Serienmörder im Walde?

vor 21 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

Beschwörend tönt die „Gesellschaftskritik…in dieser bedrückenden Geschichte“ aus dem NDR-Pressedossier: „Beim Schreiben hat uns das Gefühl beeinflusst, dass eine beunruhigende Verrohung um sich greift“, so die Autorinnen Elke Schuch und Catharina Junk). „(…) die Geschichte setzt das Brennglas auf die Gefährlichkeit von Vorurteilen und schablonenhaften Vorverurteilungen. Es gibt in unserer Gesellschaft die Tendenz, Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Vergangenheit oder bestimmter äußerer Merkmale zu stigmatisieren und in eine Rolle zu drängen, aus der sie schwer entkommen können.“, ergänzt Alexander Dierbach, Regie.

In der Rostocker Heide ist wahrlich der Teufel los. Von Schüssen durchlöcherte Schaufensterpuppen baumeln von den Bäumen, Tierschutzaktivisten überfallen Jäger und schlagen sie zusammen, verüben Anschläge, in dem sie die Stützen der Hochsitze ansägen. Und da sind dann auch noch diese ganzen Wilderer, auf die die Aktivistinnen einen besonderen Hass („Ihr feigen Pisser!“) haben. Nele Schuldt (Lorella Lubsch) und Sarah Volkmann (Raika Nicolai) schleichen mit ihrer E-Kettensäge durch den Forst in Richtung des nächsten Anschlagsziels, werden aber plötzlich aus dem Hinterhalt beschossen – nur Nele entkommt schwer verletzt dem Kugelhagel.

Milan Greuner (Eloi Christ) ist der ideale Verdächtige. Nicht, weil ihn seine Mutter Eva (Jördis Triebel) zur Welt gebracht hatte, obwohl sie vorher von einem Serienkiller vergewaltigt wurde. Nicht, weil sie sich mit ihrem Kind in eine gottverlassene Fischräucherei mitten im Wald zurückgezogen hat. Nicht, weil er düstere Bildchen malt, mit denen er sein Zimmer bepflastert, keine Ausbildung hat, gerne Fische metzgert. Aber zu allem Überfluss stapft er alleine mit einem geladenen Gewehr mit Zielfernrohr durch den Forst, sammelt tote Rehe und verbuddelt sie anschliessend zu Hause im Garten. Später wird klar, dass er damit symbolhaft der Erde ihre von Wilderern ermordeten Geschöpfe zurückgeben wollte.

Die Polizisten Anton Pöschel (Andreas Guenther) und Volker Thiesler (Josef Heynert) fühlen sich von diesem Tatort mitten in der Botanik mit „tausenden Spuren“ überfordert. Da ist es verständlich, dass sie einfach übersehen, dass es ein zweites, schwer verletzt geflüchtetes Opfer gab. In der WG der beiden Aktivistinnen langen sie dann aber richtig zu, verhaften den gerade aufgewachten Mitbewohner Jesper Bloom (Timon Furchert) und belegen die Tierschützer mit Chauvi-Sprüchen: „Wegen so‘ne Typen sind wir keine Exportweltmeister mehr…wenn ich Schnitzel esse, bin ich Kannibale…“. Immerhin ist es dieser langhaarige Typ, der den entscheidenden Hinweis liefert, dass seine zwei Mitbewohnerinnen die „Sache mit dem Hochsitz“ gemacht haben, da also noch jemand Hilfe benötigen könnte. Bei der nochmaligen Suche wird Studentin Nele gefunden und ins Krankenhaus gebracht – der Einsatz mitten im Wald muss für die bestellte Rettungswagenbesatzung ein Highlight gewesen sein. Einige Zeit später kann die unter Polizeischutz stehende Nele mit Jespers Hilfe unter den Augen „zweier Hörste“ – so Kommissarin König über ihre beim Toilettengang übertölpelten Kollegen – aus der Intensivstation fliehen.

Die Ermittlerinnen Katrin König (Anneke Kim Sarnau) und Melly Böwe (Lina Beckmann) befragen derweil die Familie Cobalt, die in einem riesigen Gründerzeit-Forsthaus residiert. Nicht nur Revierförsterin Julia Cobalt (Annika Kuhl) hat hier den Jagdschein, alle Cobalts, angefangen beim rauschebärtigen Patriarchen Tobias (Nicki von Tempelhoff) über Bruder Hannes Seyffart (Thilo Prothmann) bis zum Sohn Paul (Jonathan Lade) sind hochgradig abzugsfreudig (engl.: „triggerhappy“). Abends sitzt man im Wohnzimmer beim Waffenputzen zusammen. Selbst der nach einem Sturz vom Hochsitz auf einen Rollstuhl angewiesene Hannes hat dem Waidmännischen nicht abgeschworen. Dass die Holzkonstruktion, von der er stürzte, offenbar von Aktivisten absichtlich angesägt wurde, macht die ganze Familie in dem Fall verdächtig.

Mutter Greuner plagen Zweifel an ihrem verschlossenen Sohn, dessen seltsames Benehmen ihr besonders nach dem Mord an der Aktivistin immer mehr Angst einjagt. Hat Milan die Mordlust seines biologischen Vaters geerbt, könnte er zum Bösen geboren sein? Sie sperrt ihn ein, unterzieht ihn peinlicher Befragung und verstärkter Beobachtung. Fast scheint sie in einer Szene darüber nachzudenken, ihn im Schlaf mit einem Kissen zu ersticken. Als die Polizistinnen Milans Zimmer durchsuchen und dabei Munitionsreste finden, platzt es aus ihr heraus: „Ich weiss, dass er es war, sie müssen ihn mitnehmen“. Aber schnell stellt sich heraus, dass die tödlichen Schüsse nicht aus Milans Gewehr abgegeben wurden. Der Junge, der aus Verzweiflung über diese Treulosigkeit seiner Mutter („…hält mich für ein Monster“) die Tat gestanden hatte, kann und will nun nicht mehr zu ihr zurück, die Polizei findet bemerkenswert schnell einen Platz in einem Rostocker Jugend-Wohnprojekt für ihn.

Die „…vordergründig intakte…vermeintlich stabile normative Familie…von einer inneren Leere emotionaler Bindungen und authentischer Kommunikation geprägt“, findet das NDR-Pressedossier.

Im Fernsehen wird vorschnell die Festnahme des Verdächtigen mit Foto und Vorname verkündet. Die Nachricht wühlt die Familie Cobalt auf – den untreuen Vater drängt es, seine Liebschaft Eva Greuner zu trösten, Sohn Paul, der Milan noch geneckt hatte: „Hast du den gleichen Drang wie dein Vater, zu töten?“ weiß aber, dass das eine Falschmeldung ist. Er war es, der die Aktivistinnen mit dem Gewehr seines Vaters beschossen hat, und den es nun zum Haus der Greuners zieht, um Milan zu konfrontieren. Er hatte sich zu dem Gleichaltrigen seltsam hingezogen gefühlt, geglaubt, der teile seine eigenen Mordphantasien. Als er nun feststellt, dass Milan ihn zurücklassen und von dort wegziehen möchte, erschiesst er ihn und beim Eintreffen der Polizei sich selbst.

Warum die Drehbuchautorinnen meinten, parallel die Geschichte der ebenfalls von einem „Mega-Scheißkerl“ vergewaltigten und daraufhin mit Tochter Rose (Emilie Neumeister) schwanger gewordenen Kommissarin Böwe in die Geschichte hineinkonstruieren zu müssen, und daran einen weiteren Fall von jugendlicher Herkunftssuche und „…Wutausbrüchen…werde immer so scheiße – wütend…bin eine tickende Zeitbombe…habe meinen Freund Jojo geschlagen“ andocken zu müssen, bleibt unklar.

Den Kommentar von Regisseur Alexander Dierbach, der sicher nicht in diese Richtung gezielt hat, könnten sich viele politische Heckenschützen zu Herzen nehmen: „Wir sehen hier, dass der Mechanismus der kollektiven Wahrnehmung und der schnellen Urteile nicht nur gefährlich ist, er schränkt auch die Möglichkeit der Veränderung und der menschlichen Entfaltung massiv ein“.

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