Der Schicksalssommer des Friedrich Merz

vor etwa 19 Stunden

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Am Tag nach dem großen Industrie-Gipfel mit den Dax-Unternehmen im Kanzleramt, bricht der Aktienindex an der Frankfurter Börse ein und geht mit Minus 1,09 Prozent aus dem Handel. Niemand konnte erwarten, dass ein symbolisches Treffen mit Wirtschaftsleuten sofort Aufbruchstimmung verbreitet, und doch ist dieser Termin typisch dafür, wie sich die schwarz-rote Regierung unter Kanzler Friedrich Merz (CDU) ins Abseits stümpert und stolpert: Nicht mal zum Inszenieren reicht es, wenn niemand vorher mit den Medien spricht, keiner die genauen Investitionssummen weiß und hinterher zum wiederholten Mal nur über die fehlenden Frauen auf den Fotos diskutiert wird.

Kanzler Merz mit Wirtschaftsvertretern im Kanzleramt diese Woche

Doch die Probleme der Merz-Regierung gehen viel tiefer und können das ganze Land in eine noch dramatischere Krise stürzen, weil Union und SPD kein gemeinsames Projekt haben, unterschiedliche politische Sprachen sprechen und sich nahezu täglich gegeneinander profilieren müssen.

Dabei sind die Beliebtheitswerte (Forsa) von Friedrich Merz auf einem Allzeit-Tief (32 Prozent zufrieden, 64 Prozent unzufrieden) noch das kleinste Problem. Keine hundert Tage nach dem Regierungswechsel liegen Union und AfD in den Umfragen rund um den 25-Prozent-Äquator, die SPD sackt der 10-Prozent-Marke entgegen, und es spricht wenig dafür, dass es demnächst besser wird.

Es ist der Schicksalssommer des Friedrich Merz!

Die Beliebtheitswerte des Bundeskanzlers liegen laut Forsa auf einem Allzeit-Tief.

Das hat handfeste Gründe. Der anfängliche Regierungsturbo ist schon jetzt wieder abgeschaltet. Hatte die Bundesregierung bislang gemeinsame Projekte (Aussetzung Familiennachzug, Milliarden-Kredite etc.) im Schnellverfahren verabschiedet, so zog die SPD dieser Tage wieder die Bremse. Viele Gesetze waren lediglich im Kabinett als „Formulierungshilfe“ beschlossen und dann zur raschen Verabschiedung in die Regierungsfraktionen geschickt worden. Damit ist nun wieder Schluss, weil die SPD offenbar den Migrationskurs nur schwer mittragen kann. Die Folge: Vorhaben, die bis zum Kabinett am 6. August nicht beschlossen sind, werden den Weg der normalen Gesetzgebung bis zum Jahresende kaum noch schaffen. Es wird kaum noch etwas gehen in diesem Jahr. Regieren auf der langen Bank.

In gemeinsamen Papieren tauchen falsche Zahlen und inhaltliche Punkte auf, die nie einvernehmlich waren, weil im Koalitionsausschuss die Handys abgegeben werden und nicht verlässlich protokolliert wird. Kanzleramtsminister Thorsten Frei (CDU) hält am Tag des Koalitionsausschusses einen Vortrag bei der Sparkasse, Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) ist mit seiner Masken-Affäre so intensiv ausgelastet, dass er die Brisanz der Richter-Nominierung für das Bundesverfassungsgericht nicht rechtzeitig erkennt und verstörend schlecht managt. Auch sonst funktionieren keine Alarm-Meldeketten in Regierung und Fraktion, die Stimmung an der Basis geht an den Führungsspitzen völlig vorbei.

Die Abkommen zwischen den Koalitionspartnern waren nie einvernehmlich.

Der eigentliche Kern des Problems ist aber, dass die Union von einem Machtpragmatismus ausgeht, den die programmatisch-ideologische SPD weder versteht noch nachvollziehen kann und will. Und das auf fast allen Politikfeldern. Wenn Innen- und Außenministerium die Einreise von 2.600 Afghanen nach Deutschland stoppen, die derzeit in Pakistans Hauptstadt Islamabad warten, protestiert die SPD-Spitze. Die Union dagegen weist darauf hin, dass der Import weiterer Afghanen der SPD keine Sympathiepunkte bringt und die AfD weiter stärkt. Zwischen dem Politikverständnis der zum Regieren verdonnerten Partner liegen Welten. Dass SPD-Chef Lars Klingbeil als Manager der Wahlschlappe und Profiteur der Regierung im eigenen Laden nur über begrenzte Führungsautorität verfügt, kommt erschwerend hinzu.

Seine SPD-Co-Vorsitzende, Sozialministerin Bärbel Bas, will die SPD erkennbar nach links führen, die Union dagegen muss Wähler am rechten Rand überzeugen und zurückgewinnen. Der Koalitionsvertrag funktioniere „als Guillotine“, schreibt Gabor Steingart (Media Pioneer), „sodass der Identitätskern der Union von Arbeitsministerin Bärbel Bas, die in diesem Stück als Scharfrichterin auftritt, sauber abgespalten wird. Allen CDU-Wahlkampfversprechen vom Rückbau des Sozialstaates zum Trotz hat die SPD als Generalklausel für den Erhalt des Status quo folgenden Satz im Koalitionsvertrag verewigt: ‚Das soziale Schutzniveau wollen wir bewahren.‘“

Finanzminister Lars Klingbeil habe das in seiner Haushaltsplanung für 2025 und die Folgejahre präzise umgesetzt. Alle Sozialausgaben weisen Steigerungsraten aus, die deutlich oberhalb der Zuwächse des Bruttoinlandsprodukts liegen: „Die Gesamtkosten des Bürgergelds klettern um über 13 Prozent in die Höhe. Der Demografiefaktor bei der Rente wird stillgelegt. Das bedeutet Mehrkosten beim Bundeszuschuss zur Rentenversicherung 2025 in Milliardenhöhe.“ Mit anderen Worten: Die von der Union richtigerweise versprochenen und dringend nötigen Sozialreformen, um Deutschland wieder fit zu machen, werden nicht kommen.

Zusätzlich vergiftet wird das interne Regierungsklima durch völlig konträre Wahrnehmungen der beiden Parteiblöcke. Während die SPD meint, die Union setze sich permanent bei (inhumaner) Migration, in der Außen- und Ukraine-Politik durch, fühlen sich in der Union viele von der SPD ausgebremst: Keine Senkung der Stromsteuer für alle, Verfassungsrichter, Lockerung der Schuldenbremse, ausbleibende Sozialreformen, bürokratisches Tariftreuegesetz … Die vermeintliche Regierung der „demokratischen Mitte“ liefe am liebsten in unterschiedliche Richtungen auseinander.

Die Regierung der „demokratischen Mitte“ liefe am liebsten in unterschiedliche Richtungen auseinander.

Kanzler Friedrich Merz macht Milliarden-Schulden, will der EU aber verbieten, das Gleiche zu tun. Merz’ Milliarden für die Ukraine und die Waffenkäufe in den USA für Kiew sind draußen im Lande auch nicht überall gut zu erklären und nur mäßig populär. Eine gemeinsame Strategie, den Regierungskurs zu erklären, ist nicht in Sicht.

Merz selbst spürt, dass all das ein ungutes Gemisch ist. Intern, so berichten es Leute aus seinem Umfeld, habe er mehrfach davon gesprochen, nicht zum „zweiten Papen“ werden zu wollen. Franz von Papen war 1932 Reichskanzler und 1933 bis 1934 Vizekanzler unter Adolf Hitler und wird mit der historischen Fehleinschätzung verbunden, diesen „in die Ecke“ zu drücken, „dass er quietscht“. Merz’ Wahrnehmung, wenn diese Regierung nicht liefere und die Menschen im Land von den Parteien der Mitte überzeuge, könnten künftige Mehrheiten ohne die AfD nicht mehr möglich sein und das Land in eine düstere Zukunft treiben, kann man teilen oder nicht. Fakt ist, dass die „Lieferungen“ der Bundesregierung bislang wenig überzeugen und man nicht den Eindruck hat, dass die SPD-Seite sich an diesen Lieferungen im übergeordneten Interesse des Landes beteiligt.

Merz erwähnte mehrfach, nicht zu einem „zweiten Papen“ (hier 1931) werden zu wollen.

Fakt ist auch, dass das Potenzial derjenigen, die sich vorstellen könnten, AfD zu wählen, in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen ist und derzeit mit 33 Prozent (Allensbach für FAZ) gemessen wird. In einer bemerkenswerten Tiefenanalyse zeigte Allensbach-Chefin Renate Köcher unlängst, dass die Berührungsängste mit der Partei von Alice Weidel auch deshalb schwinden, weil immer mehr Menschen in ihrem Umfeld AfD-Anhänger kennen und diese nicht als bedrohlich wahrnehmen. 80 Prozent der AfD-Wähler, schreibt Köcher, tun dies, um ein Zeichen des Protests zu setzen, dass sie mit dem aktuellen Kurs der Politik unzufrieden sind.

Trotz aller Gegenmaßnahmen ist das Potenzial derjenigen, die sich vorstellen könnten, die AfD zu wählen, in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen.

Genau dagegen kann die Regierung von Friedrich Merz aufgrund ihrer inneren Lähmung und äußeren Abgrenzung von der AfD aber keine politischen Zeichen setzen und die Protestwähler zur Umkehr überzeugen. Die wenigen weitsichtigen Strategen in der Union sehen das Problem durchaus und verweisen zum Beispiel darauf, wie der eher linkslastige Regenbogen-Kurs etwa des Berliner Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner (CDU) ins Kontor der Union schlägt. Vor allem die Wahlkämpfer der Landtagswahlen im kommenden Jahr (allen voran die CDU Baden-Württemberg) sind darüber alles andere als glücklich.

Die klassische 100-Tage-Frist der Merz-Regierung läuft nach Rechnung der Deutschen Presseagentur genau am 13. August ab. Dem Tag des Mauerbaus. Manche meinen, die „Brandmauer“ könne für die Union das werden, was die innerdeutsche Mauer für die DDR war …

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