Scholz verweigert Einsicht in Nord-Stream-2-Akten und fliegt in Hamburg auf

vor 2 Monaten

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Bildquelle: Tichys Einblick

Der Kanzler mag sich nicht erinnern. Gedächtnisschwund-Scholz macht weiter. So könnte man den Stand der Dinge auch in der Sache Nord Stream 2 zusammenfassen. In diesem Fall tut Scholz aber nicht so, als könnte er sich nicht mehr erinnern, wie im Skandal um Cum-Ex-Geschäfte aus seiner Hamburger Zeit. Anfang der Woche wurde er von Günther Jauch darauf angesprochen und – konnte sich nicht erinnern. Nun gibt es doch Anhaltspunkte für eine Falschaussage von Scholz vor dem Hamburger Untersuchungsausschuss in dieser Sache. Diesmal mag sich der Kanzler nicht erinnern, weil eine Auskunft über die Baugeschichte der beiden Erdgaspipelines, die den Namen „Nord Stream 2“ erhielten, „die Stellung der Bundesrepublik in der internationalen Gemeinschaft negativ beeinträchtigen“ könnte.

Die Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz hatte die Bild gestellt, und das Springer-Blatt bemerkte, dass der Informationszugang eigentlich „binnen eines Monats“ gewährt werden müsse. Nach sieben Monaten erging aber nur eine nichtssagende Ablehnung aus dem Kanzleramt von Olaf Scholz. „Bei einer Veröffentlichung der Dokumente würden auch strategische Überlegungen der Bundesregierung veröffentlicht“, heißt es weiter in der dann doch dünnen Begründung des Kanzleramts, und dadurch könnten „weitere Verhandlungen oder Positionierungen gefährdet werden“. Es geht also einesteils um „harte“ Verhandlungen, andererseits um die „weiche Währung“ politischer Positionierungen, die der Bundesregierung durch eine Veröffentlichung erschwert würden.

Die Bild wollte mehr wissen über die Kommunikation zwischen dem Kanzleramt, Gazprom, der Nord Stream 2 AG, der EU-Kommission und der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns unter Manuela Schwesig (SPD) sowie anderen Bundesministerien. Schwesigs Verstrickung in diese Sache ist hinlänglich bekannt. Die SPD-Ministerpräsidentin hatte eine sogenannte „Klimaschutzstiftung“ gegründet, um den Fertigbau der Pipelines sicherzustellen und damit Arbeitsplätze in ihrem Bundesland zu sichern.

Olaf Scholz ist nur der letzte Verwalter der inzwischen uralten Geschichte rund um den Bau zweier zusätzlicher Ostsee-Pipelines. Zwei hatte schon sein Vorgänger Gerhard Schröder vereinbart. Unter Merkel wurden sie fertiggestellt und am 8. November 2011 feierlich zusammen mit Dmitri Medwedjew in Betrieb genommen. Man könnte nun sagen, das war ja noch vor der Besetzung der Krim, kein Anlass also für Merkel, hier Misstrauen gegenüber den russischen Partnern zu entwickeln. Aber der CDU-SPD-Komplex machte weiter, plante zwei weitere Pipelines, obwohl – so ergeben nun auch die Recherchen zweier Autoren – man eigentlich wusste, auf wie unsicherem Gelände man sich da voranrobbte.

Denn die amerikanische Ablehnung dieses Projekts war seit langem klar. Olaf Scholz ist dabei nur der Erbverwalter Gerhard Schröders, der hier und da versucht hatte, eigenständige, mit Washington nicht abgesprochene Schritte zu gehen. Das traf zwar nicht auf den Afghanistan-Krieg zu, wohl aber auf den im Irak. Und dann eben auf die deutsche Energiepolitik, die er zusammen mit Russland auf neue Beine stellen wollte. Wer konnte ihn daran hindern? Offenbar so einige. Nicht nur Donald Trump, der gegen das neue, von Angela Merkel weiter vorangetriebene Nord-Stream-Projekt Sanktionen verhängte. Auch Trumps Nachfolger und Vorgänger im Amt, Joe Biden, machte sich diese Position zu eigen und teilte Scholz beim Besuch des Kanzlers mit, dass es die Pipelines nicht mehr geben würde, wenn es zum offenen Krieg in der Ukraine käme. Da sprach nicht bloß ein Joe Biden (oder einer seiner Doppelgänger), sondern der industrielle Komplex der USA. Biden war nur die Sprechpuppe, von der Scholz diese unabänderliche Botschaft erfuhr und zur Kenntnis nehmen durfte.

Dabei hatte Scholz noch als Bundesfinanzminister einen schrägen Vorschlag an die US-Administration gemacht. Der Merkel-Nachfolger hatte also durchaus etwas auch mit Nord Stream 2 zu tun, auch wenn er das Thema bis jetzt immer weit weg von sich geschoben hat. Das geht aus den Recherchen von Ulrich Thiele, normalerweise Investigativreporter bei Business Insider, und dem Zeit-Journalisten Steffen Dobbert hervor, die gemeinsam ein Buch darüber geschrieben haben, laut dessen Titel „Deutschland Putins Krieg bezahlt“ hat.

Ähnliche Dinge haben sich schon öfter in der Weltgeschichte zugetragen: Erst treibt man noch fröhlich Handel, dann kommt es zu Verstimmung und Krieg. Allerdings gab es für Deutschlands „Eliten“ in diesem Fall Warnungen, auch ganz aus der Nähe. Polen, die Balten und andere fanden das Projekt einer direkten Gaspipeline von Russland nach Deutschland nicht gut. Und diese Positionierung war ohne Zweifel von nationalen Interessen bedingt. Denn als exklusive Transitstaaten konnten Polen und die Ukraine sich vorteilhafte Deals sichern. Dass sie sich auch militärisch von Russland bedroht fühlten, kam wohl dazu. Die Nachbarländer sowohl Russlands als auch Deutschlands hatten allerdings die Unterstützung der USA und der Briten im Rücken, wie sich auch bei der Zerstörung dreier von vier Nord-Stream-Röhren im September 2022 zeigte.

Sei das, wie es will: Deutschlands „Eliten“ waren unfähig, die immer höhere Risikostufe der Investitionen in das Pipeline-Projekt zu erkennen. Man machte einfach weiter, egal ob schwarz oder rot, CDU oder SPD – und versprach sich zumindest kurzfristige Dividende. Zugleich dienten die Gasimporte als willkommenes Polster für die eigene, misslingende Energiewende – als einzige akzeptierte grundlastfähige Energieart, die den Deutschen noch verblieb. Solange sie die Kern- und Kohlekraftwerke rund um das Land (in Frankreich, Polen usw.) nicht zum eigenen „Energiesystem“ zählten, was – wie sich heute erweist – ebenfalls töricht war und ist.

Zurück zu Scholz und der Nord-Stream-Monographie der beiden Autoren: Laut ihren Recherchen hat sich Scholz nämlich im August 2020 an den US-Finanzminister Steven Mnuchin gewandt, um ihm Nord Stream 2 mit einem Angebot zu versüßen. Die Bundesregierung wolle die beiden Ostsee-Leitungen gerne fertigstellen, sagte Scholz da, aber im Gegenzug werde Deutschland den Ausbau von LNG-Terminals „massiv durch die Bereitstellung von bis zu einer Milliarde Euro“ vorantreiben. Damit bekämen auch die USA einen größeren Anteil am deutschen Energiemarkt.

Allerdings war Scholz’ Versprechen an den Amerikaner damals angeblich mit niemandem abgesprochen, weder natürlich mit dem Parlament – mit dieser „Schwatzbude“ befassten sich die Regierenden seit 2015 ohnehin nicht mehr – noch allerdings mit dem Rest der Regierung. Denn alle sonst beteiligten Minister und die Bundeskanzlerin hätten Scholz’ Offerte abgelehnt, sogar SPD-Außenminister Heiko Maas (SPD), so die Recherchen von Thiele und Dobbert. Interessant ist daran, dass Scholz offenbar nicht nur ziemlich stark an seiner Idee festhielt. Interessant wäre auch, wer sie ihm ursprünglich eingegeben hatte. Denn wann immer ein Politiker so stur an etwas festhält, ist Vorsicht geboten und die Frage am Platz, was er denn ganz persönlich davon hätte.

Scholz war jedenfalls die versammelte Expertise von Wirtschaftsministerium (damals noch ohne Klima), Auswärtigem Amt und Kanzleramt gleichgültig. Das zeugt vom bekannten Selbstbewusstsein, um nicht zu sagen Starrsinn des späteren Kanzlers. Doch aus dem Weißen Haus kam eine ebenfalls einhellige, brüske Ablehnung von Scholz’ Plan: Das sei „Mist“ („crap“), auf den man nicht hereinfallen werde.

Daneben erfahren wir noch, dass vielleicht die Festigkeit der Pipelines unter Wasser und Druck nicht ausreichend erwiesen wurde. Man hatte es nämlich eilig und bog die Zulassungsbestimmungen zurecht. Außerdem hatte man vor Errichtung fleißig bei der Bundesnetzagentur Werbung gemacht, damit dieselbe den Bau „wohlwollend“ prüfe. Wenn einer will, findet er Wege – auch nicht immer ganz einwandfreie. Und die deutschen Bundespolitik-Eliten wollten diese Pipelines, schon wegen der Arbeitsplätze und des daran hängenden Prestiges.

Auch die Rolle von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier stellt das Recherche-Buch ins Zwielicht. So soll das Kanzleramt unter Merkel schon 2018 eine Kriegseskalation zwischen Russland und der Ukraine wegen des Pipeline-Projekts für möglich gehalten haben. Man extrapolierte, dass dadurch weitere „Flüchtlingsströme“ zu den damals schon im Gang befindlichen hinzukommen würden. Das beunruhigte die Merkel-Berater aber laut Business Insider nicht. „Wir wissen, was wir mit ihnen machen werden“, hieß es im Oktober 2018 gegenüber einer ukrainischen Delegation, also mit den ukrainischen Kriegsflüchtlingen. Dieses Wissen ging leider beim Regierungswechsel 2021 verloren. Nancy Faeser wusste es nicht mehr und gab allen Flüchtlingen umgehend das volle Bürgergeld.

2018 hatte Außenminister Frank-Walter Steinmeier noch mit der sogenannten „Steinmeier-Formel“ versucht, den Konflikt um die Provinzen Donezk und Luhansk zu schlichten – sehr zur Kritik der Ukrainer und letztlich ohne Erfolg.

Es stecken also alle damals regierenden Parteien in diesem Sumpf mit drin. Die Union ebenso wie die SPD haben die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland forciert und dabei eventuell deutsche Sicherheitsinteressen übersehen. Angeblich haben Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) auch sehr direkt in ihren Wahlkreisen vom Bau der Nord-Stream-2-Röhren profitiert: Der größte Teilauftrag ging ausgerechnet an ein Konsortium der niedersächsischen Salzgitter AG und der Dillinger Hütte in Altmaiers Saarland, wie Bild letztes Jahr berichtete. Auch dieser Bericht zeigt, wie bruchlos der Übergang von Schröder zu Merkel und dann Scholz in diesen Dingen war.

Doch die Verantwortung für sie alle drei, die will Scholz nun nicht übernehmen, auch wenn er offensichtlich als früher Schröder-Intimus, der damals die Agenda 2010 mit Verve verteidigte, viel von diesen Dingen wissen muss. Dass er auch selbst versuchte, die Pipelines Wirklichkeit werden zu lassen, zeigt der für Scholz-Maßstäbe geradezu raffinierte, aber dann doch zu plumpe Vorschlag mit dem LNG-Ausbau. Heute ist dieser ziemlich kostenintensive, auch für die Umwelt kaum vorteilhafte Vorschlag Wirklichkeit – und soll noch mehr dazu werden, etwa vor den Kreidefelsen von Rügen.

Auch das wird das Erbe dieses Kanzlers sein. Mit seinem grünen Wirtschaftsminister Habeck führte er so das Werk der Verschrottung der deutschen Industrie weiter, an der angeblich nur das verlorene russische Gas schuld sein soll. Aber so günstig kann man Scholz auch in dieser Sache nicht davonkommen lassen. Der Kanzler ist nicht allein schuld, hat viele Probleme von Merkel übernommen. Aber wie seine Vorgängerin hat er sich damit begnügt, in stürmischer Lage Kreise zu drehen, statt einen neuen Kurs einzuschlagen.

Und mit dem LNG klappt es anscheinend immer noch nicht: Gerade hat ein Unternehmen seinen Vertrag mit dem Wirtschaftsministerium teilweise gekündigt, und zwar wegen der „ruinösen Preispolitik“ des staatlichen Konkurrenten Deutsche Energy Terminal (DET), die eigene Terminals betreibt.

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