EuGH verlangt Rundumversorgung für Asylsuchende

vor etwa 3 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Haben Sie schon mal etwas von Koen Lenaerts gehört? Vermutlich nicht. Thomas von Danwitz? Auch nicht? Dann sind Sie sicher nicht alleine. Dabei ist Koenraad (Koen) Lenaerts nun seit 2015 Präsident des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Von Danwitz ist seit 2024 sein Stellvertreter und gehört laut LTO zu den „Juristen, die man kennen muss“. Zusammen hatten sie in dieser Zeit schon einige Urteile mit zu verantworten, die einer von den ihnen untergebenen Richter fällte. Und natürlich gilt gerade Lenaerts der Fachpresse als „überzeugter Europäer“ und „vehementer Verfechter der Rechtsstaatlichkeit“ in einem.

Jetzt hat der EuGH, das höchste Gericht der EU mit selbst zugesprochener letztinstanzlicher Bedeutung, ein weiteres Urteil gesprochen. Und es fällt nicht desaströser aus als viele andere zuvor. Schon die Überschrift der offiziellen Pressemitteilung hat es in sich und sei daher in Gänze zitiert:

Asylrecht: Ein Mitgliedstaat kann sich nicht auf einen unvorhersehbaren Zustrom von Antragstellern auf internationalen Schutz berufen, um sich seiner Pflicht zur Deckung der Grundbedürfnisse von Asylbewerbern zu entziehen

Das bedeutet im Umkehrschluss die wirkliche Unendlichkeit aller zur Menschenversorgung benötigten Ressourcen, welche jedes EU-Mitgliedsland ständig, an alle Eventualitäten im Voraus denkend, vorhalten muss. Das ist natürlich nicht möglich.

Die Frage, die sich das Gericht stellte, war damit durchaus philosophischer Natur: Wenn es wirklich einen „unvorhersehbaren Zustrom von Antragstellern“ geben sollte, inwieweit wären Mitgliedsstaaten dann dazu verpflichtet, trotzdem immer den gleichen Standard für alle ungeladenen Gäste zu bieten? Schon wieder kommt man bei einer Unmöglichkeit an. Aber nicht die Richter in Luxemburg.

Ihre Antwort: Die Mitgliedstaaten sind „nach der Richtlinie“ (gemeint: die EU-Aufnahmerichtlinie) dazu „verpflichtet, Antragstellern auf internationalen Schutz im Rahmen der Aufnahme materielle Leistungen zu gewähren, die einem angemessenen Lebensstandard entsprechen, sei es in Form von Unterkunft, Geldleistungen, Gutscheinen oder einer Kombination davon“.

Diese Leistungen müssten des weiteren die „Grundbedürfnisse, einschließlich einer angemessenen Unterbringung, der betroffenen Personen decken und deren physische und psychische Gesundheit schützen“. Ein Staat ist also erst einmal für alles zuständig, wenn ein illegaler Migrant dank EU-Verteilungsmechanismus oder auf welchem Weg auch immer an ihn übergeht. Jede Vernachlässigung dieser Pflichten wertet der EuGH als „Verstoß gegen das Unionsrecht“, und der führe wiederum zur Haftung des betreffenden Mitgliedsstaates. Die Richter fordern nichts weniger als eine gleichwertige Vollversorgung für alle Asylbewerber in allen EU-Ländern.

Geklagt hatten, das nur am Rande, ein afghanischer und indischer Staatsangehöriger. Die irischen Behörden hatten für sich ins Feld geführt, dass „die im irischen Hoheitsgebiet für Antragsteller auf internationalen Schutz üblicherweise verfügbaren Unterbringungskapazitäten vorübergehend erschöpft seien“. Sie hatten den beiden Asylbewerbern ersatzweise je einen Gutschein über 25 Euro ausgehändigt. Das Geld war vielleicht für eine Unterkunft, eher aber wohl für Dinge des täglichen Bedarfs gedacht. Trotzdem behaupteten die Asylbewerber, sie hätten „nicht immer genug zu essen gehabt“, seien „nicht in der Lage gewesen, ihre Hygiene zu wahren“, und hätten sich allgemein einer gewissen „Gewalt … ausgesetzt“ gesehen. Ihr Leben hatte sich also nicht ausreichend zum Besseren verändert, seit sie illegal in die EU eingereist waren. Wie zuvor auch, befanden sie sich auch nun in einer „Notlage“, auch wenn die mit Sicherheit immer neue Gesichter annahm.

Besonders heiter zu lesen: Irland wird jeder Hinderungsgrund abgesprochen, „seine Pflichten“ etwa auch durch eine alternative „Unterkunft außerhalb des üblicherweise vorgesehenen Systems“ zu erfüllen. Es hätte den Asylanten ja auch noch mehr „Geldleistungen oder Gutscheine“ gewähren können, so die Richter. Das Staatsgeld regnet in dieser Welt offenbar wie Manna vom Himmel. Es kann daran niemals fehlen. So sehen es offenbar die EuGH-Richter.

Auf den Fall hatte zuerst ScienceFiles aufmerksam gemacht. Zugleich wies die Online-Publikation auf den Missstand hin, dass eben dieser EuGH mit je einem Richter pro Mitgliedsland besetzt ist, über den die entsendenden Völker freilich nichts wissen und schon gar nicht zu entscheiden haben. Es ist freilich ein schwieriges Grundproblem, wie die demokratische Teilhabe bei einer hochgradig politisierten Justiz noch möglich sein soll. Im Grunde ist das eine Unmöglichkeit – zumal, wenn sich die Justiz immer mehr Fragen aneignet und höchstrichterlich entscheidet, woran sich dann auch die gewählten Parlamente und Regierungen halten sollen.

Die EuGH-Richter, die von den jeweiligen Regierungen benannt werden, sollen formal „unabhängig sein und die in ihrem Land für eine Tätigkeit am höchsten Gericht erforderliche Qualifikation aufweisen oder von ‚anerkannt hervorragender Befähigung‘ sein“, weiß Wiki dazu. Anders als in Deutschland ist für den EuGH aber kein parlamentarischer Körper an der Richterwahl beteiligt. Die Besetzung ist eine rein hoheitliche Aufgabe der Regierungen der Mitgliedsstaaten. Für Deutschland gleicht der nationale Anteil an der Benennung dem Verfahren für Bundesrichter.

Es gibt in diesem EuGH übrigens in der Tat zwölf Präsidenten, entweder vom Gesamtgericht oder einzelnen Kammern, 15 einfache Richter, elf Generalanwälte und einen Kanzler. Das mag einem viel vorkommen, aber die EU-Richter haben ja auch so einiges zu entscheiden, immerhin soll ihr Wort ja mehr Gewicht haben als das jedes nationalen höchsten Gerichts. So zumindest die Theorie – leider oft auch die Praxis.

Anbei noch die Liste aller Richter, Generalanwälte und des Kanzlers, wie sie auf der Seite des EuGH verzeichnet sind.

Zwölf Präsidenten Koenraad (Koen) Lenaerts (Belgien, Präsident des EuGH) Thomas von Danwitz (Deutschland, Vizepräsident des EuGH) François Biltgen (Luxemburg, Präsident der ersten Kammer) Küllike Jürimäe (Estland, Präsident der zweiten Kammer) Constantinos Lycourgos (Zypern, Präsident der dritten Kammer) Irmantas Jarukaitis (Litauen, Präsident der vierten Kammer) Maria Lourdes Arastey Sahún (Spanien, Präsident der fünften Kammer) Andreas Kumin (Österreich, Präsident der sechsten Kammer) Miroslav Gavalec (Slowakei, Präsident der siebten Kammer) Siniša Rodin (Kroatien, Präsident der achten Kammer) Niilo Jääskinen (Finnland, Präsident der neunten Kammer) Dimitrios Gratsias (Griechenland, Präsident der zehnten Kammer)

15 einfache Richter Alexander Arabadjiev (Bulgarien) Eugene Regan (Irland) Nuno José Cardoso da Silva Piçarra (Portugal) Ineta Ziemele (Lettland) Jan Passer (Tschechien) Zoltán Csehi (Ungarn) Octavia Spineanu-Matei (Rumänien) Bernardus (Ben) Maria Polycarpus Smulders (Niederlande) Massimo Condinanzi (Italien) Fredrik Schalin (Schweden) Stéphane Gervasoni (Frankreich) Niels Fenger (Dänemark) Ramona Frendo (Malta) Marko Bošnjak (Slowenien)

Ein Kanzler Alfredo Calot Escobar (Spanien)

Elf Generalanwälte Maciej Szpunar (Polen, Erster Generalanwalt) Juliane Kokott (Deutschland) Manuel Campos Sánchez-Bordona (Spanien) Jean Richard de la Tour (Frankreich) Athanasios Rantos (Griechenland) Nicholas Emiliou (Zypern) Tamara Ćapeta (Kroatien) Laila Medina (Lettland) Dean Spielmann (Luxemburg) Andrea Biondi (Italien) Rimvydas Norkus (Litauen)

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