Es liegt nicht an Saskia Esken

vor 1 Tag

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Bildquelle: Tichys Einblick

Die Spiegel-App bietet ihren Lesern ein tägliches Quiz an. Gerne nimmt die Redaktion Fragen, für die Leser etwas in eine zeitliche Reihenfolge bringen müssen. Etwa, sortiere folgende SPD-Vorsitzende nach ihrem Amtsantritt: Franz Müntefering, Gerd Schröder und Kurt Beck. Oder der Leser muss eine falsche Antwort finden wie: Wer war nicht SPD-Bundesvorsitzender: Andrea Nahles, Matthias Platzeck oder Frank-Walter Steinmeier? Gar nicht mal so einfach. Schon gar nicht die Frage nach der zeitlichen Abfolge der Amtsantritte. Ist die Amtszeit von Müntefering vor Kurt Beck gemeint oder sein Einspringen, nachdem die Partei den beliebten und bodenständigen Elektriker aus Rheinland-Pfalz an ihrer Spitze verdrängt hat?

Die Riege der ehemaligen SPD-Bundesvorsitzenden ist ein El Dorado für Rätselredaktionen. Für politische Beobachter, die im Sinne des Landeswohls einer Volkspartei grundsätzlich Fortune wünschen, ist es eine grauenhafte Liste des Scheiterns. Saskia steht bald auch auf dieser Liste. Das ist absehbar, nachdem die 63-Jährige bei der Verteilung der Ministerposten zum zweiten Mal leer ausgegangen ist und ihre Genossinnen sie mittlerweile öffentlich demütigen, indem sie ihre Vorsitzende auffordern, nicht mehr in Talkshows zu gehen und dort mit ihrer schlechten Aura der Partei zu schaden.

Auf Saskia Esken einzuprügeln ist einfach. Die Hosenanzüge. Der permanent umgekehrte Resonanzbogen in ihrem Gesicht. Die verrückten Ideen. Die Weigerung, die Realität anzunehmen. Die Beharrlichkeit, gegen diese Realität anzureden. Die Arroganz, die umso stärker wird, je falscher sie liegt. Ein beruflicher Lebensweg, der vor der Politkarriere ein einziger Witz war. Zu einfach. Sollen sich andere daran abarbeiten. Saskia Esken wird an dieser Stelle aber nicht aus Mitleid verschont. Sondern, weil es langweilig geworden ist, auf sie einzuprügeln. Viel spannender sind andere Fragen:

Das sei nicht schwer? Damit sei Esken bestenfalls die sprichwörtliche Einäugige unter den Blinden? Nun ja. Sie setzte sich in dieser Wahl auch gegen Boris Pistorius durch. Heute angeblich Deutschlands beliebtester Politiker. Und gegen Olaf Scholz. Etwa zwei Jahre nach der Niederlage gegen Esken der neunte Bundeskanzler Deutschlands. Es ist leicht, sich über Saskia Esken lustig zu machen. Aber da hat sie einige Schwergewichte aus dem Feld geräumt.

Wie war das möglich? Für die Direktwahl entschied sich die SPD überhaupt erst aus Ratlosigkeit. Andrea Nahles hatte den Vorsitz aus Ermüdung hingeworfen. In der Partei Willy Brandts gab es eine Diskussion, ob sie 2021 überhaupt einen Kanzlerkandidaten aufstellen soll. Oder ob die SPD besser auf diesen Titel verzichten soll, weil das Ziel so aussichtslos war, dass die Ambition, gewinnen zu wollen, einer Blamage gleichkäme. Nur zwei Jahre später stellte die SPD den Bundeskanzler. Der zweite unerwartete Erfolg, den keiner vergessen sollte, der an diesem Montag allzu lustvoll auf Saskia Esken einprügelt.

Wer als Außenstehender 2019 von dem Ergebnis der Direktwahl verblüfft war, der konnte Mitglieder befragen, die sich für Esken entschieden hatten. Die sagten in der Tat Verblüffendes: Esken sei immer noch besser als Scholz. Das sei doch nur noch so ein Funktionär, mit dem sich nichts ändere. Die SPD war 2019 so verzweifelt, dass alles besser schien, was anders war. Sogar Saskia Esken.

Im Sommer 2020 leitete Esken ihren größten Erfolg ein: Zusammen mit Walter-Borjans kürte sie Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten. Lange vor der Wahl. Ohne internen Streit und ohne dass die Presse davon vorab etwas erfahren hätte. Das waren – wie sich später zeigen sollte – die drei entscheidenden Faktoren der Wahl 2021. Wer ein Jahr vorher in den sozialen Netzwerken aber Olaf Scholz eine realistische Chance aufs Kanzleramt zusprach, der wurde als Phantast und Mietmaul der SPD abgetan.

Den Nachfolger von Angela Merkel würden entweder die CDU, die CSU oder die Grünen stellen. So sah es lange aus, so waren sich alle Beobachter einig. Doch sowohl die Union als auch die Grünen entschieden sich spät für ihren Kandidaten. Nach 16 Jahren Merkel wollten die Wähler allerdings Kontinuität und Berechenbares. Die SPD, die sich vorzeitig festgelegt hatte, war – Esken sei dank – mit Merkels Vizekanzler da klar im Vorteil.

Dann kam es in den anderen Parteien über die Kandidatur zum Streit. In der Union war der offensichtlich. Das Duell hieß Armin Laschet gegen Markus Söder. Der Streit war maximal öffentlich. In Debatten der Union konnte kein Teilnehmer mehr furzen, ohne dass es in der Redaktion der Bild gestunken hätte und der Furz im Newsletter des Mediums verbreitet worden wäre. Die Grünen hielten ihre Entscheidung bis zum Schluss geheim und einigten sich ohne Streit auf Annalena Baerbock.

Ohne Streit bis zur Nominierung. Nachdem Robert Habeck ausgebootet war, kam ein pikantes Detail nach dem anderen über die Kanzlerkandidatin ans Licht. Alles Details, die bis dato bei den Grünen längst bekannt waren. Nur plötzlich wurden die Informationen den Redaktionen zugesteckt. Zufälle gibt’s. All dieses Theater verhinderte Esken in der SPD und machte Scholz so – entgegen der Prognosen des Sommers 2020 – 2021 zum Kanzler.

Trotzdem ging Esken in der Kabinettsbildung leer aus. Scholz machte 2019 seine Vertrauten zu Ministerinnen. Christine Lambrecht war mit der Verteidigung – Fahrzeuge mit einem Rohr, das in die Luft schießt – so derart überfordert, dass ihre Entlassung für Scholz, die Bürger und sie selbst eine Erlösung war. Klara Geywitz, Scholz’ Co-Kandidatin um den Parteivorsitz, durfte bis zum bitteren Schluss bleiben. Obwohl sie als Bauministerin versprach, dass in Deutschland künftig mehr Wohnungen gebaut würden – aber unter und wegen ihr der Wohnungsmarkt einbrach.

Eigentlich hätte Esken da gehen müssen. 2021. Sie war gedemütigt, weil selbst Lambrecht und Geywitz ihr vorgezogen wurden. Und sie war reduziert auf die Rolle, in Talkshows die Politik Scholz’ schönzureden. Doch der öffentliche Auftritt liegt Esken nachweislich nicht. Und die Politik Scholz’ schönzureden, war eine Aufgabe, die zum Scheitern verurteilt war. 2021 hätte Esken mit erhobenem Haupt gehen können. Als Architektin eines völlig unerwarteten Wahlerfolgs. Doch sie entschied sich dafür, sich diesen Erfolg bezahlen zu lassen. Buchstäblich. Als Doppelverdienerin in Bundestag und Parteivorsitz. Dafür zahlt sie halt jetzt mit Ansehensverlust.

Von Theodor W. Adorno stammt der Satz: „Es gibt nichts Richtiges im Falschen.“ Letztlich ist die SPD nicht in einem schlechten Zustand, weil Saskia Esken ihre Vorsitzende ist – sondern Saskia Esken konnte ihre Vorsitzende werden, weil die SPD in einem so schlechten Zustand ist. Einen Kurt Beck hat die Partei buchstäblich vom Hof gejagt, weil er zu bodenständig war. Einem Willy Brandt oder einem Helmut Schmidt hätte Nancy Faeser den Verfassungsschutz auf den Hals gehetzt, weil diese einen nationalen Volksbegriff verwendet haben. Bill Clinton prägte den großartigen Satz: „It’s the economy, Stupid.“ Auf die SPD 2025 angewendet müsste man den übersetzen mit: „Es liegt nicht an Saskia Esken, Dummkopf.“

Die SPD ist so, wie sie ist, weil nicht mehr Praktiker wie Beck sie bestimmen, sondern Theoretiker wie Faeser. Theoretiker, die einer Realität den Kampf ansagen, weil die sich weigert, so zu sein, wie sozialdemokratische Akademiker das in Seminaren und verkifften Studentenbuden in Diskussionen festgelegt haben. Die SPD ist so, wie sie ist, weil sie ihre Wahlverlierer nicht aussortiert, sondern nach oben befördert – Frank-Walter Steinmeier, Carsten Schneider oder Lars Klingbeil. Um nur drei zu nennen. Die SPD ist so, wie sie ist, weil sie sich im Weltbild verfangen hat, der Rechtsextremismus beginne in der Mitte der Gesellschaft. Doch wer in der Mehrheit der Gesellschaft einen Todfeind der Demokratie sieht, der kann gar nicht im Sinne der Mehrheit regieren. Der wird – aus seiner Sicht bestenfalls – eine Außenseiter-Position durchsetzen. So wie Nancy Faeser. Es gibt nichts Richtiges im Falschen.

Noch ist Saskia Esken Vorsitzende der SPD. Es ist völlig egal, ob sie bleibt oder wer ihr nachfolgt: Bärbel Bas, Eva Högl oder irgendeine Doppelnamen-Frau aus der Provinz. Es gibt nichts Richtiges im Falschen. Saskia Esken hat die Partei übernommen, da stand die in den Umfragen unter 20 Prozent und hatte keinerlei Perspektive auf eine Kanzlerschaft. Wenn Esken geht, steht die Partei wieder da. Die mit der SPD befreundeten Journalisten werden darüber hinwegsehen. Erst recht die, die mit der SPD geschäftlich verbunden sind. Sie werden Esken die Schuld an dem Niedergang geben. Ein Sündenbock, neben dem Lars Klingbeil besser aussieht. Doch das ist verkürzt. So verkürzt, dass es eigentlich nicht stimmt. Esken hat den Niedergang der SPD zwischendurch und überraschend gebremst. Doch auf lange Sicht geht der weiter. Regierungsbeteiligung hin oder her. Denn es gibt nichts Richtiges im Falschen.

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