Shakespeare oder KI – wer dichtet schöner?

vor 5 Monaten

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Bildquelle: NiUS

William Shakespeare (1564 bis 1616) gilt als größter Dichter der Welt (neben Goethe). Er war unbestritten ein Genie, der mit seinen Versen Millionen Menschen begeisterte – und das mehr als 400 Jahre lang. Heute allerdings scheint der Großdichter Konkurrenz bekommen zu haben – vom Computer.

ChatGPT-verfasste Gedichte bekamen bei einer Befragung bessere Bewertungen als Original-Gedichte von William Shakespeare und anderer berühmter Autoren. Die Studienteilnehmer fanden die Gedichte der künstlichen Intelligenz im Schnitt schöner und rhythmischer, wie zwei Forscher der US-Universität Pittsburgh im Fachblatt Scientific Reports schreiben.

Shakespeare war zu seiner Zeit ein volkstümlich schreibender Geselle, der die Sorgen und Freuden seiner Zeitgenossen kannte ­– aber die Fähigkeit besaß, seine Geschichten in besonders poetischen und zarten Bildern niederzuschreiben. Allerdings scheint das heute nicht mehr so gut anzukommen. „Die Einfachheit von KI-generierten Gedichten ist für Laien möglicherweise leichter zu verstehen, was dazu führt, dass sie KI-generierte Poesie bevorzugen“, schreiben die Forscher. Es könne sein, dass die Teilnehmer die Komplexität menschlicher Gedichte fehlinterpretierten und davon ausgingen, manche Teile seien zusammenhanglose Wörter, welche die KI erzeugt hat. Die Teilnehmer der Untersuchung waren keine Fachleute für Poesie, die allermeisten – so betont es der Studienleiter – lasen höchstens ein paarmal im Jahr ein Gedicht.

Ein Shakespeare-Plakat bei einem Festival in der Ukraine.

Das am häufigsten falsch zugeordnetes Gedicht war ein KI-Poem im Stil von Allen Ginsberg (1926 bis 1997), dem Vater der Flower-Power-Bewegung der 60er und 70er Jahre. „Fast 70 Prozent der Teilnehmer glaubten, es sei von einem menschlichen Dichter geschrieben“, sagt der CO-Autor der Studie, Brian Porter. Die erste Strophe des KI-Gedichts geht so (übersetzt):

In der Stille der Nacht höre ich den Herzschlag der Stadt,den Rhythmus der Straßen, den Puls des Lebens,eine Symphonie des Chaos, ein Kunstwerk.

Na ja, sagt mein gesunder Menschenverstand, kann man machen. Kann man auch lassen.

Ich finde, diese Verse haben die Kraft von TikTok-Gedichten, die das Netz heute millionenfach überschwemmen. Es ist eine Mischung aus einfacher Sprache und Kinderäußerungen: sehr eingängig, sehr direkt, ohne Tiefgang. „Die Gedichte wurden im Jahr 2023 mit ChatGPT 3.5 generiert“, sagt Porter. „Ich habe vor Kurzem ein bisschen mit ChatGPT4 und 40 experimentiert. Ich denke, dass die neueren Modelle erfolgreicher darin sind, das erwartete Versmaß zu treffen.“

Systeme der künstlichen Intelligenz sind inzwischen in der Lage wie Menschen zu dichten.

Sind also KIs besser als menschliche Poesie? Das Schöne ist: Man kann Gedichte nicht wirklich miteinander vergleichen. Den einen trifft ein Gedicht wie ein Hieb, den anderen lässt eben dieses Gedicht kalt. Manche sagen, man müsse in Stimmung sein, um Gedichte zu lesen. Manche hassen Gedichte, weil sie immer welche in der Schule lernen mussten. Als deutscher Schüler denkt man dabei mit besonderem Unbehagen an Schillers „Bürgschaft“ (20 Strophen).

Ich entlasse Sie aus diesem kleinen Literatur-Seminar mit zwei Versen des berühmtesten Sonettes von William Shakespeare, dem Sonett 18. Es ist garantiert KI frei. Und ich finde, das merkt man. So kann keine KI dichten:

Soll ich dich einem Sommertagvergleichen?Er ist wie du so lieblich nicht und lind;Nach kurzer Dauer muss sein Glanz verbleichen,Und selbst in Maienknospen tobt derWind.

Wenn du in meinem Lied unsterblich bist!Solange Menschen atmen, Augen sehn,Lebt mein Gesang und schützt dich vorVergehn!

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