, die Staatsbürger hätten durch in den sozialen Medien konsumierte Beiträge keinen eigenen freien Wählerwillen. Kritiker fürchten gar, dass die Wahl abgesagt wurde, weil ein falsches Ergebnis drohte.
NIUS erklärt, was im Geheimpapier steht, das ein Wahlergebnis in einem EU-Staat von heut auf morgen annullierte.
Der Hinweis „Streng vertraulich“ ist auf dem Papier durchgestrichen. Auf allen sechs Seiten wurde der rote Stempel „DEKLASSIFIZIERT“ draufgedrückt. Doch ob dieser Bericht Schaden für das rumänische System anrichtet, stellt sich umso drängender, je mehr man in dem Dokument blättert.
Gleich auf der ersten Seite heißt es: „Im Rahmen der ersten Präsidentschaftswahlen wurden Daten erhoben, die eine aggressive Werbekampagne aufdecken.“
Eine Werbekampagne? Allein dieses Wort lässt aufhorchen. Denn die Grenze zwischen erlaubter Wahlkampagne im Rahmen der Meinungsfreiheit und einer Wahlbeeinflussung ist sehr schmal – es kann rechtlich eine Interpretationssache.
7. Dezember: Demonstranten in Budapest halten Transparente mit den Aufschriften „Stoppt die Diktatur – Öffnet Wahllokale für Rumänen“ und „Iohannis, genug – Rumänien gehört den Rumänen, nicht den Diktatoren“.
Diese Kampagne sei durchgeführt worden unter „Umgehung der nationalen Gesetzgebung“ und unter „Ausnutzung der Algorithmen einiger Social-Media-Plattformen“ für die Wahlen, die zum beschleunigten Wachstum der Popularität von dem 62-jährigen Agraringenieurs Georgescu geführt habe.
Absurd: Dann vergleichen die Sicherheitsleute ein – vom Volk demokratisch getroffenes – Wahlergebnis, wo nachweislich keine Wahlfälschungen stattfanden, mit vergangenen durchgeführten Meinungsumfragen. Der Bericht will damit offensichtlich suggerieren: Umso mehr mutmaßlich gesteuerte TikTok-Konten für Georgescu geworben haben, desto höher würden die Wahlstimmen ausfallen.
Mittels einer Grafik mit einer exponentiell steigenden Kurve behaupten die Geheimdienstler, dass sein Beliebtheitsanstieg in den Meinungsumfragen durch eine „koordinierte Kampagne zur Steigerung der Popularität“ bestimmt wurde. Diese Kampagne wäre „insbesondere auf der Plattform TikTok“ gewesen, die „ihm den Sieg in der ersten Runde mit 22,94 Prozent sichern konnte“.
Als Argument, warum sein Sieg auffällig wäre, führt die Sicherheitsbehörde im Bericht den Vergleich zu vorherigen Meinungsumfragen auf. Vor wenigen Wochen sei der Bekanntheitsgrad von Gerogescu „sehr niedrig“ gewesen. Ende Oktober wäre Călin Georgescu noch mit etwas weniger als ein Prozent von den befragten Rumänen bewertet worden. Ab dem 15. November hätte er in Umfragen auf Platz 6 (mit 6,2 %) gelegen – ab dem 20. November bei 10,6 Prozent.
Heißt übersetzt: Das Ergebnis könne also nicht stimmen, weil befragte Rumänen in Umfragen einige Wochen vorher anders entschieden haben.
Der Vorwurf im Bericht: Die Kampagne auf TikTok sei über mehrere koordinierte Konten gelaufen, „die aktiv Wahlinhalte veröffentlichten, sowohl mithilfe von Empfehlungsalgorithmen als auch durch bezahlte Werbung.“
Konkret hätte es sich dabei zwei Wochen vor der Wahl um 25.000 Konten gehandelt. Die Folge: „Die Anzahl der Follower stieg deutlich an.“ Darunter: 797 Konten wurden 2016 erstellt, die bis zum 11. November „nur geringe Aktivitäten“ hatten. Typisch für Bot-Netzwerke wäre, dass den TikTok-Accounts „eindeutige IP-Adressen“ zugewiesen wurden.
Das ist der TikTok-Account von dem Politiker Călin Georgescu.
Als Beleg führen die Geheimdienstler einen Telegram-Account („@propagatorcg“) an, der andere Nutzer koordinierte, ihnen „klare Anweisungen“ (z.B. zu Emojis, Hashtags, Videos, Fotos) gab. Gezielt hätte man dabei den Algorithmus der Plattform ausgenutzt.
Auch hätten TikTok-Vertreter mitgeteilt, sie hätten ein „potenzielles Netzwerk“ gefunden, das „an Aktionen zur Manipulation der öffentlichen Meinung im Zusammenhang mit Wahlen beteiligt sei.“ Als auch ein Konten-Netzwerk, das „mit dem russischen Nachrichtenportal Sputnik verbunden“ sei und sich an Nutzer in Rumänien und der Republik Moldau richteten.
Doch WAS für ein Konten-Netzwerk dies sei und WIE genau dieses mit einer russischen Nachrichtenagentur verbunden ist: wird an dieser Stelle nicht genannt.
Angeblich sollen dutzende von Russland aus koordinierte Social-Accounts die Kandidatur Călin Georgescus bei den Präsidentschaftswahlen im Netz unterstützt haben.
In einem Interview lobte kürzlich der Präsidentschaftskandidat Georgescu den designierten US-Präsident Donald Trump und Ungarns Präsident Viktor Orbán, während er zugleich den russischen Präsidenten Wladimir Putin als Patrioten bezeichnete. Zu letzterem betonte er: „Aber ich bin kein Fan“ – und bestritt vehement „ein Mann Moskaus“ zu sein.
Dann führt der Bericht plötzlich keine Fake-Nutzer, sondern echte Personen als Belege auf! „Bei der Werbetätigkeit von Călin Georgescu wurde ein umfangreiches Netzwerk von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens mit hoher Bekanntheit auf der TikTok-Plattform (Influencer) genutzt.“
Vorwurf hier: Über diese Personen hätte er seine Kampagne „direkt“ durch öffentliche Unterstützung und „indirekt“ durch scheinbar neutrale Posts beworben, die jedoch „Tags“ enthielten, die mit Georgescu in Verbindung standen.
Auffällig ungeschwärzt: Diese Influencer-Accounts werden im Sicherheitsbericht als Argumentationskette aufgeführt.
Angeblich hätten „einige von ihnen“ „absichtlich nicht die Werbung als bezahlt markiert“, heißt es weiter.
Dann wird darunter eine Liste an Account-Namen von Influencern – ungeschwärzt – angezeigt, die sich FÜR Călin Georgescu auf der Social-Plattform TikTok ausgesprochen haben.
Brisant: Dies hinterlässt die Wirkung, als wolle man diese Personen durch eine namentliche Veröffentlichung nahezu diskreditieren. Denn sie werden in einem Zusammenhang von möglicher gezielter oder gezahlter Kampagnen-Werbung für einen Präsidentschaftskandidaten gebracht. Sie alle sind jetzt für immer Teil eines Wahl-Skandals.
NIUS konfrontierte mehrere dieser Influencer mit den Vorwürfen. „Nein, ich habe es nicht nötig, Geld zu verdienen – ich bin einer der reichsten Menschen in Rumänien. ICH habe für Călin Georgescu geworben, weil MIR sein Denken gefällt!“, sagt einer der betroffenen Influencer im Gespräch.
Die Influencerin Cerasela Maria spielte in Rumänien bei der TV-Serie „Love Island“ mit. Jetzt steht sie in einem Geheimpapier, das zu einer Wahlannullierung führte.
Auf TikTok schreibt die betroffene Influencerin Cerasela Maria: „Zum Glück wurde ich nicht auf TikTok gesperrt. Ich habe ihn aus Überzeugung unterstützt – und werde ihn weiterhin unterstützen, egal wie viele Angriffe ich erhalte. Ich warte auf die Beweise, die man gegen mich vorbringen will.“
Auf Seite vier wird argumentiert, es wurden für die Unterstützung von Georgescu Konten erstellt, die sich als staatliche Institutionen ausgegeben haben. Beispiel: Nachrichtendienst (SRI) und Anti-Terror-Einheit (BAT). Dutzende TikTok-Konten seien aufgefallen, „die fälschlicherweise das SRI-Logo bzw. den Titel Anti-Terror-Einheit (BAT) verwendeten. Sie hatten „tausende von Followern“ und „100.000 Likes“.
Doch auch hier fehlen die Belege, ob der Kandidat Georgescu überhaupt damit etwas aktiv zu tun hat.
Seite 4 des Sicherheitsberichts
Das „Zentrale Wahlbüro“ (BEC) hat auch Löschanweisungen an TikTok gegeben. Konkret „ordnete“ die rumänische Wahlbehörde am 20. November die Entfernung von Wahlwerbung an. Alle Online-Wahlkampfwerbungen, die Georgescu zeigen und keinen Identifikationscode des Finanzbevollmächtigten enthalten, sollten demnach entfernt werden. Das Zentrale Wahlbüro hat daher TikTok am 21. November aufgefordert, die Inhalte zu entfernen.
TikTok habe zwar eine Bestätigung über die Entferung der „Ständigen Wahlbehörde“ (AEP) geschickt. Allerdings wären die Inhalte weiter in Rumänien öffentlich sichtbar gewesen. Das würde gegen die rumänische Gesetzgebung verstoßen.
Es hätte sich dabei um Konten gehandelt, die „mit dem Netzwerk zur Unterstützung von Călin Georgescu verbunden wären.“ Diese Beiträge mit Wahlinhalt – ergo politischer Inhalt – seien von TikTok fälschlich als Unterhaltung für die Nutzer kategorisiert worden. Damit seien sie automatisch für einen breiten Nutzerkreis zugänglich gewesen.
Der parteilose Politiker Georgescu selbst erklärte gegenüber der rumänischen Wahlbehörde (AEP), dass er „NULL Lei“ für den Wahlkampf ausgegeben habe.
In dem Bericht wird behauptet, Daten würden vorliegen, die zeigen, dass die Beteiligung des TikTok-Kontos „bogpr“ des rumänischen Bürgers Bogdan Peschir an der Finanzierung der Wahlkampagne beteiligt wäre.
Er ist in Rumänien als „König von TikTok“ bekannt: Bogdan Peschir, ein mysteriöser Kryptowährungsgeschäftsmann, der immer wieder großzügigen Geld an TikTok-Nutzer spendet.
TikTok-Vertreter hätten den rumänischen Behörden bestätigt, dass das Konto „bogpr“ an der Unterstützung von Călin Georgescu auf der Plattform beteiligt gewesen wäre.
Konkret: Er soll eine Zahlungen in Höhe von 381.000 US-Dollar an Betreiber von TikTok-Konten gezahlt haben, die wiederum an der Unterstützung von Georgescu beteiligt gewesen wären. Dies wäre ein Verstoß gegen die Richtlinien von TikTok sowie gegen das rumänische Wahlrecht, heißt es im Papier weiter.
Bogdan Peschir gilt als „König von TikTok“ in Rumänien. Peschir selbst bestritt, Georgescus Wahlkampagne finanziert zu haben. „Die Unterstellung, dass ich die Kampagne von Herrn Călin Georgescu finanziert habe, ist falsch“. Er hätte bisher noch nie mit Călin Georgescu gesprochen und auch „kein verstecktes Interesse“, ihn zu unterstützen. „Meine Unterstützung erfolgte durch Beiträge, Kommentare und Re-Posts auf dem Social-Media-Account, völlig freiwillig“.
Bogdan Pechir – bekannt unter dem Pseudonym „BogPR“ – verteidigt sich. (Übersetzt von Red.)
Ein Teil seiner Spenden wäre an die Unterstützter des Kandidaten gegangen, erkärt er, aber der größte Teil sei an Wohltätigkeitsorganisationen, unpolitische TikTok-Konten und sogar an Konten, die andere „Kandidaten unterstützt haben ODER die negativ über CG gepostet haben“ geflossen. Er hätte mit niemandem vereinbart, für die Unterstützung irgendeines Kandidaten zu spenden.
Peschir wurde in den Geheimdienstberichten nicht mit Russland in Verbindung gebracht.
Die Fragen, die sich nach diesem Bericht stellen:
Stand jetzt gibt es für all diese Vorwürfe keine einschlägigen Belege.
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