
Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) hat eingeräumt, dass ihr der persönlich adressierte Beschwerdebrief des Grundschullehrers Oziel Inácio-Stech vom 4. Dezember 2024 bereits im Dezember vorgelegen hatte. In früheren Sitzungen des Berliner Abgeordnetenhauses hatte sie erklärt, sie habe das Schreiben erst im Mai 2025 gelesen.
Der Lehrer hatte sich mit dem Schreiben über homophobe Mobbingvorfälle an der Carl-Bolle-Grundschule in Berlin-Moabit beschwert. Nach eigenen Angaben wurde er von Schülern aus muslimischen Familien über Monate hinweg beleidigt, bedroht und als „Schande für den Islam“ oder „ekelhaft“ bezeichnet. Ein Schüler soll ihm zugerufen haben: „Du Schwuler, geh weg von hier. Der Islam ist hier der Chef.“
Bereits im September 2024 hatte sich Inácio-Stech über einen Anwalt erstmals an den Berliner Senat gewandt. In dem späteren Schreiben wurden unter anderem Äußerungen dokumentiert wie: „Du Schwuler, geh weg von hier. Der Islam ist hier der Chef.“ Weitere Schüler sollen laut Lehrer von einer „Familienschande“ gesprochen und erklärt haben, er werde „in der Hölle landen“. Auch über Mobbing durch eine Kollegin wird in dem Dokument berichtet. Das Schreiben vom 4. Dezember wurde per Einschreiben mit Rückschein und zusätzlich per E-Mail an die Bildungsverwaltung gesendet. Inácio-Stech war von März bis Juni 2025 krankgeschrieben.
Anfang Juni erklärte Günther-Wünsch im Bildungsausschuss, sie habe das Schreiben nicht gelesen. Es sei an die zuständige Stelle in der Bildungsverwaltung weitergeleitet worden. Eine Woche später wiederholte sie diese Aussage im Plenum des Abgeordnetenhauses.
In ihrer „persönlichen Erklärung“ vom Freitag teilte Günther-Wünsch mit: „Im Zusammenhang mit dem Vorgang an der Carl-Bolle-Schule hat die von mir erbetene nochmalige Prüfung der Akten am 20. Juni 2025 ergeben, dass mir das Schreiben vom 4. Dezember 2024 persönlich vorlag.“ Sie erklärte, das Schreiben sei im elektronischen Postbuch nicht erfasst gewesen. Wörtlich heißt es weiter: „Dass mir das Vorliegen des Schreibens nicht mehr erinnerlich war, bedauere ich.“
Die Senatorin wies in ihrer ursprünglichen Stellungnahme den Vorwurf eines Systemversagens zurück. Das Schreiben sei fristgerecht durch die zuständige Stelle beantwortet worden. Der Grünen-Abgeordnete Daniel Wesener äußerte im Juni Zweifel daran, dass Günther-Wünsch den Inhalt zur Kenntnis genommen habe. Gegenüber der dpa sagte er, sie habe „anscheinend maximal die Überschrift gelesen“.
Der betroffene Lehrer hatte zuvor von einem „Systemversagen“ gesprochen und die Schulleitung der Carl-Bolle-Grundschule, die Schulaufsicht sowie die Bildungsverwaltung scharf kritisiert. Sein Schreiben bezog sich auf das Beschwerderecht nach § 13 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes.