
Auch in der NRW-Stadt Dorsten mit ihren 75.000 Einwohnern, gelegen rund 30 Kilometer nördlich von Essen, ist die Nachricht angekommen, dass öffentliche Feste immer häufiger Ziele von Mordanschlägen wurden. Die Stadt hat deshalb eine „Konzeption für eine realistisch leistbare Absicherung von Veranstaltungen“ entwickelt, nach der künftig bei Open-Air-Veranstaltungen „Gefahrenräume“ kenntlich gemacht werden. „Besucher_innen“ (!) sollen dann mit ihrem Aufenthaltsort zugleich das individuelle Maß an Sicherheit selbst bestimmen. Und: „Besucher_innen tragen dabei auch Eigenverantwortung.“ Aha, der Staat, verantwortlich für innere Sicherheit, zieht sich aus der Affäre. Bürger, Ihr seid selbst schuld, wenn Ihr ….
Die Dorstener Open-Air-Konzeption sieht drei Kategorien von „Gefahrenräumen“ vor: In Kategorie 3 („orange“) besteht das geringste Schutzniveau, in Kategorie 1 („grün“) das höchste. Ausgeschildert werden die Gefahrenräume mit „Gefahren-Dreiecken“. Gäste eines Events müssen dann nach persönlicher Risikobewertung entscheiden, ob sie die Veranstaltung besuchen oder nicht besuchen.
„Eigenverantwortung“ – das heißt mit anderen Worten: Wenn Euch ein Amokfahrer bei einem Ostermarkt oder ein „psychisch Auffälliger“ mit einem Messer ins Jenseits befördert, dann habt Ihr wohl nicht auf unsere Schilder geachtet. Sorry! Zugleich wird mit einem „grünen“ Schild Sicherheit suggeriert, die es auch hier (siehe Magdeburg, Mannheim, Solingen, München usw.) nicht gibt. Mit oder ohne Lego-Betonklötzen. Veranstalter, die nur ein rotes Schild bekommen, sollten ihre Pläne wohl gleich aufgeben und potenziellen Besuchern empfehlen: Hockt Euch vor die Glotze und lasst Euch „öffentlich-rechtlich“ brainstormen.
Das mit den drei verschiedenen Schildern läuft dann so ab: Die Ordnungsbehörde führt eine Gefährdungsanalyse durch. In einem Gremium werden die Gefahrenräume der drei Kategorien und die notwendigen Maßnahmen festgelegt. Diesem Gremium gehören Ordnungsamt, Verkehrsabteilung, Feuerwehr und Polizei immer an, weitere Fachleute sowohl aus dem Rathaus wie auch externe können nach Bedarf eingebunden werden. An kleinräumigen Orten wie Festzelten soll durch Zugangskontrollen, einen ständigen Ordnungsdienst oder auch Kontrolle mitgeführter Gegenstände der höchstmögliche Schutz auch gegen Angriffe mit Handwaffen gewährleistet werden.
Dass das Konzept noch schnell vor Ostern hingefetzt wurde, erkennt man übrigens allein an unvollständigen amtlichen Sätzen wie diesem aus dem Munde von Nina Laubenthal, der Ordnungsdezernentin: „Die Planungen für die Rosenmontagszüge waren ein schwieriger Spagat gibt zwischen der maximalen Sicherheitserwartung und der realistischen Leistungsfähigkeit von Vereinen.“ (Stand: 5. April)
So richtig schlau wird der potentielle Festbesucher daraus nicht. Auf dem „Eventkalender“ der Stadt ist nicht ersichtlich, welches Schild er jeweils bei der Veranstaltung vorfinden wird. Dazu muss er wohl erst einmal dorthin fahren oder gehen, um dann zu entscheiden: Mitmachen oder Umkehren!
Das ganze Bemühen der Stadt Dorsten ist aktivistisch maskierte Hilflosigkeit, ist ein Placebo, ist ein resignierender Kotau vor der zunehmenden (zumeist importierten) Gewalt im öffentlichen Raum. Darüber können auch gedrechselte Worte des Dorstener Bürgermeisters Tobias Stockhoff (CDU, 44) nicht hinwegtäuschen: „Ich bin den Kolleginnen und Kollegen im Ordnungs- und Rechtsamt außerordentlich dankbar, dass wir die erhöhten Sicherheitserwartungen und -bemühungen bei unserem Rosenmontagszug einmal exemplarisch in der Maximal-Variante gemäß des Orientierungsrahmens der Polizei durchexerziert und parallel dazu dieses Konzept entwickelt haben …Nachdem das Thema zuletzt auch kontrovers diskutiert wurde, ist diese Dorstener Konzeption nach meiner Meinung eine gute Lösung, um eine gemeinsame Linie für alle Beteiligte zu finden, die beispielgebend sein kann für Veranstaltungs- und Versammlungsformate im ganzen Land, auch bei Demonstrationen … Die Stadt Dorsten hat damit einmal mehr bewiesen, dass sie konstruktiv-kritisch mit solchen Herausforderungen umgeht.“ Der Mann kann so reden, immerhin ist er zuletzt, bei der Kommunalwahl 2020, mit 76,9 Prozent Stimmen gewählt worden.
Ein Gewaltproblem hat die Stadt Dorsten trotzdem. Im Jahr 2024 gab es dort fünf Tötungsdelikte, davon zwei mit Messern. Weitere schwere, mit Messer herbeigeführte Verletzungen kamen hinzu. Bei seinem Besuch in Dorsten im Juli 2024 sagte übrigens NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU): „Wir haben offensichtlich eine Zunahme der Gewalt in unserer Gesellschaft. Die Frage ist, wie kommt es dazu, dass Tabus gebrochen werden. Schulhofschubsereien gab es immer. Heute tritt man gegen den Kopf. Heute holt man das Messer raus. Da hat sich wahnsinnig viel verändert.“
Polizeipräsidentin Friederike Zurhausen ergänzte: Für manche ist das Messer leider so selbstverständlich wie der Schlüssel oder das Handy in der Hosentasche,“
Übrigens: Der Anteil der als „Messerangriff“ erfassten Taten ist 2024 (29.014 davon) laut Kriminalstatistik im Vergleich zum Vorjahr 2023 um 10,8 Prozent angestiegen.
Hoffen und beten wir mit den Dorstenern dennoch, dass es nicht wieder zu einem Dreifach-Mord wie am 23. August 2024 beim „Festival der Vielfalt“ in Solingen kommt. Mutmaßlicher Täter: der Syrer und Asylbewerber Issa Al H. (26). Tatwaffe: ein 15. Zentimeter langes Messer. Würden die drei Mordopfer (56, 56, 67) noch leben, hätte es dort Warnschilder gegeben?
Warnschilder hin oder her: Das Kernproblem ist ein anderes. Man kann „im besten Deutschland, das es jemals gegeben hat“ (Steinmeier am 3.Oktober 2020) und in dem „Land, in dem wir gut und gerne leben“ (CDU-Merkel-Propaganda zur Bundestagswahl 2017) zumindest im öffentlichen Raum nicht mehr so leben, wie es schöne Tradition war.
Dieses dysfunktionale, aus dem Ruder gelaufene Deutschland ist international eh schon zum Gespött der Menschen geworden: