
Am heutigen Dienstag eröffnet Ex-SED-Chef Gregor Gysi als Alterspräsident den neuen Bundestag. Dabei ist eigentlich nicht Gysi, sondern Alexander Gauland der älteste Bundestagsabgeordnete. Nun aber profitiert der 77-jährige Abgeordnete der Linkspartei, der erst kürzlich mit Sturmhaube und Antifa-Symbolik posierte und die Kommunistin Clara Zetkin als Vorbild benennt, von einer 2017 eingeführten Regeländerung.
Bis vor wenigen Jahren stellte den Alterspräsidenten traditionell das älteste Mitglied des Bundestages. Da nach der Wahl 2017 diese Rolle dem AfD-Politiker Wilhelm von Gottberg zugefallen wäre, initiierten die restlichen Parteien eine Änderung der Regelung. Offiziell hieß es zwar, dass parlamentarische Erfahrung wichtiger sei als reines Lebensalter. Inoffiziell war jedoch klar, dass es darum ging, einen Alterspräsidenten der AfD zu verhindern. Letztlich fiel die Rolle damit ab 2017 dem FDP-Politiker Hermann Otto Solms zu.
Der älteste Abgeordnete im jetzigen Bundestag ist AfD-Politiker Alexander Gauland, der dienstälteste ist jedoch Gregor Gysi. Somit wird Gysi auch die Eröffnungsrede der Legislaturperiode halten. Mit 30,704 Dienstjahren landete der Linkenpolitiker knapp vor den CDU-Bundestagsabgeordneten Norbert Röttgen, Michael Meister und Thomas Rachel. Diese kommen auf je 30,309 Dienstjahre im Parlament. „Ich werde das Amt nicht für eine Dauerrede missbrauchen“, versprach Gysi am Montag der Rheinischen Post. „Aber eine gute halbe Stunde werde ich schon sprechen.“
Der älteste Abgeordnete Alexander Gauland wird nicht Alterspräsident.
Als Vorbild nannte er unter anderem die Kommunistin Clara Zetkin, die im August 1932 als KPD-Abgeordnete die Eröffnungsrede im Reichstag hielt. Gysi sagte, er bewundere Zetkins Mut, da „die NSDAP beantragt hatte, dass 1932 nicht die älteste Abgeordnete den Reichstag eröffnet, weil sie Clara Zetkin nicht wollten“. Dann habe die KPD-Frau in einer Rede das Verhalten der NSDAP scharf verurteilt. Einige Monate später habe sie fliehen müssen.
Gysi im Amt des Alterspräsidenten – dagegen regt sich Unmut. Zahlreiche Kritiker verweisen auf die Rolle, die der langjährige SED-Funktionär im DDR-Unrechtssystem gespielt hat. Ist Gysi also ein würdiger Alterspräsident? Erst kürzlich posierte der Linken-Politiker ganz offen mit Sturmhaube und Antifa-Symbolik, wie es in linksextremen Kreisen üblich ist.
Alterspräsident wird also nicht nur ein Sympathisant der linksradikalen Szene, sondern eine Person, dessen Rolle in der DDR bis heute Fragen aufwirft. Stets blieb unklar, inwieweit das jahrzehntelange SED-Mitglied mit der Stasi zusammengearbeitet hatte. Gysi hatte stets bestritten, von der Stasi als „IM Notar“ geführt worden zu sein. Schon 2010 erklärte der Historiker Hubertus Knabe in der Süddeutschen Zeitung: „1989 wurden auf Befehl des Ministers für Staatssicherheit etwa 20 Prozent der Akten zerstört. Insbesondere zu Personen, die in dieser Zeit politisch von Bedeutung waren. Da gehört Gysi zweifellos dazu.“
In der Übergangszeit zwischen DDR und der Eingliederung in die Bundesrepublik verschwand auch das riesige Parteivermögen der SED. Gysi war im Dezember 1989 zum Vorsitzenden der SED gewählt worden und bekleidete dieses Amt nach der Umbenennung der Partei in PDS bis 1993. Noch immer ist nicht geklärt, was in diesen Jahren mit dem SED-Milliardenvermögen passierte. Das Geld blieb verschwunden.
Seit 1967 war Gysi, der im Unrechtsstaat DDR als Anwalt Karriere gemacht hatte, Mitglied der SED. Dessen Nachfolgepartei wurde die PDS und später die Linkspartei. Gerade am Beispiel Gysi zeigt sich, wie sehr sich seit den 1990er Jahren die Parameter in der Bundesrepublik nach links verschoben haben. Das weiß auch Gysi: „Als ich das erste Mal in den Bundestag eingezogen bin, wurde ich mit Hass begrüßt. Da ist es doch eine wunderbare Geschichte, nun als dessen Alterspräsident erneut einzuziehen“, erklärte er im Interview mit dem Tagesspiegel.
Heute regt sich kaum jemand mehr auf, wenn seine Partei durch den Bundestag Antifa-Parolen brüllt. „Alerta, alerta, antifacista“, hallte es nach der konstituierenden Sitzung durch das Plenum.
Auch für die Union bleibt die Linkspartei ein Gesprächspartner, wenn es darum geht, an der Macht zu bleiben. Das zeigt das Beispiel Thüringen, wo Ministerpräsident Mario Voigt (CDU) sich einmal im Monat mit der Linkspartei zu „Konsultationen“ trifft, da seine Koalition keine Mehrheit im Parlament hat. „Wir müssen mit den Linken reden“, betonte auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) am Montag. Der CDU-Politiker plädierte für Gespräche mit der Linkspartei, um eine umfassende Reform der Schuldenbremse zu ermöglichen.
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