
Freiheit stirbt immer zentimeterweise, stellte der liberale Journalist Karl-Hermann Flach einst fest. Schleichend, langsam. Die neue Koalition von Friedrich Merz will ihn Lügen strafen – und holt das Metermaß raus.
Die Feststellung, dass noch keine deutsche Bundesregierung der freien Presse so den Kampf angesagt hat wie die kommende, dürfte keine Übertreibung mehr sein. Franz-Josef Strauß und Konrad Adenauer ließen die Spiegel-Redaktionsräume zwar wegen Landesverrates stürmen und durchsuchen, Journalisten und Redakteure festnehmen und vollzogen einen historischen Tabubruch – der am Ende zum Mahnmal wurde und eine stabile, freie Presse in der Bundesrepublik stärkte und möglich machte.
Seitdem war die Presse im Bundes-Deutschland immer frei und prinzipiell vom Staate unbehelligt – auch Skandale wie Nancy Faesers Tabubruch in ihrem Vorgehen gegen Compact änderten daran im Prinzip nichts. Union und SPD wollen jetzt aber die Axt schärfen und setzen zum Schlag gegen die Presse an.
Und es wird ein richtiger Kahlschlag. Quer durch die Bank wird die Arbeitsfähigkeit und Unabhängigkeit der freien Presse von der künftigen Regierung angegriffen – und bringt damit klar zum Ausdruck, wie sehr sich die Politik inzwischen an kritischer Presse und unabhängigen Medien stört. Die Pläne der Koalition sind ein Alarmsignal für die freie Medienlandschaft: An mehreren Fronten will die Merz-Regierung den Krieg gegen die freie Presse eröffnen.
So plant die künftige Regierung unter anderem, das Informationsfreiheitsgesetz abzuschaffen – ein weltweit in seiner Stärke fast einmaliges Rechtsinstrument für Journalisten und Bürger gleichermaßen, mit dem man dem Staat auf die Finger schauen kann. Es hält den Anspruch eines jeden auf Zugang zu amtlichen Informationen gegenüber Behörden und sonstigen Organen des Bundes fest.
Dass CDU-Jurist Phillip Amthor, der für die Union die entsprechenden Verhandlungen geführt hat, mit solchen Bestimmungen gut leben können wird, ist nicht überraschend: Mit den Mitteln des Informationsfreiheitsgesetzes wurde der Öffentlichkeit seine eigene, unsaubere Lobby-Arbeit für ein Tech-Unternehmen bekannt gemacht.
Das Informationsfreiheitsgesetz hat aber auch über Amthor hinaus viele journalistische Erfolge ermöglicht: Etwa die Klage des Magazins Multipolar, die zur Veröffentlichung der sogenannten RKI-Files führte. Ohne IFG hätte es diese Recherchen, die politischen Machtmissbrauch und Manipulation aufgedeckt haben, so sicher nicht gegeben.
Genau das wird der Effekt – und wohl auch das Ziel – dieser Gesetzgebung sein: Der Presse wird eine scharfe Waffe genommen, sie wird an die Leine gelegt werden und wichtige Arbeit als Kontrollorgan des Staates, als „vierte Gewalt“, nicht mehr leisten können. Bahnbrechende Recherchen mit echtem Mehrwert, die kritisch zur Macht ausgerichtet sind, werden so erschwert oder gar verunmöglicht. Diesen Weg kann als Gesetzgeber nur gehen, wer kritische Presse eingrenzen und ihre Arbeit verhindern will.
Das ist leider nur die Spitze des Eisbergs. Auch die fixe Idee, „unwahre Tatsachenbehauptungen“ unter Strafe zu stellen, wird die Tür öffnen für einen staatlichen Krieg gegen die Presse. Schon im Sondierungspapier hielt man fest, dass „Desinformation und Fake News“ die Demokratie bedrohen würden. Im Verhandler-Papier heißt es nun noch schärfer: „Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt.“
Deshalb, fordern Union und SPD, „muss die staatsferne Medienaufsicht unter Wahrung der Meinungsfreiheit auf der Basis klarer gesetzlicher Vorgaben gegen Informationsmanipulation sowie Hass und Hetze vorgehen können.“
Was aber die „bewusste Verbreitung“ genau sein soll, ist genauso unklar wie die Frage, was am Ende als „falsche Tatsachenbehauptung“ oder „Desinformation“ gesehen wird. Jedem Journalisten und jedem, dem an freiem Journalismus etwas gelegen ist, muss auch hier erschaudern. Es hat schon etwas von Orwells Wahrheitsministerium, wenn der Staat die angebliche Lüge zu einem widerrechtlichen Akt machen möchte.
Denn egal, wie „klar“ die gesetzlichen Vorgaben am Ende sein werden – auch die klarste Definition operiert in einer nebulösen Grauzone. In ihrem Nebel kann die Pressefreiheit effektiv verloren gehen. Erst recht, wenn wir uns erinnern, welche Wahrheiten zuerst als „Lüge“ oder „Desinformation“ verleugnet wurden. Ein kritischer Bericht über die Labortheorie hätte im Jahr 2020 nach diesen möglichen Regeln als „Desinformation“ und gar „bewusste Verbreitung“ einer „falschen Tatsachenbehauptung“ gegolten und wäre entsprechend sanktioniert worden.
Allzu oft war die „Lüge“ von gestern die Wahrheit von morgen. Als Kopernikus oder Galileo Galilei erklärten, dass die Erde um die Sonne kreiste, war auch das „Desinformation“ und wurde verfolgt. Die neue schwarz-rote Bundesregierung will auf dieses inquisitorisch-mittelalterliche Niveau der Wahrheitsfindung zurückkehren – wahr ist, was wir für wahr befinden.
Oder halt, was irgendeine „staatsferne Medienaufsicht“ für wahr befindet – wie „staatsfern“ eine solche tatsächlich sein wird, ist etwa mit Blick auf die „Staatsferne“ des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks zu bezweifeln. Nichts, was es nur dank staatlicher Macht als Institution oder Autorität gibt, ist am Ende auch wirklich staatsfern. Und Zensur wird nicht besser, wenn der Zensor nicht direkt, sondern über zwei Ecken mit der Macht des Gesetzes zensiert. Diese angekündigte Gesetzgebung könnte schnell zu dem werden, wogegen Bundesbürger 1962 protestierten: ein „Maulkorb für die Presse“.
Zu guter Letzt: Die Forderungen der SPD, „vertrauenswürdige Medien“ staatlich zu finanzieren, wäre der letzte Sargnagel für die freie Presse. Es kann staatsfernen Journalismus, der aber staatlich finanziert ist, nicht geben. Wer vom Staat bezahlt wird, gibt Distanz und kritischen Journalismus auf.
Und wird es manches finanziell klammes Medienhaus wirklich noch wagen, besonders kritisch oder investigativ gegenüber dem Staat zu arbeiten, wenn man im Zweifel das Label „Vertrauenswürdig“ und damit die staatlichen Zuschüsse verlieren könnte? Wer die Musik bezahlt, bestimmt am Ende immer auch, was gespielt wird. Nicht ohne Grund ist eine Losung der Redaktion von Apollo News: Unabhängigen Journalismus gibt es nur unabhängig finanziert.
Durch all diese Pläne zieht sich wie ein fataler, roter Faden die deutlicher Haltung von Union und SPD: In dieser Regierung glaubt keiner mehr an den Wert freier Presse. Sie ist nur noch ein Ärgernis, ein Hindernis, ein Dorn im Auge. Man will sie deshalb beschneiden, bedrohen, abhängig machen. Und so schließlich abschaffen.
Freiheit stirbt hier nicht mehr zentimeterweise – sondern am Stück. „Wehret den Anfängen“, hieß es zuletzt oft: Die schwarz-roten Pläne sind genau so ein Anfang, gegen den man sich jetzt wehren muss. Denn eine Regierung, die die Pressefreiheit angreift, wird irgendwann auch die Freiheit haben, andere Freiheiten angreifen.