Russlands Atomprojekt der Zukunft: Der Reaktor, der sich selbst versorgt

vor etwa 4 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Eine Art energetisches Perpetuum mobile biegt in Russland auf die Zielgerade ein. Entscheidende Bauteile für das Kernkraftwerk Brest OD-300 mit einem Gewicht von mehr als 1000 Tonnen haben die Reise von den Herstellern in St. Petersburg und Wolgodonsk nahe der Grenze zur Ukraine zum sibirischen Chemiekomplex in Seversk in der russischen Region Tomsk 2900 Kilometer östlich von Moskau angetreten. Dort entsteht eine Weltneuheit: Eine Anlage, die nahezu autark betrieben werden soll, indem sie Strom und Wärme für die Fabrik und nebenbei noch Plutonium als Brennstoff erzeugt. Ab und zu muss lediglich ein wenig billiges, weil nicht spaltbares Uran 238 (spaltbar ist Uran 235) hinzugefügt werden, ein Umstand, der das Bild vom Perpetuum mobile ein wenig verzerrt. Die Anlage soll im kommenden Jahr in Betrieb genommen werden. Eine Verzögerung ist allerdings nicht ausgeschlossen.

Es wird der dritte Reaktor vom Typ „Schneller Brüter“ in Russland – und weltweit – sein. Er hat eine relativ bescheidene elektrische Leistung von 300 Megawatt, glänzt aber mit einer besonderen Eigenschaft: Die Wärmeenergie, die im Kern des Reaktors auf Grund von Spaltung des Brennstoffs Plutonium entsteht, wird von flüssigem Blei abtransportiert, das eine Temperatur von 505 Grad Celsius hat. In einem Wärmetauscher wird diese Energie in Dampf umgewandelt. Dieser treibt einen Turbogenerator zur Stromerzeugung an. Ein Teil fließt als Prozessdampf in die chemische Produktion.

Während in gängigen Reaktoren die durch die Kernspaltung entstehenden Neutronen abgebremst werden müssen, damit sie an den Atomkernen nicht vorbeifliegen, sondern diese treffen und spalten – dabei entsteht Wärme –, nutzt der neue russische Rektor die ungebremsten Neutronen, um nicht Uran, sondern Plutonium zu spalten. Ein Teil der Neutronen wird von Uran 238 eingefangen, das sich dadurch in Plutonium umwandelt, das wiederum als Brennstoff dient.

Die Abtrennung von Uran/Plutonium aus den nach fünf Betriebsjahren verbrauchten Brennelementen geschieht in einer Wiederaufarbeitungsanlage, die am gleichen Standort errichtet wird. In einer dritten Fabrik, die bereits in Betrieb ist, werden daraus neue Brennelemente hergestellt.

Der Reaktor wird am Anfang mit Brennelementen beladen, die Plutonium und spaltbares Uran enthalten. Dazu kommt ein Mantel aus nicht-spaltbarem Uran, das in Plutonium umgewandelt werden soll. Später wird der Reaktor ausschließlich mit Plutonium betrieben, das er selbst erzeugt hat. Lediglich nicht-spaltbares Uran muss ergänzt werden.

BREST-OD-300 ist Teil des Projekts „Proryv“ (Durchbruch) von Rosatom, mit dem ein geschlossener Kernbrennstoffkreislauf ermöglicht werden soll, aufwändige bergmännische Förderung von Uran, die die Umwelt massiv belastet, also weitgehend überflüssig wird. Rosatom ist die russische Kernenergiebehörde, zu der auch Konstruktionsabteilungen und Produktionsstätten gehören. „Wir schaffen mit diesem Projekt eine solide Grundlage für Technologien, von denen unsere Kinder, Enkelkinder und zukünftigen Generationen profitieren werden“, meint Igor Kotov, Leiter der Maschinenbauabteilung von Rosatom.

Wenn das Kernkraftwerk erfolgreich arbeitet, soll eine viermal größere Anlage gleicher Bauart errichtet werden

Wolfgang Kempkens studierte an der Techni­schen Hochschule Aachen Elektrotechnik. Nach Stationen bei der „Aache­ner Volkszeitung“ und der „Wirtschaftswoche“ arbeitet er heute als freier Journalist. Seine Schwer­punkte sind Energie und Umwelt.

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