
Geopolitische Erdrutsche, technologische Revolutionen und ein monetärer Klimawandel verändern das wirtschaftliche Umfeld Deutschlands. Die Wucht dieses Wandels werde in den nächsten Jahren nicht an Kraft verlieren, erklärt Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrats, in seiner aktuellen Kolumne. Er fordert einen Mentalitätswechsel, damit die soziale Marktwirtschaft in Deutschland nicht verloren geht.
„Deutschland ist wie kaum ein anderes Land mit der Weltwirtschaft verknüpft und hängt ganz wesentlich am Export. Die weiteren Verschärfungen von geopolitischen Konflikten und Handelsstreitigkeiten sind für Deutschland damit auch eine direkte ökonomische Bedrohung. Umso wichtiger ist es, im Inland seine Hausaufgaben zu machen und eine konsequente Neubesinnung auf die Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft zu vollziehen“, schreibt der Experte und verlangt noch mehr politischen Weichenstellungen. Aber auch neben den regulatorischen Aufgaben müsse der „gesellschaftliche Konsens mit Blick auf unsere marktwirtschaftliche Grundordnung“ reformiert werden.
Nicht genannt und doch gemeint: Mit der Arbeit von Ex-Wirtschaftsminister Habeck war Steiger nicht zufrieden
Steiger erinnert in seine Kolumne an die vergangenen Jahre, wo das „links-grüne Wirtschafts- und Gesellschafts-Leitbild“ dominierte. „Wachstum war in dieser Lesart verpönt und Leistung zumindest verdächtig. [...] Statt den Bürgern Eigenverantwortung zuzumuten, fand das Ideal eines Rundum-Wohlfahrtsstaates im Bürgergeld seinen Gipfelpunkt – ‚komfortable Stallfütterung‘ hätte Wilhelm Röpke diese Auswüchse genannt. Das alles ist nicht der Grundton der Sozialen Marktwirtschaft. Ludwig Erhard verstand es wie kein zweiter, den Menschen den Glauben an die eigene Leistungsfähigkeit zurückzugeben. Er war es, der die oft leidgeprüften Menschen mitriss durch seine freiheitliche Vision und optimistische Ausstrahlung. Auch heute gilt: Zukunft erschließt sich nicht den Ängstlichen, sondern den Wagemutigen, den Erfindungsreichen, den Fleißigen“, schreibt der 60-Jährige.
Besonders den „negativen Ansatz des grünen Denkens“ erkennt Steiger als Gefahr. Er fordert für Gesellschaft einen „positiven Spin der Möglichkeiten, die sich dem freien Willen und der Leistungsbereitschaft der Menschen eröffnen. Es geht darum, dass die Ergebnisse marktwirtschaftlicher Leistung akzeptiert und nicht als ungerechtfertigte Bereicherung Einzelner diffamiert oder als Ausbeutung verdammt werden. Es geht um ein Grundverständnis, dass sozial gerecht ist, wenn Gerechtigkeitsüberlegungen nicht erst bei der Umverteilung des Sozialproduktes ansetzen, sondern früher bei der Schaffung von Leistungs- und Chancengerechtigkeit.“ Man müsse sich der Realität stellen, dass es in Zeiten des Wandels keine „Vollkasko“ gebe.
In seiner Kolumne warnt Steiger vor vermeintlichen Wundermitteln, welche die wirtschaftlichen Turbulenzen heilen sollen. Natürlich sei jeder für Bürokratieabbau, aber ohne Leistungswillen und eigenverantwortliches Handeln bringe das auch nichts. „Als Geheimwaffe wird häufig die Digitalisierung der Verwaltung ins Feld geführt. Und zweifellos liegen hier auch riesige Potenziale für Effizienzgewinne. Doch die Digitalisierung ist letztlich nur ein Werkzeug, das ohne strikten Mentalitätswandel sogar die gegenteilige Wirkung erzeugen könnte. Der Schweizer Ökonom Bruno Frey etwa warnt, dass die digitale Transformation der staatlichen Institutionen sogar zu einer drastischen Zunahme der Regulierungsflut führen könnte. Dank digitaler Technologien, KI und einer konstant anschwellenden Datenmenge bestehe die Gefahr, dass die staatlichen Regeln ganz neue Lebensbereiche erobern und in bisherige regulatorische Nischen vordringen könnten“, schreibt Steiger.
Wolfgang Steiger ist Generalsekretär des CDU-nahen Wirtschaftsrats und meldet sich regelmäßig mit eigenen Kolumnen zu Wort.
Wie also vorgehen? Der Experte spricht sich für eine „marktwirtschaftliche Ordnungspolitik“ aus. „Sie muss zum Nutzen aller geschehen, aber sie muss offenlassen und respektieren, was jeder einzelne als Nutzen ansieht. Die Bürger haben in der Sozialen Marktwirtschaft Anspruch auf ein Leben in Freiheit und Eigenverantwortung. Aufgabe der Ordnungspolitik ist es mit Hilfe von allgemeinen Regeln, Institutionen und Normen Freiräume für eigenverantwortliches Handeln zu sichern, ein System zu schaffen, das Anreize zur eigenen Leistung setzt und subsidiär soziale Sicherung für diejenigen bietet, die für die Wechselfälle des Lebens nicht aus eigener Kraft vorsorgen können.“