
Die USA und China zeigen sich im Handelsstreit unerbittlich. Während die Zollsätze der USA auf chinesische Importwaren inzwischen 145 Prozent betragen, hat China seit der Erklärung des Exportverbots am 4. April die Ausfuhr Seltener Erden nahezu zum Erliegen gebracht. Seltene Erden zählen zu den kritischen Mineralien beim Bau von Elektroautos, Windkraftanlagen und Militärtechnologie. Peking schadet mit diesem Schritt seiner eigenen Wirtschaft erheblich.
Ist die politische Führung Chinas tatsächlich bereit, mit dem Exportverbot globale Lieferketten zu destabilisieren und seinen Exportmotor zu beschädigen? Über 150 Millionen der 750 Millionen Erwerbstätigen hängen direkt oder indirekt an Chinas Exportmotor, der inzwischen 19 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht. Pekings Merkantilismus beschert dem Land einen jährlichen Handelsüberschuss von einer Billion US-Dollar – ein Prozent der Weltwirtschaft. China hat diese Beschäftigungsmaschine mit Hilfe von Währungsmanipulation, Kapitalverkehrskontrollen und systematischem Patentraub immer hochtouriger rotieren lassen.
Die Kritik am chinesischen Wirtschaftsnationalismus ist kein amerikanischer Exzeptionalismus. Chinas Wirtschaftsnationalismus zielt längst auf den ganzen Westen. Auch andere Wirtschaftsmächte wie Europa sind seit Jahren Ziel merkantiler Offensiven Pekings. Umso bemerkenswerter ist, dass Donald Trumps Handelspoker in Europa als planloser Waffengang beschrieben wird. Es entsteht der Eindruck, die USA seien als Halbstarke in diesen Handelskonflikt gestolpert, während sich die Herren der KP als souveräne Opfer präsentieren – stets Herren der Lage. Dass der Zentralismus Pekings zum Kollaps des heimischen Immobilienmarkts führte, ist längst vergessen.
Der Immobiliensektor diente als Stabilisator – und schuf Millionen leerstehender Wohnungen. In seiner Hochphase machte der Immobiliensektor sieben Prozent der globalen Vermögenswerte aus. Er wurde zum sozialen Stabilitätsfaktor in einem Land mit hoher Jugendarbeitslosigkeit. Sein Crash erhöhte den Druck auf die Regierung, das Exportgeschäft aggressiver anzugehen. Mit dem Absturz fiel der Blick auch auf den Binnenmarkt. 2020 rief die Regierung die Initiative der „Zwei Kreisläufe“ zur Stärkung des Binnenmarktes ins Leben. Diese widersprüchlichen Ziele zu vereinen, wirkt wie die Quadratur des Kreises. Aber im 5-Jahres-Plan der Kommunistischen Partei lässt sich auch dieser Quantensprung der Ökonomie abbilden. Dieser dürfte schon bald von kreativer Buchführung geprägt sein. Im 1. Quartal stieg das Bruttoinlandsprodukt Chinas offiziell um 5,4 Prozent, während das Steueraufkommen um 3,5 Prozent einbrach – Wirtschaftsrechnung „Made in China“.
Mit chirurgischer Präzision setzt Trumps Regierung das Skalpell am Exportvehikel der Kommunistischen Partei an – ein riskanter, aber überfälliger Eingriff. Er ist sachlogisch, trifft er doch die Achillesverse des Kontrahenten, der immer wieder tief in die Einflusssphäre der USA vorstößt, wie das Beispiel des Panama-Kanals zeigt. Mit seinem säkularen Großprojekt der Neuen Seidenstraße (Belt and Road Initiative) trägt China seinen geopolitischen Angriff vor – ein sanfter Kolonialismus, dem im Streitfall Repressionen als Nachhut folgen. Tibeter oder Uiguren wissen von den Konsequenzen innenpolitischer Opposition – Menschenrechtsverletzungen sind die Ultima Ratio, wenn Widerstand wächst. Moralinsaure Kritik Pekings an der harten Gangart der Amerikaner ist daher wohlfeil.
Man sollte Trumps Zollmauer, die inzwischen eher einem Embargo gleicht, in Peking als ernstzunehmenden Versuch interpretieren, entstandene Unwuchten im geopolitischen Kräfteverhältnis zu korrigieren. Doch der Streit birgt die große Gefahr weltweiter Kollateralschäden.
Wie wird die chinesische Führung auf eine Insolvenzwelle mit Massenentlassungen im Exportsektor reagieren, wenn es nicht gelingt, die Flut an Waren in andere Regionen der Welt abströmen zu lassen?
Peking sollte nicht davon ausgehen, dass die Europäer ohne Widerstand in die Rolle eines Dumping-Grounds für seine Waren schlüpfen. Die Gefahr eines Imports der chinesischen Beschäftigungskrise ist real. Brüssel war in der Vergangenheit stets in der Lage, rechtzeitig die Brücken hochzuziehen und den eigenen Binnenmarkt vor äußerer Konkurrenz abzuschirmen.
Während Brüssel sich auf eine mögliche Exportflut vorbereitet, ergreift Washington bereits konkrete Gegenmaßnahmen: Die Regierung von Donald Trump arbeitet daran, den geopolitischen Hebel Chinas zu zersägen. Es ist wahr, dass China etwa 70 Prozent der globalen Produktion Seltener Erden kontrolliert und 80 Prozent selbst verarbeitet. Doch gerade dies dürfte die Erschließung neuer Vorkommen andernorts massiv vorantreiben.
Am 20. März unterzeichnete Donald Trump die Executive Order „Immediate Measures to Increase American Mineral Production“, die als „Deklaration der Unabhängigkeit“ von ausländischer Abhängigkeit präsentiert wurde. Die Verordnung, die den Defense Production Act und eine „National Energy Emergency“ (EO 14156, Januar 2025) nutzt, wird regulatorische Hürden im Minengeschäft beseitigen und private Investitionen in diesem Bereich kritischer Infrastruktur beschleunigen.
In diesen Kontext zählen auch die Verhandlungen über den Ankauf der Seltenen Erden der Ukraine oder der etwas skurril anmutende Grönland-Diskurs der US-Regierung. Grönland soll die acht größten Vorkommen Seltener Erden beherbergen – und gerät damit zusehends zwischen die Fronten großer Player wie den USA oder der EU.
Grund zur Hoffnung gibt, neben der Förderstrategie der Europäischen Union, das Engagement Australiens, das interessanterweise von den US-Zöllen in diesem Bereich ausgenommen ist. Seine Minenbetreiber könnten als Gewinner der Handelskrise hervorgehen. Australien erhält damit einen enormen Stellenwert als geostrategischer Partner der Trump-Regierung. Im Zusammenspiel mit strategischen Rohstoffallianzen könnten die USA diesen Engpass wenigstens zu einem Teil schließen und das sehr reale Drohpotenzial Pekings teilweise entschärfen.
Die USA versuchen, ihre Zollstrategie in den groß angelegten Wiederaufbau amerikanischer Industrie einzubetten. Ein prominentes Beispiel ist Apples Ankündigung einer Investition von 500 Milliarden US-Dollar in den Heimatstandort, die das Weiße Haus direkt den Zollmaßnahmen zuschreibt. Auch andere große Unternehmen, darunter TSMC und Stellantis, haben signifikante neue Investitionen in den USA zugesagt, was auf eine Welle der Rückverlagerung von Industrietätigkeit als Reaktion auf diese Handelsmaßnahmen deutet.
Das geopolitische Schachbrett ist gerade besonders schwer zu lesen. Selbst eine strategische Rohstoffallianz zwischen den USA und Russland sollte zu diesem Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden – der Dialogfaden zwischen Washington und Moskau ist längst geknüpft und der Rückzug der Amerikaner aus der europäischen Konfliktzone Ukraine erfolgt schrittweise. Das eröffnet neue Verhandlungsspielräume zwischen beiden Parteien.
Sollte es dem Team um Donald Trump gelingen, tragende Rohstoffpartnerschaften zu schließen und gar Russland ins Boot zu holen, verlöre China sein Drohpotenzial. Der Preis, den Moskau zu zahlen hätte, wäre hoch: Seine enge Bindung an China wäre gefährdet. Allerdings hat sich China in den vergangenen Jahren in die Hände russischer Energie- und Rohstofflieferanten begeben.
Das Spiel der Kräfte ist komplex, die Verflechtungen und Abhängigkeiten wechselseitig, was kurze Lösungswege ausschließt. Die Frage lautet also: Welche der Supermächte ist bereit, seinen Bürgern den größeren Anpassungsschmerz im Handelsstreit zuzumuten? Oder entscheidet letztlich die Robustheit der inneren Ordnung? Sind die westlichen Demokratien trotz aller Krisen Chinas autoritärem Modell überlegen und kapitulieren nicht vor dem Reiz von Macht und Kontrolle? Letzten Endes ist es wahrscheinlich, dass Trumps Druck auf Chinas Schwachstellen Peking zu Zugeständnissen zwingen wird. Eine tiefe ökonomische Krise, die sich mit der deflatorischen Tendenz der chinesischen Ökonomie vereinte, kann man sich in Peking nicht leisten.
Thomas Kolbe, Volkswirt, arbeitet seit über 25 Jahren als freiberuflicher Autor sowie als Medienmacher für Kunden aus verschiedenen Branchen und Wirtschaftsverbänden. Als freier Publizist widmet er sich schwerpunktmäßig ökonomischen Prozessen und beobachtet geopolitische Ereignisse aus dem Blickwinkel der Kapitalmärkte.