
Vorwarnung: Es ist kein österliches Vergnügen, was jetzt folgt. Im CDU/CSU/SPD-Koalitionsvertrag lesen wir auf Seite 122 unter der Überschrift „Medienvielfalt stärken – Meinungsfreiheit sichern“ ein Plädoyer für einen „pluralen öffentlich-rechtlichen Rundfunk“. Allein bei „plural“ kommt man ins Stocken: Könnte es wirklich sein, dass die drei Parteien die grün-rot-woke, öffentlich-rechtliche Einheitsfront von ARD/ZDF/DLF knacken wollen? Man liest weiter: „Wir wollen einen intensiveren Diskurs über Medien und stärken dafür relevante Institutionen.“ „Relevante Institutionen“? Faktenfinder, Melde- und Denunziationsstellen, staatliche alimentierte „trusted flagger“, NGOs, „Räte“?
Und dann bleibt man bei der Lektüre des CDU/CSU/SPD-Koalitionsvertrages unter der Überschrift „Umgang mit Desinformation“ auf Seite 123 beim folgenden Satz hängen: „Gezielte Einflussnahme auf Wahlen sowie inzwischen alltägliche Desinformation und Fake News sind ernste Bedrohungen für unsere Demokratie, ihre Institutionen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt.“ Man bleibt hängen und fragt instinktiv: Ihre Wahlprogramme und ihre (gebrochenen) Wahlversprechungen können die Koalitionäre damit wohl nicht gemeint haben.
Leute, Leute, Leute: Da kommt was auf uns zu. Haltet eure Bademäntel stets griffbereit! Für den Fall, dass es morgens um 6 Uhr bei euch klingelt, weil ihr irgendetwas Kritisches über Merz, Klingbeil, Söder, Esken und Co., über Richter, Staatsanwälte, gar über „Karlsruhe“, über den Verfassungsschutz, über ARD/ZDF/DLF-Intendanten, über „Correctiv“, über irgendwelche fragwürdige NGO usw. gepostet habt. Oder weil ihr euch – laut polit-medialer Definition – als „Corona-Leugner“, Impfverweigerer, „Klima-Leugner“, Migrationskritiker usw. geoutet habt.
Der Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler apostrophierte schon zu „Ampel“-Zeiten das Ansinnen einer damaligen Innenministerin Faeser (SPD) und eines damaligen Verfassungsschutzpräsidenten Haldenwang als »erschreckend« und »übergriffig«. Zum Beispiel, wenn eine Art Straftatbestand einer angeblichen »Verächtlichmachung des Staates« erfunden werde. Noch weiterreichende Kritik übte der Verfassungsrechtler Prof. Dr. Christoph Degenhart am 24. Mai 2024 in einem FAZ-Gastbeitrag: Er sah durch die »Ampel«-Politik die Freiheiten aus Artikel 5 gefährdet. Denn der Staat lege mittlerweile bestimmte Meinungskorridore fest. Der Korridor des Sagbaren werde verengt, auch durch Leitmedien wie die Öffentlich-Rechtlichen und staatlich geförderte NGOs. Die Neu-Koalitionäre haben so etwas nicht zur Kenntnis genommen.
Der Medienrechtler und Medienanwalt Prof. Ralf Höcker weist aktuell in der „BZ“ darauf hin, dass es sogar für Fachjuristen schwierig wird, aus Äußerungen einen möglicherweise unzulässigen Tatsachenkern herauszudestillieren und diesen vom zulässigen Meinungsanteil zu trennen beziehungsweise einen vertretbaren Beurteilungsspielraum des Äußernden zu definieren. Folge wird laut Höcker sein: „Manch einer wird künftig lieber ganz darauf verzichten, seine Meinung insbesondere zu heftig umstrittenen Themen kundzutun, wenn immer die Gefahr besteht, für echte oder vermeintliche Falschbehauptungen sanktioniert zu werden.
Die Schere im Kopf wird die Meinungsvielfalt zur Einfalt verkommen lassen.“ Höcker weiter: Die Begriffe „Hass und Hetze“ seien schwammige Begriffe, die Willkür und Rechtsmissbrauch Tür und Tor öffnen und Unsicherheit schaffen – sowohl für Bürger als auch für Medien. „Hass und Hetze“ seien überdies als Anknüpfungspunkt für juristische Sanktionen ungeeignet, weil „Hass“ ein grundsätzlich legitimes menschliches Gefühl und „Hetze“ nur ein besonders negativ konnotiertes Synonym für ebenfalls legales „intensives Schimpfen“ ist.
Höcker stellt klar: „Bereits heute gibt es klare gesetzliche Grenzen des Sagbaren: Volksverhetzung, Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung sind strafbar. Die Leugnung des Holocaust ist explizit verboten. Falschbehauptungen über Personen sind ebenfalls verboten. Das muss reichen. Einen darüberhinausgehenden Regelungsbedarf gibt es von Vornherein nicht, auch nicht unter Hinweis auf den ‚Schutz der Demokratie‘“. Übrigens gebe es in der Demokratie auch ein Recht auf Irrtum und darauf, dass die Mehrheit falsch entscheidet. Der Staat solle sich jedenfalls nicht zum Wahrheitsministerium aufschwingen.
Rückblende: DDR-Stasi-Chef Erich Mielke hatte am 26. Juni 1971 eine 44-seitige »Dienstanweisung 2/71 zur Leitung und Organisierung der politisch-operativen Bekämpfung der staatsfeindlichen Hetze« erlassen. Dort warnte Mielke: „Die weitere Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der DDR erfordert die planmäßige und vorbeugende Ausschaltung jeglicher störender Einflüsse auf die Bewußtseinsentwicklung der Werktätigen, um ihre in der Verfassung der DDR festgelegte notwendige bewußte und aktive Mitwirkung bei der Vollendung des sozialistischen Aufbaus und ihre politische Standhaftigkeit und Wachsamkeit auch in komplizierten politischen Situationen zu garantieren …« Beobachtet und verfolgt werden sollten: »Diskriminierung, Verächtlichmachung oder Verleumdung von Repräsentanten oder anderen Bürgern der DDR, der staatlichen Organe, Einrichtungen oder gesellschaftlichen Organisationen oder deren Tätigkeit …« Kommt einem irgendwie topaktuell vor!
Ob der Koalitionsvertrag im Punkt „Meinungsfreiheit versus Desinformation“ eine Reaktion auf die Rede von US-Vizepräsident J.D. Vance von Mitte Februar 2025 auf der Münchner Sicherheitskonferenz war, wie manche Koalitionäre und eine Zeitung vermuten, seit dahingestellt. Falls ja, dann wäre es eine dümmliche Reaktion, die Vance 1:1 Recht gibt. In Deutschland und in der EU muss man sich nämlich realiter Sorgen um die Meinungsfreiheit machen. Denn was hier stattfindet, ist eine Entmündigung des Bürgers. Und damit das Gegenteil eines aufgeklärten Bürgers, wie ihn sich Immanuel Kant vorgestellt hat. Der deutsche Michel soll noch mehr zum staatsgläubigen Untertanen konditioniert werden. Er soll einfach glauben, was ihm als pseudoreligiöse Staatsdogmen etwa in Sachen Klima oder Corona oder Migration oder Kriminalitätsstatistik vorgesetzt werden. Zweifler, Abtrünnige, Renegate, Ketzer – nein, das braucht das „beste Deutschland, das es jemals gegeben hat“ nicht. (Steinmeier am 3. Oktober 2020)